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„Was dünkt euch von der Kirche?“

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Der Band enthält eine Sendereihe, die der Süddeutsche Rundfunk im Vorjahr gab. Die Sprecher waren aus beiden Bekenntnissen gewählt (20 Protestanten, 13 Katholiken, in vier Referaten ist die konfessionelle Zugehörigkeit nicht ersichtlich, bei dem Kommunisten, der mitsprachi wohl auch gleichgültig). Sämtliche Sprecher geben ihren vollen Namen und ihre Anschrift an. Nur der Titel der Sendung ist allen gemeinsam. Unter den Evangelischen sind auch Pastoren, die Katholiken sind durchgängig Laien, darunter ein einziger Oester-reicher (Friedrich Heer), dazu noch eine gebürtige Oesterreicherin. Mit dieser Zusammensetzung ist allein schon eine Schwierigkeit gegeben. Jeder spricht als er selbst, seine Wünsche sind an seine Kirche gerichtet. Daß es da Parallelen, ja gleiche . Sorgen gibt, liegt an der gleichen Zeit und ihren Ansprüchen. Den ungewöhnlichen Schritt in die Oeffentlichkeit rechtfertigen sie damit, daß die „Kirchen“ nur so gestellt werden können. Was sie wollen, ist liebende, besorgte, aufbauende Kritik. Nörglerei lehnen sie ab. Die Größe der Kirche und ihrer Aufgaben in dieser Stunde ist ihr Antrieb. „Es gibt nichts, das so kritik würdig ist wie die Kirche.“ Dieser zwielichtige Satz könnte als Motto vorgesetzt werden. Das war, seit sie besteht, so. Alle wissen sich, von einem erklärten Außenstehenden, dem Kommunisten, abgesehen, als „Bestandteil der Kirche“. Die gegenwärtige Fremdheit zwischen Welt und Kirche ist nicht mehr die der Forderung ihres Meisters, „nicht von dieser Welt“ zu sein, sie ist Isolation, Unfähigkeit, Unfruchtbarkeit, Weg-losigkeit. Ihre Besten fällt ein drückendes Unbehagen an. Darum müssen sie reden, sagen sie.

Ida Görres-Coudenhove unterscheidet, und das ist für ein Urteil über dieses Buch von Gewicht: bis etwa zum ersten Weltkrieg (und wohl über ihn hinaus) war die Kritik an dei Kirche die untrügliche Visitenkarte des Kirchenfeindes oder wenigstens des kirchlichen Außenseiters. Heute leiden und darum kritisieren „die guten Katholiken, die Gläubigen, die Ueberzeugten, sogar die Frommen“, und das aus Liebe und „leidenschaftlichem Glauben an die heilige Kirche“ (S. 92). Die katholischen Mitarbeiter betonen dankbar ihre Zugehörigkeit.. Eine Radikalität, die sich, wenn auch nicht bei allen Protestanten, hier ausschreit (S. 46 ff.. 126 ff.), ist ihnen fremd. Viele Schärfe wurzelt in einem von keinem erwiesenen, darum naiven Apriori: die Kirche allein sei aus' Wirklichkeitsscheu schuld ah'• der fehlenden Be- ' gegnung mit der Welt und den Mächten dieser gegenwärtigen Welt. „Die gegenwärtige Welt“, die „moderne Jugend“ werden nicht nur als Tatsächlichkeiten, sondern, so wie sie sind, als berechtigt genommen. So mißverständlich etwa ein Satz in seinem ersten Teil ist oder wenigstens sein kann, so richtig ist die Folgerung für unsere Mission, und das nicht nuT unter den Farbigen: „Es kann heute nicht mehr darum gehen, unseren Nächsten das Kreuz der eigenen Kirche oder Konfession, des eigenen theologischen Systemdenkens und des eigenen religiösen Selbstverständnisses aufzuerlegen; es geht darum, unser aller Christsein zu engagieren im Kreuztragen des Menschen in dieser Welt“ (S. 39).

Manches an dieser Sendereihe ist nicht mehr Kritik an der Kirche, sondern an der Religion überhaupt, so die bis zur Selbstzerstörung vorangetriebene Solafideslehre (S. 44 ff.) • nur Glaube, keine Religion, am wenigsten eine Kirche! „Der christliche Glaube ist von Anfang an überhaupt keine Religion. Er ist ursprünglich und seinem ganzen Wesen nach die Krisis aller Religionen und ihr Ende“ (S. 45). Daß aber auch hier ein innerstes Anliegen unserer Gottbezogenheit ausgesprochen wird, ist des Nachdenkens jedes Gläubigen wert.

Viele Kritiker müßte man um handfeste, brauchbare Vorschläge bitten. Manche würden, gerade das verrät ihr allgemeiner Radikalismus, schwer in Verlegenheit kommen, verlangte man Konkretes. Allgemeinheiten werden zu Gemeinplätzen, wenn nicht zu All-Gemeinheiten. Daß sich aber, wo Vorschläge gemacht werden, die einzelnen oft genug widersprechen, ist kein Anlaß für die Kirchlichen, sie nicht zu überdenken. loachim Bodamer zum Beispiel macht eindeutige Vorschläge. Er geht von richtigen Grundsätzen der Kritik aus (S. 201 f.), man hört von einem in diesen Belangen Wissenden noch gern, „daß die Kirche vom Wesen, von der Bedingtheit, von der seelischen Struktur des heutigen Menschen keine oder eine recht unzulängliche Vorstellung hat“ (S. 203). Wenn er aber die gegenwärtige Bedingtheit zum Maß des Unbedingten nimmt und die Ehescheidung fordert, weil die Ehe heute nichts ist als „ein Zweckverband zweier Partner ... um gemeinsam möglichst viel von der scheinbar lebenssteigernden Möglichkeit der technischen Welt zu genießen“ (S. 204), dann sind das nicht nur zwei relativ verschiedene Auffassungen von der Ehe, sondern Gegensätze. Die Kirche kann nur zum Wort des Herrn stehen. Selten, daß in diesem Buch so griffige Vorschläge stehen, wie die zur Form des Laienapostolates bei Heinz Theo Risse (S. 111 ff.). Ebenso in der Betrachtung „Gespräch als kirchlicher Stil“ von Hans Rudolf Müller Schwefe (S. 195 ff.). Die ..Kritik“ des Katholiken Alfons Auer ist eher eine Apologie der Kirche in ihrer geschichtlichen Erscheinung.

lenseits aller Bedenken gegen die Veröffentlichung überhaupt, gegen Ansichten, die hier vorgebracht werden und die wir nur in Auswahl andeuten können, bleibt es eine ernste Pflicht aller, die die Kirche lieben, an der Aktualität dieses Buches sehend oder sehender zu werden. Das unheimliche Unbehagen, daß sich „bei äußerer Intaktheit der kirchlichen Institutionen ein zunehmender Schwund des Glaubens“ vollzieht (S. 17), daß wir mehr charismatische als intelligente Theologen und Prediger nötig hätten, muß gehört werden. Was hier vorgebracht wird über die Pfarre von Individualisten mit ihrem Erlösungsegoismus, über die Ohnmacht vor den menschlichen Kollektiven, ist sehr des Nachdenkens wert. Selbst ein Satz, wie: „Die konventionelle kirchliche Christenheit befindet sich in Selbstverteidigung gegenüber Christus und Seiner furchtbaren Herausforderung“, muß zu Herzen genommen werden; selbst wenn man weiß, daß ein Protestant ihn aussprach. Auch den: „Gott ist der Welt am nächsten in Seiner Gottverlassenheit gekommen, in der Kreuzigung.“ „Es ist schauerlich, erschwerend, tagtäglich sehen zu müssen, wie schnell Theologen und Kirchenmänner mit Antworten zur Stelle sind“ (S. 28). „Geschichte ist Hingabe in den Wandel, in extreme Unsicherheit ... denn die Kirche, die Kirchen haben faktisch immer wieder die Unsicherheit wagen müssen“ (S. 31). „Der (nur) urteilende, (also der) nicht miterfahrende, mitleidende, mitwagende, mitscheiternde und dergestalt nicht mitdenkende Christ verfehlt so die Zeit, die Zeitgenossenschaft“ (S. 33).

Die Vertreter beider Konfessionen haben vor allem schwere Wünsche an die Prediger. „Vielleicht ist der christliche Glaube in der Geschichte niemals so sprachlos gewesen wie gegenwärtig ... trotz der Quantität des Geredes über den Glauben“ (S. 148). Die gelegentlichen Versuche der Prediger, die Sprache zu „modernisieren“, führen zum largon. Das Anliegen ist nicht „eine Frage des Wortschatzes, sondern der Existenz“. Was heißt das? Die Predigt „wird erst zum Worte Gottes (in dieser Zeit), indem es ausgelegt, aktualisiert, aneignungsfähig gemacht wird“. Die Selbstsicherheit mancher Prediger (neben der Vorsichtigkeit, der bis ins Wort gegebenen Zuverlässigkeit, dem realistischen Verzicht auf ein Gesamtverständnis und einer verabsolutierenden Deutung, neben der Behutsamkeit gegenüber dem Nicht-erklärbaren in der. gegenwärtigen Wissenschaft) ahnt gar nicht, „wie sehr sie ihren Mitmenschen mit der Menge ihrer unreflektierten Behauptungen auf die Nerven geht“ (S. 150). „Mit Vollmacht kann zu mir nur gesprochen werden, wenn ein Wort aus der tiefsten Kenntnis meiner Menschlichkeit mich in meiner ganzen Wirklichkeit jetzt und hier betrifft“, bekennt einer (S. 317). Der Ausspruch ist, was die Einleitung betrifft, dogmatisch belangbar. Was aber die Wirkung einer Predigt anlangt, kann, von der Gnade abgesehen, der Sachverhalt nicht schärfer ausgedrückt werden. ^

Es kann unmöglich Sache der Besprechung eines solchen Buches sein, die Themen und Anregungen, die es anbietet, erschöpfend auch nur zu nennen. Die letzten Themen deser Reihe beginnen immer mit der Frage: „Was erwarteten ... von der Kirche“: die Jugend, die Frauen, die Wissenschaftler, die Politiker, die Außenstehenden, ja: die Juden, und auch: die Kommunisten. Hören wir noch auf die Antwort des letzten hin: des Kommunisten Erich Müller-Gangloff. Er findet, daß die Frage, an ihn gestellt, absurd, paradox, ja idiotisch ist. Seine erste drastische Antwort ist ehrlich: „Die Kommunisten erwarten von der Kirche, daß sie so bald wie möglich verschwindet“ (S. 255). „Von den zwei Milliarden Menschen auf unserem Erdball, die keine Christen sind, ist ziemlich genau die Hälfte kommunistisch oder lebt zumindest in einem kommunistisch regierten Land. Die kommunistische Milliarde ist allein schon durch ihr Vorhandensein eine Anklage gegen die Christenheit.“ Der Kommunismus ist „zu einem erheblichen Teil seiner Existenz das Ergebnis fehlgeschlagener Erwartungen“ (S. 256). Es waren Erwartungen, die man auf das Christentum gesetzt hat. Merken wir denn nicht, „daß es die christlichen Länder sind, die sich heute am hemmungslosesten dem Kult des Lebensstandards hingeben, während der nichtchristliche Teil der Welt von fortlaufenden Hungers- und Elendskatastrophen heimgesucht wird?“ (S. 258) ... „Daß angesichts drohender Weltkonflikte auch die Christen in ihrer Mehrzahl keine bessere Lösung als die der stärkeren Bataillone wissen?“ Dennoch hält er es für möglich, daß eine Kirche, die sich vom Evangelium her selber neu zu verstehen gelernt hat, „die heute so selbstgewiß auftretenden Atheisten und Kommunisten zu einem gründlichen Ueberdenken ihrer Positionen veranlassen kann“! (S. 259). *

Abschließend sei hervorgehoben, daß der Beantworter der Frage „Was erwarten die Wissenschaftler von der Kirche?“, Gerhard Günther, sachlich und in der Form die ernsteste und vornehmste Antwort ohne jede unzuständige Kritik gibt. Der Wahrheitsanspruch der Kirche „ist absolut, auch gegenüber dem, was die Wissenschaft als Wahrheit versteht“ (S. 243). Denn die Wahrheit der Wissenschaft ist „die Meinung der jeweils lebenden und anerkannten Forschergeneration“. Er formuliert scharf und überbescheiden: „wissenschaftliche Wahrheit ist nichts anderes als die spezielle Form des jeweiligen Irrtums von heute“. „Ein unvermeidlicher und unauflöslicher Konflikt zwischen Wissen und Glauben erscheint daher heute bei uns als ausgeschlossen“ (S. 244). Die Wissenschaft verwahrt sich aber aus dem gleichen Grund „gegen eine unzulässige und unzulängliche Verwertung ihrer Ergebnisse zum Beweis von Sätzen, die von ihrer Seite überhaupt nicht bewiesen werden können“ ... „Vor der Divinität aber stehen der Wissenschaftler und der Theologe mit gleichem Stand wie jeder denkende und suchende Mensch“ (S. 247).

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