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Digital In Arbeit

Die aktivistischen Kräfte im kirchlichen Leben

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Mit dem Untertitel, der diesen Ausführungen vorangestellt ist, will der Verfasser sagen, daß er untersuchende Erörterung, Aussprache anregen will. Es erscheint der „Furche“ Aufgabe, dort, wo das Grundsätzliche gewährleistet ist, auch einem solchen freien, aus der Mitte der jüngeren Generation aufklingenden Wort Raum zu geben. „Die Furche“

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Mit dem Untertitel, der diesen Ausführungen vorangestellt ist, will der Verfasser sagen, daß er untersuchende Erörterung, Aussprache anregen will. Es erscheint der „Furche“ Aufgabe, dort, wo das Grundsätzliche gewährleistet ist, auch einem solchen freien, aus der Mitte der jüngeren Generation aufklingenden Wort Raum zu geben. „Die Furche“

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In den Katakombenzeiten kirchenchristlichen Lebens ist das Ziel notwendigerweise nicht in die Weite gerichtet, nicht auf den Raumgewinn, sondern auf das Bewahren. Die Arbeit stellt sich in einer verhaltenen Aktivität dar, die zur Wahrung jener Werte erforderlich ist, die vor dem Abstieg in das Dunkel schon da waren. In einer spontanen und ursprünglichen Form des Arbeitens werden die organisatorischen Gefüge weitgehend gelockert. Das christliche Leben erhält so eine Elastizität, die es ihm mögRch macht, vielen, vorweg nicht mehr absehbaren Situationen 7sn begegnen.

Nun aber darf sich das christliche Leben wieder im vollen Sonnenlicht entfalten.

Zumindest in Österreich. Es ist selbstverständlich, daß die Methoden der Arbeit da einer Wandlung unterzogen werden müssen, die nicht unbedingt einer Rückverwandlung gleichkommen muß.

Das Leben der Kirche ist irgendwie auf das Leben der Welt abgestimmt. Diese Welv der Raum des sichtbaren Wirkens der Kirche, ist aber in der Art ihrer Äußerungen seit 1938 unzweifelhaft eine andere geworden. Daher muß auch das Kirchenvolk den Versuch machen, zwischen Men Darstellungsformen ihres Wirkens und der „modernen“ Welt ein Entsprechungsverhältnis herzustellen. Wir können freudig gestehen, daß dieser Versuch in seinen Grundzügen vor allem im Westen bereits vor Jahren mit Erfolg gemacht wurde. J, es scheint uns, als ob die Kirche, etwa in den sozialen Fragen der Welt, auch in Dingen des Weltlichen bereits durch klare Formulierungen voraus ist.

Nach diesem Krieg steht die Kirche unbelastet vor dem Kirchenvolk und der großen Welt da. Der Zusammenbruch des Materialismus aller Riten hat eine Auf-

geschlossenheit für die hohen Ideale des Christlichen zur Folge. Es scheint eine neue Zeit eröffnet.

Der christliche A k tivismus war in den letzten Jahren der verborgenen Arbeit nach vielen Seiten gehemmt. So sollten jetzt alle Möglichkeiten christlichen Wirkens genützt werden. Und wenn es not tut — es scheint, so zu sein — auch in jener Form, die man als „Organisation“ bezeichnet. Die Sozialnatur des Menschen verlangt nach Bindung, die Sendungsaüfgabe, welche der Kirche gestellt ist, verbietet es, Energien sinnlos zu vergeuden, etwa hur um eines Experimentes willen. Oder um unter allen Umständen anders als die anderen zu sein.

Wie immer man über Organisation denken mag, sie ist aus dem Leben der Kirche nicht wegzudenken, keinesfalls aus dem Leben der Industriekirche und der Missionen.

Die Pfarre muß immer die ursprüngliche, nachfamiliäre Gemeinschaft des Christen sein. Daher liegt die Betonung der pfarrlichen Bindung auf der Linie eines Voranstellens der hierarchischen Gliederung des kirchlichen „Organisationsgebäudes. In dieser Hierardiie gibt es aber auch ein Diözesanvolk. Und daneben noch, wenn auch nicht formell festgelegt, so etwas wie beispielsweise einen gesamtösterreichischen Katholizismus. Ist aber dieser gesamtösterreichische Katholizismus identisch mit der Summe der einzelnen Pfarrgemeinschaften? Oder ist er mehr? Uns will scheinen, daß es notwendig ist, eine Überbetonung des pfarrlichen Prinzips zu verhindern, damit nicht Mauern schon zwischen den kleinsten Bereichen entstehen.

Zudem ist die Pfarre auf Grund der ihr zur Verfügung stehenden und lokal begrenzten Möglichkeiten nicht in der Lage, das gesamte kirchliche Leben in sich zu fassen. Wir merken das ganz besonders in den Städten. Dabei wollen wir keineswegs jener Form der Verbände das Won reden, die den Christen zum Massenchristen und den Seelsorger zum Vereinssekretär gemacht haben. Es ist aber notwendig, über die Pfarren hinaus die Christen, die in ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl hinein-, wtchsen sollen und in ein Wissen um den Mitmenschen und Mitchristen, auch um jene auf der anderen Seite der Gemarkungen der Pfarre, zusammenzufassen in Formen, die dieser Zeit und ihren Besonderheiten entsprechen.

Dann sind da christliche Aufgaben, deren Lösung im engen Rahmen der Pfarre einfach deswegen nicht möglich ist, weil die Christen, die zu bestimmten Aufgaben zusammengefaßt werden sollen, oft den verschiedensten Pfarren angehören, oder aber, wie die Hochschüler aus der Provinz, keine bestimmte Pfarre besitzen. Diese Tatsache hat man unter anderem bei der Organisation der Mittels-'huljugend nicht genügend beachtet, so daß man in diesem so wichtigen Bereich der Seelsorgearbeit bis heute so gut wie gar nichts erreicht hat.

An Stelle der Verbände, deren Vorhandensein in irgendeiner geläuterten Form von vielen als notwendig anerkannt wird, sind heute lose, spontane und unkontroL. lierbare Gemeinschaften getreten, oft in Klubform, als Diskussionskreise, als persönliche Bindungen mit einem bedeutenden Menschen als Mittelpunkt. Diese viel-fältigen Zusammenfassungen, deren Existenzberechtigung nicht immer einsichtig ist, sind irgendwie ein Index für das Fehlen der Bünde, bei deren Namensnennung man sich gerechterweise nicht immer nur an die Schattenseiten ihres Wirkens erinnern darf. Man soll, will man nicht undankbar sein;

als ein Beispiel unter vielen, nicht der Tiefen- und Breitenwirkung des alten „Reichsbundes“ vergessen, zumindest vor 1933. Von da ab war wohl unleugbar im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen ein Absinken feststellbar.

Die große Schar der Heimkehrer hat nach diesem Krieg eine andere Aufnahme gefunden als nach 1918. Vor allem deshalb, weil die Nachkriegsverhältnisse kaum diesmal mit denen des letzten Weltkrieges vergleichbar sind. Eine Folge des zuweilen mehr als kühlen Willkommens in der Heimat ist das Bewußtsein einer Vereinsamung der ehemaligen Soldaten, die das Gefühl haben, Zumindestens „zu spät“ gekommen zu sein.

Wie steht nun die Seelsorge zu den Heimkehrern? Ist diese amorphe Gruppe für sie die Angelegenheit einer besonderen Organisation? Wir haben nicht diesen Eindruck. Nun sind aber die Hunderttausende von jungen Menschen, die aus den geradezu abschließenden Erlebnissen der letzten Kesselschlachten und der Massenlager in die aus vielen Wunden blutende Heimat kommen, Menschen einer besonderen Art. Ist da nicht ein liebevolles Hineinführen in die neuen Gemeinschaften unter Bedacht-nahme auf die unverschuldete seelische Verwahrlosung und das zum Teil nicht unberechtigte Mißtrauen gegen das zivile Leben ein Gebot der Seelsorge? Für das Jungvolk sind die Heimkehrer meist zu alt, vielleicht auch zu reif. Für die Männerorganisationen dagegen (abgesehen davon, daß diese erst im Aufbau sind) hingegen zu jung. Jungmannschaften oder Jungmännerbünde gibt es bedauerlicherweise nicht. Auch eine katholische Organisation für Leibesübungen ist nicht vorhanden. Das Heimkehrerproblem ist da und bedarf einer seelsorglichen Anteilnahme.

Soweit das Problem der ehemaligen Nationalsozialister. ein politisches oder die Angelegenheit des Strafrichters ist, hat sich die Kirche kaum organisatorisch zu engagieren. Sobald diese Frage aber zu einer solchen der christlichen Liebe wird, muß im politisch Enterbten nur mehr der Mitmensch gesehen werden.* Hier wird die Gleichheit aller vor Gott in einer dem Ungläubigen freilich kaum sichtbaren Eindringlichkeit offenbar. Für die Kirche darf es in der Hilfe keine Vorfrage geben, sondern nur die Pflicht eines Helfens in der Reihenfolge der Dringlichkeit der Not.

Gleiches gilt für die Not der Heimatlosen. Auf den Stationen ihres Leidensweges haben sie nur in der Kirche vorbehaltlose, nicht beamtete Hilfe gefunden und werden sie noch finden müssen. Denn die Not dieser Menschen ist in dem Ausmaß im Wachsen, in dem sie ihre Substanz verbrauchen. Ohne Rücksicht auf Herkunft oder Konfession ist diese christliche Hilfe eine der großartigsten Hinweise auf die Möglichkeit, auch in dieser Zelt des Hasses und des Abgrenzens von Interessen über alle Barrikaden des Mißtrauens hinweg vom Bruder zum Bruder zu finden und damit zu einer Weltgemeinschaft besonderer Art, die wohl geeignet ist, die andere, die politische und erst in dürftigen Anfängen befindliche, zu ergänzen. Hier liegt die größte Bewährungsprobe des österreichischen Christentums.. Man darf sagen, daß sie bis jetzt bereits gut bestanden wurde. Das Wort Gottes muß noch mehr als bisher in der Sprache dieser Zeit verkündet werden. So wie der Heilige Vater offen zu einem so alltäglich scheinenden Problem wie dem des Schleichhandels Stellung genommen hat, so ist es notwendig, auch von den Kanzeln aus der Fülle der Heilswahrheit zu den brennenden Fragen der Zeit Wesentliches zu sagen. Auch die Formulierungen und Fragestellungen müssen so sein, daß der einfache Mann wie der Akademiker die Möglichkeit hat, das Wort des Herrn nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit dem Verstand zu hören. Es ist notwendig, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß man manchmal den Eindruck gewinnt, daß Zuhörer und Prediger keineswegs eine Einheit bilden.

Die junge Kirche muß noch mehr als bisher in ihrer Bede itung gewürdigt und in die Verantwortung genommen werden. Die junge Kirche ist nicht lediglich eine solche der Jungen allein. Es ist die neue Form heißen, leidenschaftlichen christlichen Wollens, das jeder Phrase abhold ist und in der Zeit steht. An uns ist es, dem jungen Leben Raum und Wirkmöglichkeit zu geben, dam-t es missionarisch von der Kirche in die große Welt übergreifen kann.

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