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Das „Elite-Pathos” fehlt

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Für den Bund Neuland stand seit seiner Gründung immer das Christentum katholischer Provenienz im Mittelpunkt. Man wollte die veralteten Formen mit neuem Geist beleben, die nur versunkenen und vergessenen Reichtümer frühkirchlicher oder mittelalterlicher Schätze wie zum Beispiel den Choral für das kirchliche Leben und besonders für die Eucharistiefeier wieder heben und mit den berauschenden „Aufbrüchen” und „Bewegungen” deutscher und anderer Jugend verbinden. Der schwelende Reichsgedanke zog sich auf die Kirche zurück, auf ein Reich nicht von dieser Welt, und so war auch der entsprechende Kultus allzusehr nicht von dieser Welt (die liturgische Bewegung). Es war ja auch das Deutschtum der Zeit nach 1918 kein wirklich individuelles, sondern ebenso ein bloß allgemeines wie der Christkönigs- oder Reichsgedanke. Es ist ja bekannt, daß sich eine gewisse Herrenmoral und grenzenlose Unterwürfigkeit einigermaßen fördern. So war ja auch die Jugendbewegung und Neuland, trotz des Stolzes, alles Vergangene entbehren und durch Besseres ersetzen zu können, nie antiklerikal. Im Gegenteil: Die wilde Freiheit hatte man zu nichts anderem ins Treffen geschickt, als den strengen Ordo-Gedan- ken gegen seine Unterhöhlung durch die „Unechtheit”, „Verlogenheit”, „Unnatürlichkeit” und „Verspieße- rung” der bürgerlichen Gesellschaft zu retten. Leider wurde dann im Nonkonformismus die Allgemeinheit von „Reich”, „Echtheit”, „Natürlichkeit” so leer, daß sie den Unterschied von jenseitiger und diesseitiger Verwirklichung völlig zugunsten des letzteren verwischte. So trat denn in der Folge der Ordo-Gedanke wirklich konsequent auf. Er muß aber bei einem Wesen, das eben nicht eingeordnet oder einordbar ist ohne zugleich frei zu sein, notwendig Umschlägen in die absolute Willkür. Hier hatte sich der Ordo-Gedanke auf seine absolute Spitze gestellt mit all seinen tugendhaften Waffen wie Gehorsam, Treue, Gefolgschaft, Demut, Aufopferung des einzelnen für ein Ganzes, das selbst wiederum nichts ist als die Subjektivität und Willkür des einzelnen. Solche Tugenden fordert jedie unmittelbar auf Gott sich berufende Führung. Diese furchtbare Peripetie der deutschen bürgerlichen Gesellschaft war zugleich ihr Ende, somit auch das Ende jeder, auch der althergebrachten und freien österreichischen Jugendbewegung.

Echtheit und Natürlichkeit

Es hatte sich gezeigt, daß die Echtheit und Natürlichkeit, die Einfachheit und Offenheit zwar eine Jugendgemeinschaft vorübergehend beglücken können, daß aber die Freiheit aus diesen sehnsüchtigen Idealen weiterschreiten muß an die wirkliche Arbeit: zu sehen, welche Möglichkeiten uns unsere bestimmte Gegenwart bietet und wie man sich durch sie konkret bestimmt, um sie dann ihrerseits bestimmen zu können. Freilich war auch dieser wilde Aufbruch der Freiheit von allem, insbesondere vom Traditionalismus, notwendig. Denn vor der Jugendbewegung: Wer konnte da wirklich jung sein in dem Sinne, wirklich alle möglichen Grenzen in Frage zu stellen, das heißt frei und selbstverantwortlich zu handeln, wo die Sitte und die bürgerliche Gesellschaft nicht für uns handeln kann? Aber die Alternative ist wiederum nicht: bedingungslos bleiben um jeden Preis. Und die es von den Jugendbewegten so gehalten haben, waren die ersten, die vergreisten, weil sie auf ihrer leeren Subjektivität be- harrten und ihnen nichts Neues unter der Sonne mehr Unterkommen konnte. Das einzige Neuland wäre nur die Negation alles Bisherigen gewesen, ohne daß man sich je in den Dienst der Konkretheit der bestimmten allgemeinen Vernunft gestellt hätte. Aber das war nur eine Minderheit im alten Bund Neuland. Die anderen fanden schon — vielleicht trotzdem — zu ihrer Konkretheit zurück.

Wiedererstehen nach dem Krieg

Warum aber gibt es dann heute noch einen Bund Neuland? Viele, die Neuland aus der Zeit vor dem Krieg gekannt haben, werden sich das schon lange fragen. 1938 bis 1950 gab es auch de facto keinen Bund Neuland. Erst dann begannen sich wieder einige Gruppen zu sammeln, zunächst vor allem die Kinder der alten Neuländer. Als diese Gruppen, die sich mit den Älteren immer wieder auf Lagern und Tagungen trafen, dann heranwuchsen und selbst neue Gruppen gründeten, ergab sich die heutige Einteilung des Bundes in folgende Schichten: die Jungenschaft (10- bis 18jährige, derzeit in Österreich etwa 200 bis 300 Buben und Mädchen), die Mittleren (hauptsächlich unsere Hochschüler, im Alter von 18 bis 25 Jahren, zirka ebenfalls 200 in ganz Österreich) und die Älteren (da sich viele Vorkriegsneulän- der nicht mehr zu dieser ihrer Jugendsünde, wie sie vielleicht sagen, bekennen, bleiben etwa 400 bis 500 Personen). Zum Unterschied von anderen Jugendgruppen, die sich aufzulösen pflegen, wenn die Mitglieder etwa 18 Jahre alt sind, wird hier das Leben der Gruppen länger aufrecht erhalten, weil es sich größtenteils um Studenten handelt. Es bleiben sehr viele auch später befreundet, aber zu einer echten Solidarität ä la CV haben wir es nur in den seltensten Fällen gebracht. Soviel über die Organisation, die aber die Frage zu Anfang dieses Absatzes noch nicht beantwortet.

Wie schon angedeutet, ist es das Hauptanliegen des Bundes, die Probleme, denen sich das Christentum und die katholische Kirche gegenübergestellt sieht, durchzudenken und soweit sich Lösungen, Mittel und Wege zeigen, diese konsequent zu verfolgen. Insofeme haben wir aus den Fehlern der Älteren gelernt: Die Demokratie und unser Staat, die ja der Jugendbewegung wegen ihres schwind- und sehnsüchtigen Reichs- flebers ziemlich tabu waren, haben sich in doppeltem Sinne, Gott sei Dank, als konkreter erwiesen, jedenfalls so konkret, daß wir heute (noch) so frei sind, daß wir uns in ihnen engagieren können. Gerade aber vom Gedanken der Demokratie haben wir in unseren bestimmt nicht leichtfertigen Bemühungen die größten Schwierigkeiten bezüglich des Problems der Kirche zu bekämpfen, insbesondere, weil wir uns — in vielem mit dem Konzil — fragen, ob und wieweit das Christentum in seiner Konkretheit dieser monarchischen Institution als Institution bedarf usw. Dies läßt sich hier nicht näher ausführen. Aber gerade die heftigsten Lebenszeichen des Bundes, seine Tagungen (Besuch zirka 150 bis 500 Personen) und seine Zeitschrift (zirka 1000 Abonnenten) haben nur das Ziel und die Bemühung zugrunde liegen, die Spanne der Probleme zu durchmessen, über die man sich im klaren sein muß, soll man als junger Akademiker ein so differenziertes Leben führen können, wie es ohne Zweifel notwendig ist, um den Anliegen im Glauben und im Staate heute einigermaßen gerecht zu werden. Deshalb unterziehen wir uns auch — und der Leser unserer Zeitschrift „Neuland” wird dies bestätigen — mit viel Mühe der Aufgabe, alle Mittel, die sich nur anbieten, dazu heranzuziehen, vor allem die philosophische und theologische Tradition. Deshalb studieren wir auch mit Eifer die Bemühungen anderer Ideologien, besonders auch den Marxismus und seinen Versuch, die „Humanität” in die Wirklichkeit zu übertragen.

Wir wissen, daß wir uns in diesen Bemühungen von anderen Gruppen nur wenig unterscheiden, aber wenn eine Gemeinschaft von Menschen besteht, hat sie doch auch schon in gewisser Weise das Recht ihrer Existenz in sich. Aus diesen Sätzen wird man ersehen, daß sich das bei uns zu gewissen Zeiten sehr beliebte Elite-Pathos einigermaßen verschämt gelegt hat. Denn wenn man ein vernünftiges Leben führen und nicht an der Wahrheit und Wirklichkeit unserer Zeit vorbeileben will, hat jeder einzelne und jede kleine Gemeinde zuviel zu tun, als daß sie die Zeit aufbrächte, nachzuforschen, wer denn nun schlechter oder besser sei.

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