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Das neue Klima?

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Das Wort Oesterreich hat heute in der Welt einen guten Klang. Heute wird vieles, was in Oesterreich versucht und gewirkt wird, mit Interesse, ja mit Sympathie betrachtet. Diese Sympathie ist so groß, daß sie den Oesterreicher oft verschämt und verlegen macht, weil sie in uns mehr Glauben hineinlegt, als wir selbst oft haben. Wer sich als Oesterreicher im Ausland in ein politisches Gespräch gezogen sieht, wird in neun von zehn Fällen anerkennende Worte, ja Bewunderung für die innerpolitische Stabilität Oesterreichs hören, er wird die Zusammenarbeit der Parteien in Oesterreich gewürdigt sehen, eine Zusammenarbeit, die sich der Ausländer zumeist viel reibungsloser und fruchtbarer vorstellt, als sie dem Oesterreicher selbst erscheint. Nicht das österreichische „Wirtschaftswunder“ ist es in erster Linie, das dem Fremden imponiert, das Neue, das der Fremde in Oesterreich zu sehen glaubt, ist ein politisches, ein geistiges, ein kulturpolitisches Phänomen. Und so sieht sich der Oesterreicher bald der interessierten Frage gegenüber, was von dem neuen Verhältnis zwischen Arbeiterschaft und Kirche, zwischen Sozialismus und Kirche zu halten sei, von dem neuen Verhältnis zwischen Kirche und Parteien in Oesterreich. Und wieder wird der Oesterreicher etwas verschämt und verlegen ob solcher Meinung über das, was in Oesterreich geschieht oder nicht geschieht, wenn er an den Kleinkrieg in der Heimat denkt, an die Intrigen und Denunziationen, an Wahltaktik und Stimmenfang, an das massive Werben alter oder neuer Freunde um die Kirche ,und die Katholiken und das oft so aussichtslos erscheiweride Rerffühert' weniger, hier einen Kurs zu steuern. Das mag ihm so gar nicht imponierend vorkommen, so, gar nicht zukunftweisend, so daß er sich fragt, ob das alles nicht Einbildung sei. Aber die Frage ist gestellt, so sei sie beantwortet, dem Fremden, dem wohlmeinenden Fremden, der so viel von uns und unserer Entwicklung hält.

Das Oesterreich, das 1945 aus Schutt und Trümmern wieder erstand, war zwar staatsrechtlich und im Bewußtsein seiner Bewohner das alte Oesterreich, in Wirklichkeit aber war es ein neues Oesterreich, neu in seinem Glauben an sich selbst, neu in seinem Wollen, aus dem tragischen Geschehen der Vergangenheit zu lernen. Die zwei Parteien, die bei den ersten Wahlen 1945 in nahezu unveränderter Stärke wie vor fünfzehn Jahren wieder erstanden waren, standen sich nun anders gegenüber. Daß sie nun miteinander arbeiteten, statt gegeneinander, ist gewiß nicht allein dem Zwang des Besatzungsregimes zuzuschreiben. Stärker noch als alle realen Notwendigkeiten sprach das Bewußtsein, daß es so nicht mehr kommen dürfe, wie es einmal war.

DIE DISTANZ WAR GLEICH GROSS

Und die Kirche, die Katholiken? Die Kirche hatte schon 1933 ihre Priester aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen, es bedurfte keinerlei Erörterung; daß dieser Beschluß jetzt erst recht gelten mußte. Das muß natürlich nicht und konnte auch nicht heißen, daß der Kirche nun die beiden Parteien in gleicher Weise lieb waren, daß die Distanz zwischen ihr und den Parteien gleich groß war. Die Volkspartei stand unter der Führung von einwandfreien katholischen Männern, die sich zum Teil in der Vergangenheit bewährt hatten, bei den Sozialisten überwog ebenfalls der alte Kader in der Führung. Aber immerhin, die Volkspartei nannte sich nicht katholisch, auch nicht mehr christlich, die Sozialisten aktivierten nicht mehr den militanten Atheismus der Freidenkerbewegung. Die Kirche verzichtete auf einen direkten Eingriff in die Tagespolitik, wo aber ihre Sympathien lagen, darüber konnte kein ZweifJ sein.

Das neue Verhältnis war eher dur-h ein Ne-gativum gekennzeichnet. An Stelle des heftigen Kampfes der sozialistischen Partei gegen die Kirche und der scharfen Erklärungen und Ver-

Wahrungen der Kirche gegen diese Partei trat eine Art Nichtangriffspakt, ein kühles distanziertes Gegenüberstehen, das keine Angriffs-, aber auch keine Berührungspunkte suchte. Ein neues Klima war es nicht. Es gab zwar keine Stürme mehr, aber das Eis war noch nicht gebrochen. Mehr als zehn Jahre später war es, daß der Erzbischof von Wien dieses Bild gebrauchte.

DER KAMPF UM DIE „RANDSCHICHTEN“

Daß es dazu gekommen ist, hat viele Ursachen. Ein Teil dieser Ursachen liegt in der konträren Entwicklung der beiden Parteien. Beide Parteien standen und stehen unter dem Gesetz jeder politischen Organisation, daß sie stark bleiben bzw. noch stärker werden wollen, beiden ging es darum, neben ihren Kernschichten die sogenannten Randschichten zu gewinnen. Diese Randschichten aber lagen bei jeder Partei woanders. Die Volkspartei sah ihre Randschichten in den Kreisen eines liberalen Bürgertums, in den Resten der „Ehemaligen“, der früheren Deutschnationalen und Nationalsozialisten. Auf die Mentalität dieser Schichten mußte sie Rücksicht nehmen, wollte sie dem Sozialismus in Oesterreich eine geschlossene antisozialistische, „bürgerliche“ Front gegenüberstellen. Die Volkspartei hatte sich zwar auf den Wahlplakaten 1945 als die österreichische Labour-Party bezeichnet, aber zum Unterschied von den anderen christlich-demokratischen Parteien Europas (von der MRP in Frankreich, den Christlichsozialen in Belgien, der Democristiani in Italien und der deutschen CDU), zumindest in ihren Anfängen, hat sie keinen starken eigenständigen „linken Flügel“ entwickelt. Sie wurde, stärker noch vielleicht als ihre Vorgängerin in der Ersten Republik, zur bürgerlichen Sammelpartei Oesterreichs, als die sie sich auch heute bezeichnet. Nun ist die Mentalität der nationalen und liberalen Randschichten, die die Volkspartei gewinnen mußte, da ihr ja eine Oeffnung nach links unter diesen Umständen versagt war, gekennzeichnet von den Ruckständen alter antiklerikaler Affekte. Das heißt noch nicht, daß sich die OeVP von einer katholischen in eine antiklerikale Partei gehandelt hätte, die Männer der obersten Führung der Partei können in ihrer katholischen Ueber-zeugung und Haltung nicht angezweifelt werden. Wohl aber ist das mittlere Führungskorps der Partei in den Bundesländern schon stärker von Elementen durchsetzt, die gewiß nicht zum katholischen Kader gerechnet werden können. Sie können das Gesicht der Partei heute gewiß nicht wandeln, sie zwingen die Partei aber zur Rücksichtnahme. Dazu kommt noch, daß vor allem die liberalen Kreise auch die finanzkräftigeren sind und schon deswegen naturgemäß einen Einfluß haben, der über ihre Zahl hinausgeht. Dabei mag der subjektive gute Glauben der Parteiführung nicht angezweifelt werden, mit Hilfe liberaler und nationaler Wähler katholische Forderungen durchsetzen zu können.

Bei der gegebenen Situation mag diese Entwicklung zwangsläufig erscheinen. Es wäre ungerecht, der Volkspartei deswegen von katholischer Seite einen Vorwurf machen zu wollen. Nicht minder ungerecht aber ist es, wenn von manchen Kreisen der Volkspartei den Katholiken der Vorwurf gemacht wird, sie hätten diese Entwicklung selbst verschuldet, weil sie sich nicht im entsprechenden Maß in der Partei engagiert hätten. An der Sympathie, einer mitunter sehr aktiven Sympathie der verschiedensten katholischen Kreise und Organisationen für die Volkspartei hat es gewiß nicht gemangelt, einer aktiven Mitarbeit setzt die Parteistruktur Schranken. An einen offiziellen Einsatz der Kirche ist aber heute gewiß nicht zu denken, und das will die Partei gewiß auch nicht.

NUR TAKTIK?

Für die Sozialisten liegen die Randschichten anderswo: bei jenen Arbeitern und Angestellten, Rentnern, Kleinbauern und Landarbeitern, die bisher aus Tradition und auch Ueberzeugung nicht sozialistisch wählten. Diese Kreise, meinten die Sozialisten, zählten gewiß nicht zum Bürgertum und müßten daher nicht immer Wähler einer bürgerlichen Partei sein, wenn es gelänge, sie davon zu überzeugen, daß die sozialistische Partei von heute nicht mehr die kulturkämpferische, religionsfeindliche Partei von gestern ist. Soweit mag das Bestreben der Sozialisten, sich auch für die Katholiken als durchaus wählbar zu empfehlen, gewiß ebenso Taktik sein, wie das Bestreben der Volkspartei, liberale und nationale Kreise, die soziologisch zum Bürgertum gehören, für sich zu gewinnen. Es wäre aber ebenfalls ungerecht, zu verkennen, daß bei einigen, gewiß noch wenigen Männern in der Führung der SPOe und der Gewerkschaften das ehrliche Wollen besteht, nicht bloß aus taktischen, sondern aus Gründen der Ueberzeugung, alte Kampfstellungen und Vorurteile abzubauen und vielleicht aus einem inneren Erleben heraus zu einem neuen Verhältnis zur Kirche und zur Religion zu kommen.

Die Sozialisten der Monarchie, aber auch in der Ersten Republik standen im Kampf gegen eine Gesellschaft, die für sie durch den Staat und die Kirche repräsentiert wurde. In dem Maße, in dem sie selbst sich an der Führung des Staates beteiligten, in dem Maße, in dem sie sich, zum Teil zumindest, mit dem Staat und d Gesellschaft identifizierten, in dem Maße mußten sie auch ein neues Verhältnis zur Kirche suchen. Auch das ist noch kein positives Verhältnis im letzten Sinn, positiv wohl nur darin, daß sie die Existenz der Kirche zur Kenntnis nahmen und sie in ihre Berechnungen : einkalkulierten. Noch nicht positiv, in dem. Sinn, daß sie die Religion und den dogmatisch festgelegten Glauben als lebengestaltendes Prinzip bejahen. Sie sind auf dem Weg, politisch auf einem Weg in die Mitte, die ihr die Volkspartei mit ihrem Zug nach rechts freizugeben scheint. Die SPOe hofft, auf diesem Weg manches zu gewinnen. Sie wird sicherlich dabei auch manches verlieren, auch manche Wähler, nicht nur nach links, sondern auch nach rechts, die bisher nur deswegen rot wählten, weil sie auf der anderen Seite zu schwarz sahen.

Dazu kommt ein Drittes. Die Kirche als Institution in dieser Welt braucht die Gewalten dieser Welt, um die optimalen Bedingungen für • ihr seelsorgerisches Wirken sicherzustellen. Sie muß daher von sich aus versuchen, mit dem Staat und seinen Trägern immer im Gespräch zu bleiben, wer immer die Träger dieser Staatsgewalt seien, wenn man von ihr nicht die Aufgabe ihrer eigentlichen Bestimmung verlangt. Seit 1945 sind die Träger der Staatsgewalt in Oesterreich die beiden großen Parteien. Was immer die Kirche vom Staate will, sie muß mit beiden Parteien sprechen. Es hat einige Zeit gedauert, bis die Kirche diesen Weg beschritt, und es hat lange Zeit gedauert, bis sie dies beiden Parteien begreiflich gemacht hat. Der Erfolg dieses Weges ist bekannt: die Anerkennung des Konkordates durch die Bundesregierung, ein Schritt der vor wenigen Jahren noch vollkommen unmöglich erschien. Dieser Erfolg war nicht der einzige. Als letztes Ergebnis sei der gerade in den letzten Wochen bewiesene Wille zur Erfüllung der materiellen Entschädigungsansprüche der Kirche genannt.

WO IST DAS NEUE KLIMA?

Aber dies alles spielt sich in einem staatsrechtlichen, völkerrechtlichen Bereich ab. Die Anerkennung eines völkerrechtlichen Vertrages, die Anerkennung von Entschädigungsansprüchen, das sachliche Gespräch zwischen Kirche und einer Regierungspartei um eine juristische Materie ist eigentlich selbstverständlich. Wo aber ist das neue Klima, von dem unser Freund im Ausland wissen will? Wo ist es, wenn es überhaupt schon da ist? Was wir bisher konstatiert haben, sind Druckveränderungen, die zu einem neuen Klima führen können. Bevor wir aber von den Auswirkungen eines solchen Klimas sprechen können, von den ersten jungen Trieben, die jeder Frost noch zerstören, von den ersten Sonnenstrahlen, die jede schwere Wolke noch verdecken kann, wollen wir noch kurz eines erwähnen, dais uns das wichtigste erscheint. Alle gesetzlichen Maßnahmen, so wichtig sie auch sind, alle Verträge und Abmachungen, würden letztlich in der Luft hängen, basierten sie nicht auf einem neuen Bewußtsein im Volke selbst. Und dieses neue Bewußtsein scheint uns vorhanden zu sein. Ein neues religiöses Bewußtsein, das sich nicht mehr mit klassenmäßigen oder parteimäßigen Schablonen deckt. Dem Abbröckeln eines bloß traditionellen Christentums steht ein Erwachen einer neuerlebten Religiosität gegenüber. Aus einem bloßen Hinnehmen oder einem bloßen Ablehnen ist ein vielleicht noch zögerndes, aber doch ein interessiertes Bemühen geworden. Diese neue Religiosität läßt sich heute politisch vielfach nicht mehr umsetzen. Wenn die Sozialisten heute der Kirche entgegenkommen, wenn die Kirche sich aus der Tagespolitik heraushält, so ziehen beide vielfach nur die Folgerung aus dieser Wandlung. Der durch Generationen versteinerte Boden ist aufgeweicht. Hier muß die Kirche pflügen und säen. In einem Gespräch um das neue Verhältnis von Kirche und Partei ist einmal von prominentem Mund das Wort gefallen, den Sozialisten gehe es um den Wählerfang und der Kirche um den Seelenfang. Das mag bei den Sozialisten nicht falsch sein, bei der Kirche ist es absolut richtig. „Seelenfang“ ist ihre Aufgabe. Dazu ist sie berufen. Als Menschenfischer hat der Herr die Apostel ausgesandt.

NOCH IMMER, NOCH IMMER, NOCH IMMER...

Und wo sind die Früchte des neuen Klimas? Sind sie schon gereift? Wie leicht wäre es, nein zu sagen, Beispiele anzuführen, die zeigen, daß dieses Klima nicht nur keine Frucht gebracht hat, ja daß es in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sei, daß es vielleicht doch nur eine Illusion sei. Man soll sie nicht leichtnehmen, diese Einwände, sie haben ihre Berechtigung. Noch immer gibt es Betriebe, in denen Arbeiter, die sich als Katholiken, nur als Katholiken bekennen, verlacht und verfemt werden, noch sind in der sozialistischen Presse, vor allem in der Provinz, kulturkämpferische Urlaute zu hören, und in der großen Presse ist über alle Katholischen noch immer das große Tabu verhängt. Und wo man meint, sich positiv mit katholischen Dingen zu befassen, da reicht es bei allem angenommenen guten Willen nicht mehr als zu einer bloßen Anerkennung der Kirche als Kulturmacht der Vergangenheit. Noch dazu mit der eifrigen Versicherung, daß heute zu dieser Vergangenheit kein Zugang mehr bestehe. Ja, diese wohlmeinenden Diskussionen mit den Katholiken gipfeln manchmal in dem Vorschlag, die Katholiken mögen doch so unglaubwürdige Dinge, wie die Dogmen, Evangelien u. dgl., ablegen, dann könnte man sich mit ihnen schon verständigen im Sinne eines nebelhaften Humanismus. Ja, alles das gibt es, und man möchte manchmal verzweifeln bei soviel Verständnislosigkeit, auch bei gutem Willen. Gewiß, man soll nicht verallgemeinern, und dieses Verlangen, nicht zu verallgemeinern, müssen die Katholiken auch an die Sozialisten richten, wenn diese wieder mit Beispielen kommen, daß auch auf katholischer Seite ihr Wollen nicht immer und nicht überall auf Verständnis stößt. Wer wollte es leugnen? Wer wollte übersehen, daß die Kräfte der Vergangenheit stark, stärker jedenfalls, sind, als manche annehmen? Diese retardierenden Kräfte haben gewiß auch ihre Berechtigung. Nicht weil sie Nachwirkungen einer historischen Wirklichkeit der Vergangenheit darstellen, sondern weil an ihnen sich die Durchschlagskraft und das Lebensrecht der neuen Gedanken bewähren müssen, jener, die die Zukunft gestalten sollen. Was uns not tut, ist nicht Schwärmerei, keine gefährlichen Illusionen, keine irrealen Träume, sondern Geduld, Gelassenheit und Demut. Geduld, nicht die Früchte ernten wollen, bevor der Same gesät ist, Gelassenheit ängstlichen Hysterikern und allzu selbstbewußten Taktikern und Managern gegenüber, Demut vor allem, weil im letzten nicht unsere Pläne, sondern die Pläne Gottes reifen werden.

Das neue Klima? Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, ein schüchternes Grün bringt noch keinen Frühling, noch kann alles wieder zugedeckt, noch kann alles wieder anders werden. Das neue Klima, lieber Freund? Ist es da, wird es kommen? Das alte Klima war kein gutes, das eine wissen wir. Das Volk war zerrissen, das Bild der Kirche in den Augen Tausender entstellt, taub die Ohren Tausender für ihr Wort, der Boden war hart und steinig, friedlos das Land, zerrissen das Volk. Sollen wir da nicht auf ein neues Klima hoffen? Und wenn es noch nicht da ist. wollen wir nicht dafür wirken, daß es einmal kommt?

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