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Politik ohne Metaphysik?

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Ein sensibilisierendes Wort steht wieder im Raum: ÖVP-Bundesparteiobmann Josef Taus hat vom „politischen Katholizismus“ gesprochen und gemeint, der „Rückzug aus der Welt“ sei in der Kirche ein Mißverständnis gewesen. Die Frage stand freilich als Aktualität spätestens seit der Absicht der Regierungspartei im Raum, den 144 des alten Strafgesetzes zu ändern. Aber es ist keine Frage, daß die Äußerungen des ÖVP-Obmannes unpräzise waren und — möglicherweise — auch falsch interpretiert wurden. Jedenfalls hat die Kirche in der Pastoralkonstitution „Kirche in der Welt von heute“ und im Dekret über das „Laienapostolat“ klargelegt, wie und wodurch sie auch im öffentlichen — daher auch politischen — Leben präsent sein will. Und wörtlich heißt es da: „Die Spaltung zwischen dem Glauben, den man bekennt, und dem täglichen Leben vieler ist zu den größten Verirrungen unserer Zeit zu rechnen.“

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Ein sensibilisierendes Wort steht wieder im Raum: ÖVP-Bundesparteiobmann Josef Taus hat vom „politischen Katholizismus“ gesprochen und gemeint, der „Rückzug aus der Welt“ sei in der Kirche ein Mißverständnis gewesen. Die Frage stand freilich als Aktualität spätestens seit der Absicht der Regierungspartei im Raum, den 144 des alten Strafgesetzes zu ändern. Aber es ist keine Frage, daß die Äußerungen des ÖVP-Obmannes unpräzise waren und — möglicherweise — auch falsch interpretiert wurden. Jedenfalls hat die Kirche in der Pastoralkonstitution „Kirche in der Welt von heute“ und im Dekret über das „Laienapostolat“ klargelegt, wie und wodurch sie auch im öffentlichen — daher auch politischen — Leben präsent sein will. Und wörtlich heißt es da: „Die Spaltung zwischen dem Glauben, den man bekennt, und dem täglichen Leben vieler ist zu den größten Verirrungen unserer Zeit zu rechnen.“

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Die Pastorallkonstitution über „Die Kirche in der Welt von heute“ definiert ganz klar, wie sich die Kirche zur Politik stellt. Die Laien sind es, so heißt es, die zwar nicht ausschließlich, aber primär zuständig sind für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten, für das politische Leben. Sie sollen nach ihrem Gewissen „das göttliche Gesetz dem irdisch-bürgerlichen Leben aufprägen“. Und über die Rolle der Priester formulierte das Konzil: man „möge nicht glauben, daß die Hirten immer in dem Grade fachkundig seien, daß sie in jeder zuweilen auch schweren Frage, die gerade auftaucht, eine konkrete Lösung in Bereitschaft haben könnten

„Die Kirche hat, etwa im Bereich des Sittengesetzes, eine Auffassung zu haben. Die Diskussion über diese Frage wird in ganz Europa geführt, sie ist nichts österreichisches und sollte auch nicht tabuisiert werden. Man kann dem Obmann der Volks-partei, eine Partei mit einem Kern christlicher Wähler, das Recht nicht nehmen, seine Meinung zu sagen — denn daß der Obmann der große GeneraltaTctisierer ist, halte ich nicht für richtig.

Der Begriffsinhalt des „politischen Katholizismus“ hat sich selbstverständlich gewandelt; würde man das nicht zur Kenntnis nehmen, könnte man über die Frage ja überhaupt nicht mehr reden. Einen Rückfall in die Verhältnisse vor 40 Jahren — etwa in bezug auf Wahlempfehlungen von der Kanzel her, ist selbstverständlich nicht wünschenswert — aber weder ich noch meine Vorgänger haben das je gefordert. Aber ich könnte mir vorstellen, daß sich einzelne katholische Organisationen da oder dort stärker äußern oder engagieren hätten können.“

ÖVP-Parteiobmann Josef Taus auf einer Pressekonferenz oder die Sendung dazu hätten. Die Laien selbst sollen vielmehr im Lichte christlicher Weisheit... die ihnen eigenen Aufgaben angehen“.

Das Konzil konnte nur für die Weltkirche sprechen und Grundsätze formulieren, die auf der ganzen Welt anwendbar sind. Für Österreich ist die Frage der Beziehungen von Kirche und Staat, Katholiken und politischen Parteien ein Paket mit viel Sprengstoff. Um so sorgfältiger sollte man damit umgehen.

Der Sonderfall Österreich

Als in Österreich in der Zeit beginnenden parlamentarischen Lebens in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts politische Parteien entstanden, war durch die enge Bindung von Thron und Altar in der Habsburgermonarchie bereits ganz von Beginn an die Interdependenz zwischen den Parteien und der katholischen Kirche existent.

Da gab es die österreichischen Sozialdemokraten, die unter der Führung bedeutender Persönlichkeiten einen wichtigen theoretischen und politischen Beitrag für den Sozialismus in Europa lieferten. Da in Österreich im vorigen Jahrhundert die Industrialisierung nie jene Bedeutung erhielt wie in anderen westeuropäischen Staaten, richtete sich die Stoßkraft der österreichischen Sozialdemokraten schon von Beginn an nicht so sehr gegen den kapitalistischen Liberalismus, sondern in gleichem Maße auch gegen den antidemokratischen Feudalismus. Die Hierarchie aber stand mit dem Feudalismus in Österreich in enger struktureller und personeller Verbindung. So entstand (etwa im Gegensatz zu den englischen Sozialisten) in Österreich die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Sozialismus sehr früh und vehement.

Die Christlichsoziale Partei hingegen, getragen vom Kleinbürgertum Wiens, fand die Unterstützung des niederen Klerus und fortschrittlicher Kreise der Hierarchie. Ihr eindeutiges Bekenntnis zur Kirche war ihr einziges ideologisches Programm.

Als die Christlichsozialen jedoch in den letzten Tagen der Habsburgermonarchie aus einer erobernden Kampfpartei zu immer größerer Bedeutung heranwuchsen, kamen sie in immer schärferen Gegensatz zur Sozialdemokratie. Bauern, konservative Elemente der Alpenländer, ja selbst ehemalige Liberale schlössen sich der siegreichen Lueger-Partei an und minderten damit die Kampfkraft und das wirtschaftspolitische Konzept der Gewerbe- und Kleinbürgerpartei.

Auch die offizielle Kirche sah ein, daß in der Zeit des allgemeinen und gleichen Wahlrechts nur eine Massenpartei ihre Interessen vertreten konnte: Kapläne, geistliche Universitätsprofessoren, Prälaten, ja selbst Bischöfe übernahmen Funktionen in der christlichsozialen Bewegung. Ein europäischer Sonderfall in den Beziehungen zwischen Kirche und Parteien trat ein.

Nach 1918 standen sich Sozialdemokraten und Christlichsoziale wie erratische Blöcke gegenüber, die letzteren im Bündnis mit dem Altar, die ersteren in hartem Gegensatz zu einer Partei, die mit der Kirche untrennbar verbunden schien. Und wenn auch der Sozialismus primär wirtschaftliche und soziale Ziele verfolgte, so mußte er nunmehr auch weltanschauliche und damit antiklerikale Motive absorbieren. Der Verdammung des Sozialismus von den Kanzeln folgte der Kampfruf der

Austromarxisten uniter ihrem radikalen Freidenker Otto Bauer.

Als sich schließlich die Privatarmeen der Ersten Republik mit dem Gewehr in der Hand gegenüberstanden, war die Kirche in eine unheilvolle Rolle gedrängt. Und als ein katholischer Prälat, der auch Bundeskanzler war, der Polizei Schießbefehl erteilte, war die Kirche bereits in jene Entwicklung verstrickt, die den jungen Staat bis in seine Grundfesten erschütterte.

Erst nach der Besetzung Österreichs fanden im Kampf gegen einen neuen Feind Katholiken wie Sozialisten, Kleriker wie Freidenker, Zeit zur Besinnung. Neue gesellschaftliche Kräfte tauchten am Horizont auf; und in den Konzentrationslagern, wo österreichische Patrioten auf das Ende der braunen Diktatur warteten, wurde man sich klar, daß die alten Fronten nicht wieder aufgerichtet werden sollten und daß die Politik wohl das Feld der Parteien ist, nicht aber der katholischen und apostolischen Kirche Christi.

Es hat Immerhin mehr als zwanzig Jahre Zeit erfordert, in Österreich die Gesundung des Verhältnisses zwischen katholischer Kirche und politischen Parteien zu erreichen. Die neue Diagnose Staat und Kirche sind nun in ein Stadium der Beziehungen getreten, die dem Geist der Bundesverfassung entsprechen und

„Es geht in Wirklichkeit darum, daß Katholiken und Christen den Auftrag haben, inmitten dieser Welt für das Heil der Menschen zu wirken, also auch als Christen mitten in die Politik hineinwirken. Die Kirche hatte sich nie von der Welt, von der Politik, der Gesellschaft und der Kultur zurückgezogen. Das Wort vom „politischen Katholizismus“ wäre dann falsch ausgelegt, wenn es meinte, daß sich die Katholiken irgendwelchen Parteigruppierungen verschreiben würden, wenn sie mit der Macht einer Partei in die Gesellschaft hineinwirken wollten. Die Kirche hat auch in schwierigen Zeiten-gesagt, daß sie für alle Menschen da sei und daß sie niemanden vergesse. Die Kirche würde wünschen, daß alle Parteien im Staat die christlichen Grundsätze anerkennen, und sie ist froh über jede Äußerung oder Handlung eines Politikers oder einer Partei, die zeigen, daß die christlichen Grundsätze respektiert werden.“

Weihbischof Alois Wagner zum „politischen Katholizismus“ den Erfordernissen der Gegenwart einigermaßen Rechnung tragen.

Noch wuchert freilich das Ressentiment: gegen die Kirche, gegen den österreichischen Sozialismus, gegen die organisierten Katholiken. Noch kann man nicht davon reden, daß jedes Problem der verzahnten Beziehungen zwischen Konfession und Politik gelöst wäre — doch die Ansätze stimmen. Die Zweite österreichische Republik hat ihre innen- und außenpolitische Bewährung bestanden. Die Wunden der Vergangenheit vernarben, eine alte Generation stirbt ab, eine neue tritt an ihre Stelle. Diese neue Generation aber sieht in der Politik die Summe von Sachfragen, die Regelung der sozialen Beziehungen des Staatsvolkes und die wirtschaftliche Sicherung der nationalen Existenz. Die Metaphysik — so sagt man — ist kein Hilfsmittel mehr zur Steuerung des Volkseinkommens, zur Bewältigung der Agrarkrise, zur Gestaltung der Lehrpläne oder zur Auslegung der Neutralität.

So schrumpfen die Problembereiche der weltanschaulichen Determination im politischen Leben zusammen. Wahrscheinlich hat die starke Ausrichtung der Politik in der Zweiten Republik auf die wirtschaftlichen Existenzprobleme der Nachkriegszeit den eigentlichen Ausschlag für diese Entwicklung gegeben.

Ein um so bedauerlicherer Prozeß wurde mit der Änderung des Strafgesetzes durch die SPÖ nach 1970 eingeleitet. Die Haltung der Kirche und der Katholiken wurde ignoriert und man setzte sich mit Mehrheitsbeschluß über die Normen der Menschlichkeit und der Menschenrechte gegenüber den Wehrlosesten hinweg: gegenüber den Ungeborenen.

Auch um den Preis eines sogenannten Zerwürfnisses hat die Kirche, haben die Bischöfe klargestellt, daß Abtreibung Tötung ist und dem Gebot Gottes widerspricht. Mit dem demokratischen Willensakt im Volksbegehren haben hunderttausende Katholiken die politischen Parteien aber nunmehr gezwungen, nochmals über die Frage der Tötung ungeborenen Lebens im Nationalrat zu beraten.

Niemand wird und niemand kann sich an der Frage vorbeidrücken, ob man den gegenwärtigen Zustand fortsetzt und damit neben dem Tatbestand legalisierter Abtreibung auch Unzukömmlichkeiten blamabelster Art akzeptiert — öder zu einer vernünftigen Neuregelung auf der Basis der Intentionen des Volksbegehrens kommt.

Niemand kann sagen, die Katholiken Österreichs hätten sich in diesem Zusammenhang nicht kämpferisch verhalten. Das Volksbegehren und die Kampagne der „Aktion Leben“ war keine parteipolitische Aktion — aber eine durchaus Dolitische.

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