6888644-1979_38_05.jpg
Digital In Arbeit

Politik ist gut - auch für die Kirche

19451960198020002020

In der Nummer 35 hat die FURCHE einen Beitrag des Pa- storaltheologen Ferdinand Klostermann zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat, Kirche und Politik zur Diskussion gestellt. Die Diskussion läuft. Unser heutiger Autor meint, Klostermanns Beitrag „Es gibt kein Zurück mehr” habe in vielen Dingen richtige Aussagen gemacht; trotzdem solle man zu manchen Standpunkten Gegenakzente setzen.

19451960198020002020

In der Nummer 35 hat die FURCHE einen Beitrag des Pa- storaltheologen Ferdinand Klostermann zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat, Kirche und Politik zur Diskussion gestellt. Die Diskussion läuft. Unser heutiger Autor meint, Klostermanns Beitrag „Es gibt kein Zurück mehr” habe in vielen Dingen richtige Aussagen gemacht; trotzdem solle man zu manchen Standpunkten Gegenakzente setzen.

Werbung
Werbung
Werbung

Am problematischsten scheint die etwas verkürzte Sicht des politischen Prozesses in Österreich (wie aber auch in allen anderen westlichen Demokratien) zu sein, die politische Betätigung und politisches Handeln nur den Parteien zugesteht. Der demokratische Prozeß in Österreich verläuft nicht nur über das Parlament und die darin vertretenen Parteien. Die verschiedensten Verbände sind nicht hur in das Gesetzesbegutachtungsverfahren eingebunden, sondern entscheiden durch ihre Funktionäre wesentlich politisch mit. Nicht von ungefähr spricht man daher von einer Parteien- und Verbändedemokratie.

Zu dieser Verbändewirklichkeit zählt, ob sie es nun will oder nicht, die Kirche, sei es durch offizielle Gremien wie die Bischofskonferenz oder durch verschiedene Laienorganisationen. Wer sich die Geschichte der letzten Jahre und Jahrzehnte vor Augen hält, weiß sehr wohl, daß gerade im vorparlamentarischen Raum die Kirche bzw. deren Organisationen ein Gewicht besitzen, das doch auch zu politischen Erfolgen geführt hat. Daraus kann sich die Kirche nicht loslösen, solange sie eine gesellschaftlich relevante Wirklichkeit mit bestimmten Zielvorstellungen ist.

Die Kirche hat immer jenen politischen Status gehabt, der gerade historisch notwendig war, um die Heilsbotschaft Christi stärker zu verdeutlichen. Ob es die Untergrundkirche im alten Rom oder in manchen kommunistischen Staaten war, oder die halbsouveräne Landesherrlichkeit verschiedener Bistümer im Heiligen Römischen Reich bis 1803

(Reichsdeputationshauptschluß) oder die parlamentarische Betätigung von Priestern und aktiven katholischen Laien, ja sogar von Bischöfen (die meisten Diözesanbi- schöfe Altösterreichs saßen bis 1918 als Virilisten in den einzelnen Landtagen bzw. im Herrenhaus des Reichsrates): immer hat sich die Kirche in jenes System gestellt oder wurde in das von selber hineingestellt, mit dem sie am besten gesellschaftspolitische Anliegen wahrnehmen konnte.

Man kann natürlich jetzt sagen, die Kirche bzw. Laien in ihrem Namen dürfen das nicht. Die geschichtliche Entwicklung und der nach eigenen Gesetzen ablaufende politische Prozeß, in dem die Kirche, ob sie will oder nicht, einen bestimmten Stellenwert einnimmt, haben allzu deutlich bewiesen, daß sie als konkrete gesellschaftliche Wirklichkeit an der Politik nicht vorbei kann.

Klostermann ist selbstverständlich zuzustimmen, wenn er meint, daß der parteipolitische Katholizismus, die ausschließliche Betätigung der Kirche bzw. der Katholiken in einer Partei, vorbei ist. Diese Form hat im beginnenden Parlamentarismus des 19. und 20. Jahrhunderts seine Existenzberechtigung gehabt, als es galt, Kirche und Katholiken vor bestimmten kulturkämpferischen Erscheinungen zu schützen. Das ging damals nur über dieses Mittel.

Das hat sich geändert, weil der parteipolitische Katholizismus so nicht mehr nötig ist. Der Kirche wird von ihren Partnern, etwa den Interessensverbänden, ein „eigenständiger” Platz zugewiesen. Wenn der Vorsitzende der österreichischen Bischofskonferenz im Fernsehen zum Jahreswechsel spricht, so hat das denselben oder einen zumindestens ähnlichen Stellenwert, wie wenn das der Bundespräsident, der Regierungschef, der Gewerkschaftspräsident oder der Industriellenchef tun.

Politisches Handeln ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt in demokratischen Staaten nicht nur durch und in Parteien möglich. Man denke nur an die verschiedenen Bürgerinitiativen, von denen eine, nämlich die gegen die Atomkraftwerke, sogar Erfolg gegenüber Regierungspartei und Gewerkschaft gehabt hat. Der Standpunkt Klostermanns, nur über Parteien sei Politik möglich, muß diesbezüglich einer Revision unterzogen werden.

Es ist richtig, daß Priester und auch Spitzenfunktionäre katholischer Organisationen (KA oder Verbände) parteipolitisch überhaupt nicht tätig sein oder zumindestens Zurückhaltung üben sollten. Ungeachtet der Tatsache, daß die Priester laut Codex mehr oder minder keine politische (gemeint Regierungsfunktion oder parteipolitische) Tätigkeit ausüben dürfen, stehen wir dennoch dem „politischen” Priester in der Gegenwart Österreichs als einem, wenn auch positivem, Phänomen gegenüber. Oder ist ein Priester nicht politisch, wenn er Demonstrationen (Ostermarsch) gegen den Atomkrieg organisiert, wenn er Bürgerinitiativen in Orten, ja sogar größeren Städten leitet, wenn er Rektor einer Universität ist und als solcher durch das UOG „politisch” handeln muß, wenn er in einem Aufsichtsrat sitzt und wirtschafts- und personalpolitische Entscheidungen mittragen muß?

Es gibt kein Zurück mehr, das stimmt. Es gibt aber auch kein Stehenbleiben. Eine Kernfrage Klostermanns ist die, wie weit kann eine gesellschaftliche Kraft in sich pluralistisch sein, oder wo ist die Grenze zwischen „in necessariis unitas” und „in dubiis libertas”? Wie weit kann die Kirche (Lehramt), können Laien (dach)organisationen verbindliche Aussagen zu bestimmten gesellschaftlichen Realitäten machen oder nicht?

Bei anderen Verbänden wäre die Frage leicht zu beantworten, es ist ein vernünftiger Mittelweg zwischen „innerverbandlicher” Demokratie bzw. Pluralität und Außenwirkung zu gehen. Ist man zu pluriform, so wird man seine Anliegen nicht mehr geschlossen verkünden und damit durchsetzen können, ist man zu uniform, so wird das viele an der Basis abschrecken. Dieses polit-soziologi- sche Muster kann man schwer auf die Kirche übertragen. Einerseits ist sie als sichtbare Kirche eine gesellschaftliche und auch im positiven Sinne politische Wirklichkeit und spielt im Konzert der Verbändedemokratie nolens volens mit, andererseits ist sie aber auch eine transzendentale Größe mit einem Heilsanspruch, der eben keinen Kompromiß und keine demokratische Unterordnung zuläßt und dazu verleitet, über den Dingen zu stehen. Uber den Parteien kann die Kirche vielleicht stehen, über dem politischen Erscheinungsbild „Parteien und Verbände” aber nicht.

Bei der Betrachtung des Beziehungsgeflechts Staat - Kirche - Parteien - Verbände könnte sich eine Lösung insofern anbahnen, wenn man versucht, den Terminus „politisch” nicht negativ-historisch-parteipolitisch zu besetzen. Politik an sich ist etwas Normales und Gutes, auch für die Kirche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung