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Der „Reichsbund“ 1917 bis 1967

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Die Geschichte des Reichsbundes ist nicht allein die Geschichte irgendeines der vielen Verbände, an denen in der Ersten Republik wahrlich kein Mangel bestand, sondern ein wesentlicher Teil der Geschichte der Kirche in der Republik Österreich. Bei Durchsicht des Buches erkennt man aber, daß es um eine Reihe von Problemen kreist, die auch heute noch Aktualität besitzen. Auf die Gefahr hin, „alte Wunden“1 aufzureißen, scheint es geboten, zu gewissen Dingen Stellung zu nehmen, die bei den Feierlichkeiten zum 50jährigen Bestand des Reichsbundes in einer bemerkenswerten Offenheit beim Namen genannt worden sind.

Volkskirche — Verbandskirche — Kirche von Kerngemeinden

Bis 1918 schien die Kirche Österreichs eine staatsdekretierte Volkskirche zu sein. Im Sinn der hausmütterlichen Vorstellungen Maria Theresias und ihrer schwachen Epigonen sollte die Kirche eines der institutionalisierten Instrumente zur Disziplinierung der Massen des gläubigen Volkes zum Nutzen des Staates sein. Das im 18. Jahrhundert als definitiv gesetzte Verhaltensmodell für die Kirche Österreichs, von dem jedoch die kirchliche Realverfassung oft sehr weit abweichen konnte, wurde von vielen verantwortlichen Politikern der Kirche auch nach 1918 zugemutet, sogar nach 1945.

Anderseits setzte sich schon in den Zeiten der Monarchie ein innerkirchlicher Organisationspluralismus durch, als im Vorfeld der Kirche etablierte Verbände gruppenautonome Ziele formulierten, die keineswegs immer mit dem Einheitsmodell einer nur staatsbezogenen Kirche abgestimmt werden konnten. Allmählich bildete sich im Bereich mancher Verbände eine Art von sozialem (Sub-)System heraus, dessen Verhaltensregeln sich oft zum Staat (zur jeweiligen Staatsführung) in einer beachtlichen Distanz befanden, wenn auch die Staatstreue, die nicht mit Regimetreue verwechselt werden darf, nie in Frage stand.

Vor allem der Reichsbund reflektierte in seinem Aufwuchs sowohl die Sonderform eines zuweilen sehr kritischen parteipolitischen Katholizismus in Österreich als auch einer bereits weitgehend geduldeten, wenn nicht formell anerkannten .Laienführung innerhalb der Kirche. Durch eine attraktive Liberalität, die nie zum Liberalismus wurde, widersprach der Reichsbund der Annahme, daß die Kirche ein exklusives Gremium von Frommen und insgesamt lediglich eine Summe von Kem- gemeinden sei.

In der Tagespolitik erwies der Reichsbund der Christlichsozialen Partei bis zu dem ihr anbefohlenen

Selbstmord oft eine (im Rückblick gesehen) bedenkliche Treue. Erst als sich Anzeichen dafür bemerkbar machten, daß die Regierung gewillt war, eine Diktatur zum Teil auch um ihrer selbst willen zu errichten und alles gesellschaftliche Leben zu verwalten, distanzierte sich die Reichsbundführung. Dafür bringt das Buch sehr deutliche Belege.

Vom Großdeutschen Reich bedroht, vom Westen mit höhnischen „Har-

ret-aus“-Deklamationen abgespeist, kam es in Österreich über eine von außen produzierte Festungspsychose zu einer Perfektionierung des alt- österreichischen und ehedem sachlich begründet gewesenen Zentralismus. Man ist heute geneigt, bestimmt durch zementierte Vorurteile, die Verwaltung des sozialen Lebens ab

1934 als faschistisch oder gar mit dem schrecklichen Wort „faschistoid“ zu klassifizieren, ohne zu bedenken, wie sehr exogene Faktoren die administrative Technik der damaligen Staatsführung festlegten.

Im Rahmen einer Verstärkung der Admindstrierung des gesellschaftlichen Lebens griff die ständestaat- Mehe Regierung auch auf die katholischen Verbände, die der Vorstellung eines staatseinheiitMch geregelten Untertanenverhaltens widersprachen. Auch der Reichsbund schien in der Zeit ab 1934 eine Anomalie zu sein und sollte beseitigt werden.

Der Verfasser scheut sich nicht festzuhalten und zu belegen, daß auch Kirchenführer das Vorhaben des Staates mehr als notwendig unterstützten und den Reichsbund insgesamt und in einzelnen Diözesen in einer geradezu peinlichen Willfährigkeit den staatlichen Ansprüchen opferten. Das Buch bringt jedoch keine Inhaltsanaiyse von Entscheidungen einzelner Bischöfe, die uns Heutigen manches verständlich machen würde. Warum ist es zu einer Ablösung der bestens bewährten Kooperation von Priestern und Laien in der Jugendführung gekommen, warum zur Einführung einer ungeeigneten kirchenamtlichen Jugendpflege? („Hauptstelle für ...“) War es Unkenntnis in bischöflichen Kanzleien, war staatlicher Druck bestimmend oder ein falsches Kalkül? Der Verfasser beleuchtet leider nur die Szenerie des Vordergrundes. Daher läßt sich noch kein Urteil fällen, es sei denn, man bedient sich der Methode der primitiven Vereim-

fachung und der Denuntiation, wie sie von einzelnen „Historikern“ gepflegt wird, die Geschichte als Summe von Enthüllungsstories verstehen.

Die „Staatsjugend“

Der Ständestaat, der sich von Anfang an mit Unrecht der Klassifi kation „christlich“ bedient hatte, tat das Seine zur Liquidation des Reichsbundes und hungerte ihn finanziell skrupellos aus, um dafür eine Staaitsjugend als synthetische Organisation amtlich geführter Jugend zu finanzieren und zu privilegieren, eine Staatsjugend, von der man in den Tagen der Okkupation nicht viel zu sehen bekommen sollte, wenn man von der au ähr gestoßenen Elite des KDSB absieht. Vorsorglich wurde jedoch die Staatsjugend als „christlich“ signiert.

Nach den Vorstellungen der Staatsführung sollte etwa vorhandenes christliches Bekenntnis wieder instrumental verwertbar gemacht und etwa eine metaphysische Ergänzung der profanen staatsbürgerlichen Pflichterfüllung sein.

Der überraschende Zusammenbruch des österreichischen Katholizismus innerhalb der Märztage von

1938, vor allem das in manchen Pfarren fast so gut wie gänzliche Verschwinden der Jugend der Kirche, ist zu einem nicht geringen Teil auch auf die von Funktionären der Kirche geförderte sukzessive Liquidierung des Reichsbundes zurückzuführen. Der Reichsbund ging also nicht an einem organischen Leiden zugrunde, auch nicht erst als Folge von Auflösungsdekreten der Eroberer, sondern wurde bereits ab 1936 von nicht wenigen Verantwortlichen in der Amtskirche und vor allem in der KA in einen Zustand der Agonie versetzt, auch um den begehrlichen Ansprüchen der Staatsführung ein Opfer zu bringen.

1945 — Administrierte oder selbstgeführte Jugend?

Jede äußere Erscheinung der Kirche ist das Ergebnis jeweils vollzogener Anpassung. Auch der Reichsbund, Organisation gewordene Jugend der Kirche, war in seiner Blütezeit das Ergebnis einer geglückten Anpassung an die Bedingungen in der Ersten Republik. Die Situation von 1945 vertrug wahrscheinlich keine Übernahme von organisatorischen

Führungsweisen im Bereich der Jugend, wie sie noch vor 1938 angemessen gewesen sind. Dazu kam die berechtigte Angst der Bischöfe vor allem, was „Welt“ im Sinn von parteigebundener Politik war, weshalb in der Zweiten Republik für jenes organisatorische Gebilde, das der Reichsbund bis 1936 gewesen war,

iffensicbtiich kein Platz, keine Wir- kungsmöglichkeit mehr vorhanden zu sein schien. Überdies mußten die bis 1938 (besser vielleicht bis 1933) vorhandenen Verbandsmauem schon deshalb geschleift werden, weil nur auf diese Weise die Kirche offen blieb, allen, ganz besonders jenen, die sich nicht an die Reglements von Vereinen binden wollten.

Als Jugendorganisation wurde der Reichsbund daher nicht mehr errichtet. Anfänglich ein Traditionsverband (als „Alt-Reiehsbund“), ist heute der Reichsbund eine Vereinigung von Altmiitgldedem, von Männern, die sich im allgemeinen im letzten Drittel der Alterspyramide befinden. Die Tatsache, daß es einen „Reichsbundsport“ gibt, soll nicht Anlaß zu falschen Schlüssen sein, etwa zu der Annahme führen, daß es so etwas wie eine Reichsbundjugend gäbe.

Der Reichsbund wurde 1917 errichtet und war daher faktisch nur 19 Jahre (formell 21 Jahre) Jugendorganisation. Jetzt, aus Anlaß der vor 50 Jahren erfolgten Begründung einer einheitlichen Organisation für die männliche katholische Jugend, sind seitens der Führer des (Alt-)Reichsbundes ernste Erwägungen darüber angestellt worden, ob nicht im Bereich der Gebilde der Katholischen Jugend Österreichs als Folge des Nichtbestehens einer dem sieinerzeitdgen Reichsbund vergleichbaren Organisation so etwas wie eine „Lücke“ vorhanden sei. Daher die Frage, ob es nicht notwendig sei, diese Lücke durch ein organisatorisches Gebilde, das nur ergänzenden Charakter haben könne, auszufüllen.

Die gegenwärtige Grundstruktur der Organisation katholischer Jugend io Österreich äst, wie uns Dr. Schultes belegt, bereits 1936 durch die Bischöfe begründet und 1945 unter anderen Verhältnissen sowie ohne äußere Nötigung zum definitiven organisatorischen Prinzip erhoben worden.

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