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Für Gott oder gegen Gott?

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Die „Trennung von Kirche und Staat“ ist in Oesterreich viel weiter vorgeschritten als selbst antikonfessionelle Menschen manchmal wahrhaben möchten. Sie ist allerdings nicht im Sinne einer klaren Scheidung der autonomen Bereiche erfolgt, also nach dem Herrenspruch „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“. Der Staat, der an die Stelle des römischen Kaisers getreten ist, kennt Gott nur noch vom Hörensagen. Er will selbst zum allmächtigen Cäsar werden. Es paßt nicht mehr in sein Konzept, Religion und religiöses Leben in seinem Rahmen zu sehen. Der Staat ist „tolerant“, ganz richtig, denn er „duldet“ die religiöse Haltung

seiner Staatsbürger nur, aber er nimmt davon nur im allernotwendigsten Maß Notiz.

Der Meldezettel ist dafür der schlagende Beweis. Man erfragt nicht mehr das Religionsbekenntnis. Das interessiert nicht mehr — und könnte überdies dem Seelsorger helfen, nach einem verlaufenen Schäflein zu suchen. Das aber wäre zuviel Toleranz; man duldet das nicht. Dem Geburtsschein steht die konfessionelle Matrik, bei uns in der Regel der Taufschein, gegenüber. Er steht wahrlich „gegenüber“ — am anderen Ufer, jenseits des öffentlichen Lebens, denn nicht einmal als Personaldokument — trotz gleichen Inhalts — ist der Taufschein gleichwertig. Man heiratet beim Standesamt. Man bietet Musik, Blumen, schöne Reden dafür, und neuestens wurde sogar die Forderung nach besonderer Kleidung der Brautleute für die Ziviltrauung erhoben. Wehe aber dem Geistlichen, der es wagt, vor der Ziviltrauung bei einer kirchlichen Eheschließung zu assistieren. Er wird durch den Staatsanwalt verfolgt und gerichtlich bestraft, denn soweit reicht die Toleranz nicht. Der Geistliche störte ja die religionslose öffentliche Ordnung, selbst wenn die kirchliche Trauung hinter geschlossenen Türen erfolgte. Nur der Bundespräsident kann da noch helfen mit einem Gnadenakt. Und kommt es zum Sterben: Wenn man Glück hat und das Telephon freigegeben wird, kann sogar rechtzeitig der Spitalsgeistliche verständigt werden. Die Krankenpflegerin aber muß sehr aufmerksam sein, wenn sie hier tätig wird, um sich keines Disziplinarvergehens schuldig zu machen. Die öffentliche Ordnung könnte leicht gestört werden, und zu tolerant will man auch nicht sein. Und wer keinen Geistlichen am Friedhof wünscht, dem besorgt die Leichenbestattung auch eine religiöse Zeremonie, abgestuft vom Staatsbegräbnis bis zum ärmsten Mann. Am Grabstein aber stehen dann die Verwaltungsratsposten als Ausdruck der verlorenen irdischen Seligkeit, wie etwa auf einem Wiener Nobelfriedhof, gleich neben dem alten, schönen Friedhof skreuz. Der Staat kennt keine religiöse Zeremonie mehr. Fahnen, Ansprachen und Tastendruck „weihen“ die „technischen Wunder“ ein und der eiserne Vorhang geht auch ohne ein Dankgebet in tadelloser Präzision auf. Der Staat kennt Gott eigentlich nur noch in den Bildergalerien und beim Bundesdenkmal-amt. Sonst hört man von Ihm nur, wenn der Kanzler oder eine andere Persönlichkeit des öffentlichen Lebens von Ihm spricht. Es ist dann aber ein persönliches Bekenntnis, kein- Akt des Staatsmannes. Seien wir doch ehrlich genug: Das Gesicht der österreichischen Demokratie ist Gott nicht mehr zugewandt.

Wie aber steht der österreichische Katholik zu dieser Lage? Wir haben Staatsmänner und Mandatare, deren Leben und Bekenntnis über jeden Zweifel erhaben ist, Staatsbeamte, die an den Spitzen der katholischen Bewegung stehen. Wir haben Lehrer, vom Landschullehrer bis zum Gelehrten an Oesterreichs hohen Schulen, deren berufliches Wirken ein stetes, freudiges Ja zur Kirche ist. Wir haben Künstler und Dichter, deren Werke ein unerschütterliches Credo sind. Wir haben Arbeiter, die trotz Dispens die Feiertagsabstinenz freudig als Kinder der Kirche auf sich nehmen. Wir haben Bauern, Kaufleute,

Handwerker und Menschen in. allen Berufsschichten, denen die Lehre der Kirche noch immer der Anker und die Richtschnur im täglichen Leben sind. Wir haben eine begeisterte Jugend, in deren Reihen Christus wahrhaft lebt. Und wir haben Ordensleute und Priester, vom kleinsten Dorfkaplan bis zum hohen Kirchenfürsten, deren Leben sich für Gott und Kirche täglich, ja stündlich verzehrt. Wir haben Kundgebungen des kirchlichen Lebens, die von niemand, von keiner Parteiorganisation, von keinem Manager übertroffen werden können. Wo aber bleibt der wirklich anhaltende Widerhall all dieses Wirkens im öffentlichen Leben?

Wie ist es möglich, daß das öffentliche Leben des Staates so gänzlich anders ist als Leben und Lehre der Kirche?

. Man muß ziemlich tief greifen, um den Grund zu fühlen, der zu dieser Situation in der Zweiten Republik führte. Das Jahr 1945 war eine gewaltige Umwälzung. Das historische Verhältnis von Staat und Kirche hatte eine ganz große Zäsur erfahren, entscheidender, als man ahnen konnte. Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus der Oeffentlichkeit verbannt, zur verfolgten Kirche und zur Kirche der Verfolgten geworden, verstummte der Katholizismus. Er tat es unfreiwillig, unter

Zwang. Die katholischen Organisationen, durch den christlichen Ständestaat mit seinem Anspruch auf öffentlich-rechtliches Christentum schon in. Mitleidenschaft gezogen, wurden gänzlich zerschlagen. Das Leben der Kirche trat, wie der Staat es erzwang, hinter die Kirchentüren. Als das Jahr 1945 kam und die mittelbarste Not überwunden war, stand man vor Problemen und Aufgaben, deren Entscheidungen mit der Zeit drängender wurden. Die Kirche hat richtig erkannt, daß die innere Erneuerung der Kern aller Probleme war, und ist mit ernstem Mut darangegangen.

Welche Rolle sollte und konnte die Kirche und der Katholizismus in der Demokratie übernehmen? Die Idee einer katholischen Partei wurde 1945 und wird auch heute noch mit Recht — trotz mancher gegenteiligen Diskussion — abgelehnt. Das Wagnis des christlichen Ständestaates mit seiner starken Bindung katholischer Kräfte war schwerste Belastung, was schon in den Jahren 1934 bis 1938 erkannt wurde. Man erinnere sich etwa nur der ernsten Mahnungen des verewigten Fürsterzbischofs Dr. W a i t z. Die Christlichsoziale Partei hatte ihre große Aufgabe erfüllt. Auch ihre Zeit war erfüllt. Sie zu erneuern, war weder nach dem Sinn der Kirche noch nach jenem der verantwortlichen christlichen Politiker. Die großen katholischen Volksvereine waren zerschlagen, nachdem schon die Zeit vor 193 8 — was nicht übersehen werden darf — ihre Bewegungsfreiheit wesentlich eigeengt hatte.

Man mußte neu aufbauen und entschied sich — ganz folgerichtig — im Sinne der kirchlichen Erneuerung für die Katholische Aktion, Sie ist eine kirchliche Einrichtung, ein Instrument der Kirche für das Laienapostolat. Professor M e 1 i c h a r, dem niemand Parteilichkeit vorwerfen kann, hat dies mit klarer Schärfe in einer sehr zeitgemäßen Untersuchung dargelegt. Als kirchliche Einrichtung machte die Katholische Aktion einen Trennungsstrich: Kein Staatsmann, kein Politiker, kein im politischen öffentlichen Leben tätiger Oesterreicher sollte eine führende Stellung haben. Damit ergab sich aber

auch die Konsequenz, daß nur die Hierarchie oder die Katholische Aktion als Sprachrohr der Kirche in der Oeffentlichkeit auftrat. Von nun an meldete sich der österreichische Katholizismus durch seine Kirche zu Wort, der katholische Oesterreicher aber trat in der Demokratie in den Hintergrund. Ja, genauso wie man passiv vom Staat alles irdische Heil erwartete und ihn kritisierte, wenn man etwas wollte — eine Haltung, die dem Oesterreicher aller Schattierungen in Fleisch und Blut übergegangen ist —, begann man von den Bischöfen und der Kirche eine Tätigkeit zu erwarten, die in einer Demokratie dem öffentlichen Anteil des Volkes auferlegt ist.

Natürlich blieb die Schwierigkeit dieser Situation auch im katholischen Lager nicht verborgen. Zwei Thesen begannen hier ins Streitgespräch zu kommen: Konzentration auf das rein kirchlich-religiöse Gebiet, daher weg von der Oeffentlichkeit oder Ausweitung des katholischen Kräftefeldes auf die Oeffentlichkeit durch geeignete Organisationsformen im außerkirchlichen Bereich. Mit dem Schlagwort vom „Vereinskatholizismus“ geißelte man Fehler der Vergangenheit, übersah aber vor allem, daß der Grundstock aller Kräfte der reiferen Generation, die heute im katholischen Lager führend sind, aus eben jenem Vereinskatholizismus stammt. Wo das Verdienst der katholischen Vereine der Vergangenheit liegt, hat Friedrich F u n d e r in seinem Werk „Vom Gestern ins Heute“ dargelegt. Es bedarf hier keiner Apologie. Wir reden — gerade weil wir fachlich historisch orientiert sind — der Restauration der Vergangenheit nicht das Wort. Wohl aber glauben wir, daß man aus der Geschichte immer noch lernen kann.

Was uns heute not tut, ist neben der Tiefenwirkung die Wirkung in die Breite. Langsam bricht sich dieser Gedanke Bahn. Auch die Katholische Aktion erkennt, daß die Katholiken Organisationsformen brauchen, um in der Oeffentlichkeit Gehör zu finden. Wer die Entstehungsgeschichte des katholischen Familienverbandes kennt, weiß, wie schwer und ernst oft dabei gerungen werden muß. Gewiß, die Lösung ist sehr sorgsam zu bedenken. Daß sie nicht überstürzt kommt, dafür bürgt schon der Widerstand der oft hart zusammenprallenden Meinungen. Es ist das Verdienst des Kapitelvikars Erzbischof Dr. J a c h y m, diese Ausweitung in Wien durch die Klärung des Verhältnisses zur Arbeitsgemeinschaft katholischer Vereine bahnbrechend unterstützt zu haben.

Damit aber stehen wir heute erst richtig an der entscheidenden Wende, an der Entscheidung, ob der katholische Oesterreicher im öffentlichen Leben wieder zum Sprecher des katholischen Lebens wird. Wir brauchen die Arbeit in die Tiefe und in die Breite. Es genügt nicht, daß wir stolz darauf sind, daß mehr als 80 Prozent der österreichischen Katholiken freiwillig und ohne Eintreibung ihre Kirchenbeiträge zahlen, wenn ein guter Teil darunter ist. für den der Kirchenbeitrag die einzige Beziehung zur Kirche ist.

Bischof-Koadjutor Dr. Z a u n e r hat kürzlich mit Recht gesagt: „Heute ist nicht mehr ein König ' oder ein Herrscher der Schützer der Kirche. Heute ist es der kleine Mann, der Mann in der Familie und auf den Straßen, in den Büros und den Fabriken.“ Ja, heute ist es der katholische Oesterreicher, der in der Demokratie der Hüter seines Glaubens und seiner Kirche sein muß. Wir brauchen daher Arbeit in die Tiefe, wie sie Kirche und Katholische Aktion leisten, und Arbeit in die Breite, in die Oeffentlichkeit, wie sie in neuen Formen neu gefunden werden muß. Gerade der katholische „Grenzgänger“ kann dadurch erfaßt werden. Und wir müssen heute genauso wie die Kirche im heidnischen Missionsgebiet jede Möglichkeit erfassen, die Katholiken zu sammeln.

Nur so können wir in einer Demokratie als katholische Oesterreicher im öffentlichen Leben tätig und erfolgreich mitwirken. Das aber ist eine Aufgabe, die verpflichtend auf uns lastet. Pius XII. hat klar die Entscheidung unserer Zeit dargetan. Sie lautet: „Für Gott oder gegen Gott.“ Daß aber auch das Antlitz unserer Demokratie, unseres Staates sich wieder Gott zuwende, ist eine Pflicht, die auf jedem von uns liegt, der als katholischer Oesterreicher seine Heimat wahrhaft liebt.

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