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Nicht stehenbleiben: hingehen!

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In den letzten Wochen haben stich die Schlagzeilen der Presse wieder einmal stärker mit der Kirche unter verschiedenen Gesichtspunkten und in verschiedener Weise beschäftigt. Die Kirche kann sich daher über Mangel an Publizität nicht beklagen. Aber sie hat auch keinen Grund, diese Tatsache zu überschätzen, denn schließlich ist diie Kirche ja nicht dazu da und nicht dazu gestiftet worden, in aller Leute Mund zu sein. Ihre Aufgabe ist es auch nicht, zumindest nicht allein, eine zweitausendjährige Tradition zu hüten, eine Schatzkammer der Kultur oder ein Museum zu sein.

D i e Aufgabe der Kirche ist heute, so wie gestern und morgen: sich um den Menschen zu kümmern, das Wort Gottes zu verkünden und die Sakramente zu spenden, inmitten des Zeitlichen auf das Ewige und Unvergängliche hinzuweisen. Hauptaufgabe der Kirche ist es, sich um die Seelen der ihr anvertrauten Menschen zu kümmern, Seelsorge zu reiben.

Es wird auch die Kirche in der Stadt Wien — und dazu gehören nicht nur der Bischof und die Priester, sondern alle auf Christus Getauften — einmal Rechenschaft ablegen müssen darüber, daß in dieser Stadt jedes Jahr einige tausend Menschen die Kirchen verlassen — einige tausend, die mit ihrem Austritt das letzte Band zerschneiden, das sie mit der Gemeinschaft der Gläubigen noch verbindet. Die Nachricht von diesem noch immer nicht beendeten Abbröckelungsprozeß des Kirchenaustrittes hat in der katholischen Öffentlichkeit wie ein Schock gewirkt. Wenn dies allen Seelsorgern in unserer Diözese und der Großstadt Wien ein Anlaß zu tiefer Sorge ist, zu verstärktem Bemühen, zu verstärktem Eifer, dann war es ein heilsamer Schock. — Ist unser Leben kein werbendes Beispiel mehr, haben wir die richtige Sprache verloren, haben wir den Weg verloren zu den Herzen und Seelen unserer Mitmenschen, ist die Seelsorge in eine Sackgasse geraten? Diese Frage stellen sich viele Katholiken und Priester, diese Frage stellt sich auch der Bischof selber.

Lintersuchen wir zunächst die Situation, wie sie sich uns heute darbietet. Die Zeit von 1938 bis 1945 bildete auch im Leben der Kirche unserer Heimat eine Zäsur. Die Kirche ist nach der Befreiung des Landes eine andere als vor der Besetzung. Sie hat in der Zeit der Bedrängnis und der Verfolgung erkannt, daß ihr einziger Schutzwall die Herzen der Gläubigen sind. Unbelastet von den Bindungen der Vergangenheit wollte sie an ihre Arbeit gehen. In breiten

Schichten des Volkes, die früher nur ein verzerrtes Bild der Kirche kannten, hat sie die Möglichkeit eines neuen Zuganges gewonnen. Gemeinsames Leid hat die Barrikaden der Vorurteile auf beiden Seiten weggeräumt. Die Kirche hat ein neues Verhältnis zum Staat und zu den politischen Kräften, die diesen Staat tragen, gesucht und gefunden. Durch Verträge zwischen Staat und Kirche, von der freigewäbl-ten Volksvertretung mit überwältigender Mehrheit gebilligt, fand dieses neue Verhältnis seinen Ausdruck. Die öffentliche Meinung respektiert heute die Kirche, die Presse verschließt sich ihr gegenüber nicht, wenn sie etwas zu sagen hat. Im Rundfunk und Fernsehen findet sie Gehör, in ihrer religiösen und erzieherischen Tätigkeit wird sie nicht behindert, der Staat selbst sieht sein Verhältnis zur Kirche als das Verhältnis verständnisvoller Partnerschaft und Zusammenarbeit. Vielleicht — so möchte ich sagen — ist es zum erstenmal in der Geschichte unseres Vaterlandes, daß die Kirche wirklich in jeder Hinsicht unbehindert und frei ist. Frei und unbehindert sind aber auch die Menschen in ihrer Entscheidung für oder gegen die Kirche. Es gibt kaum einen äußeren Zwang, eine gesellschaftliche Verpflichtung, eine bindende Tradition, die freie Entscheidungen des Einzelnen beeinflußt. Der Staat, in dem wir leben, deklariert sich nicht als. katholischer Staat. In einem katholischen Staat lebten wir schon seit Generationen nicht mehr; wir haben es bloß nicht gemarkt, solange die Fassade noch christlich war. Wir leben in einer Gesellschaft, die nicht mehr ausschließlich von christlichen Leitbildern geprägt wird. In ihr stehen andere Weltanschauungen neben der katholischen; ja, für einen großen Teil unserer Mitbürger ist an Stelle der Weltanschauung der Wohlstand und der Konsum getreten. Wir leben in der vielzitierten pluralistischen Gesellschaft. Diese Gesellschaftsordnung gibt der Kirche keine Privilegien, aber alle Chancen.

Heute dürfte es wieder an der Zeit sein, sich die Frage zu stellen, wieweit sich die Seelsorge der neuen Situation angepaßt.

Wie steht es heute mit den Methoden unserer Seelsorge? Trägt sie der neuen Situation Rechnung oder steckt sie noch vielfach im Alten und Herkömmlichen? Wir leben heute auch in der Seelsorge in einer Übergangszeit, in der sich Neues mit Altem mischt. Das Alte aber ist > aber das Erbe, das mit seinen Wurzeln weit in die Vergangenheit reicht. Die

große Versuchung des österreichischen Katholizismus war das StaatsJrirchentum des Josephi-nismus. Diese Versuchung wäre deswegen fast zu einer tödlichen Gefahr geworden, weil sich im österreichischen Volkscharakter gewisse Anlagen und Entsprechungen hierfür vorfinden. Seit über hundert Jahren ist die Kirche dieses Landes darangegangen, sich von diesen Fesseln freizumachen; aber noch immer lassen sich seine Spuren im Blutkreislauf der österreichischen Kirche nachweisen, und dort und da treten die von ihm geprägten Lebens- und Denikformen wie bei einem Gemälde hervor, obwohl es nicht an Überm alungsversuchen fehlt. Gibt es bei uns noch den josephinischen Priester, den Religionsbeamten, den staatlich gesicherten und nach dem Staat sich richtenden geistlichen Bürokraten, der in seinem Pfarr-,,Amt“ residiert? Gibt es bei uns noch den priesterlichen Beamten, der seine Amtsstunden hält, seine Matriken und

Register führt, der auf die wartet, die zu ihm kommen? Ist es richtig, daß niemand in das Pfarramt kommt oder nur die wenigen, die er ohnehin kennt? Und wenn, ist es nur dann ein Fremder, der über die Schwelle des Pfarramtes tritt, wenn es gilt, über den Kirchenbeitrag zu debattieren?

Es wäre nicht nur falsch, es wäre eine grobe Ungerechtigkeit des Bischofs seinen Seelsorgern gegenüber, wenn er sagen wollte, daß der soeben geschilderte Typus eines: Pfarrbeamten im Wiener Klerus noch Geltung hat, ja, daß er in dieser krassen Form überhaupt noch existiert. Aber als Möglichkeit, als Gefahr, als Versuchung ist er immer vorhanden. Und mit dieser Gefähr, dieser Versuchung haben manche Priester zu kämpfen, die sich mit Aufopferung um ihre Aufgabe mühen, die alles tun, um nicht in Routine zu ersticken, sondern sich den Weg für die eigentliche Seelsorge freihalten. Die Klage sehr vieler Priester, besonders in dieser großen Stadt, ist berechtigt, daß sie heute überlastet sind und fast ersticken durch Anforderungen, die weniger seelsorglicher als bürokratischer Natur sind.

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