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Große Erwartungen sind eine schwere Last

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Triumphale Jubelmillionen rund um den Papst - und dennoch eine Kirche, die sich immer schwerer tut, an die Menschen heranzukommen. Quo vadis ecclesia? Die FURCHE nimmt den ersten Jahrestag der Amtseinführung Johannes Pauls II. zum Anlaß, um in einer Artikelfolge den Weg der Kirche in die nächste Zukunft von Fachleuten verschiedener Disziplinen prüfen zu lassen. Wir beginnen mit einem Beitrag von Altbischof Josef Schoiswohl (Guntramsdorf).

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Triumphale Jubelmillionen rund um den Papst - und dennoch eine Kirche, die sich immer schwerer tut, an die Menschen heranzukommen. Quo vadis ecclesia? Die FURCHE nimmt den ersten Jahrestag der Amtseinführung Johannes Pauls II. zum Anlaß, um in einer Artikelfolge den Weg der Kirche in die nächste Zukunft von Fachleuten verschiedener Disziplinen prüfen zu lassen. Wir beginnen mit einem Beitrag von Altbischof Josef Schoiswohl (Guntramsdorf).

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Papst Johannes Paul II. dürfte nach seinen beherzten Vorstößen in die weltweite Seelenlandschaft zur Zeit der volkstümlichste Mensch der Welt sein. Er vermochte in unterschiedlichen Breiten unerwartet große Menschenmassen anzuziehen und zur Begeisterung zu entfachen, wie das vordem keinem Rhetor, Feldherm oder Diktator be- schieden war.

Was steckt nun hinter diesem Phänomen? Gewiß ist dem Papst ein Charisma eigen, das ihm den Zugang zu den Menschen im ersten Augenblick der Begegnung ermöglicht, ob es sich nun um Kinder oder Alte, um Gläubige oder Ungläubige, um Angehörige verschiedener Völker, um gewiegte Politiker oder Diplomaten oder um Slumsbewohner und Kranke handelt.

Offenkundig stößt erdabei auf eine innere Disposition der vielen, die wir nur mit dem Wort „Erwartung“ ausdrücken können. Die Leute sehnen sich nach Abbau der Spannungen und Bedrohungen, die heute im Zug der fortschreitenden und zum Teil unmenschlichen, weil undurchschaubaren Technisierung des Daseins um sich greifen.

Nicht nur die Kriegstechnik schreckt, auch die Elektronik im wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sanitären und Forschungsbereich drängt den Menschen mehr und mehr ins Abseits, ja macht sich geradezu selbständig. Der Mensch zählt nicht mehr, der Apparat überwuchert alles. Begreiflich, daß die Sehnsucht wächst, von diesem Moloch befreit zu werden.

Die Ausbeutung zahlloser Menschen durch einflußreiche, vielfach anonyme Mächte läßt nach gerechter Güterverteilung rufen. Die Zwangsbeglückung ideologischer Systeme unterbindet die Freiheit, knebelt die Gewissen und die persönliche Überzeugung, schafft privilegierte Schichten und zum Schweigen verurteilte Untertanen, manipuliert die Bürger- und Menschenrechte und macht aus verbalen Zusicherungen höchst reales Unrecht.

Allmählich durchschauen die Leute eine rücksichtslose und geschäftstüchtige Augenauswischerei, die ihnen mit Hedonismus, sexuellem Ausleben, Drogen oder anarchischen Ermunterungen eine Art Selbstbefreiung vorgaukeln, in der Tat aber nur die Sinnlosigkeit eines solchen Daseins überdecken.

Enttäuscht von all diesen Erfahrungen, versinken viele in Rumpfe Gleichgültigkeit; immer mehr machen mit ihrem Leben Schluß oder sie stürzen sich in rastlose Geschäftigkeit aller Art, um nicht mehr nachdenken zu müssen.

Wen wundert es, wenn nun ein Mann, der all diese Dinge beim Namen nennt, der Türen aufstoßen möchte zu neuen gangbaren Wegen, der sich dabei einen restlosen Dienst für andere abverlangt, wen wundert es also, wenn dieser Papst Johannes Paul die Hoffnungen von Millionen weckt, weil er eben ausspricht, was sie bewegt?

Sie kamen mit der Erwartung, daß er von notwendigen Veränderungen in den verschiedenen Gesellschaftsschichten nicht nur spricht, sondern diese auch herbeiführt, zumindest einleitet.

Doch da zögert die Feder, weiter auszugreifen. Kann er das? Gewiß, die Anstöße, die er gegeben hat, werden viele Menschen zum Nachdenken veranlassen. Sie werden auch in manchen Bereichen zu Neuansätzen führen. Es steht niemandem an, dem Geistesdurchbruch zu einer erneuerten Menschheit Grenzen zu setzen - außer jenen, die Gott im Umgang mit den Menschen selbst setzt: nämlich dessen freie Entscheidung, die mit den Absichten Gottes mitgehen oder sich ihnen verweigern kann. Gott zwingt nicht; das wäre seiner und des nach seinem Bild geschaffenen Menschen nicht würdig.

Nur im Hinblick darauf können etliche Fragen gestellt werden. Ist zu erwarten, daß die Supermächte ihr gegenseitiges Mißtrauen begraben, alle Rüstungen einstellen, sich den Bruderkuß geben (nicht für Photographen) und beschließen, all ihre unproduktiven Rüstungsmilliarden nunmehr in den Dienst des Weltfriedens und der ausgebeuteten oder hilflosen Völker zu stellen, sie also nunmehr der Bewältigung von Hunger, dem weltweiten Gesundheitswesen, der Bildung, dem sozialen Aufbau, kurz dem Wohl der gesamten Menschheit zu widmen?

Ist zu erwarten, daß ein Brečhnjew und seine Militärs sich dem Glauben an Gott und der Verantwortung vor ihm zuwenden; daß die verschiedensten Diktatoren dasselbe tun; daß IRA und Basken, PLO, Araber und Israeli zur Versöhnung bereit sind; daß die einseitigen Machtstrukturen der Multis, radikaler Gewerkschaften, der weltweiten Erpresser abgebaut werden, und jeder ungerechtfertigte private oder kollektive Egoismus dem Wohl des jeweiligen Gemeinwesens weichen wird?

Ist zu erwarten, daß die Grundrechte der Menschen allüberall geachtet und anerkannt werden; daß Wortführern und Verfechtern von

Bürgerrechten in allen Staaten freie Meinungsäußerung und Rechtsschutz zuteil wird; daß das Lebensrecht der Schwachen Vorrecht findet vor allen selbstsüchtigen Erwägungen der Bequemlichkeit, der Opferscheu und Genußsucht; daß mit dem Pochen auf angestammte, erworbene oder beanspruchte persönliche Rechte auch die Verantwortung dafür vor den Mitmenschen mit aller Konsequenz getragen wird?

Ist anzunehmen, daß unvermeidliche Gegensätze im öffentlichen Leben, in der Medienlandschaft, im Pluralismus der Meinungen ritterlich ausgetragen werden; daß Mängel und Verfehlungen privaterNatur nicht an den Pranger gestellt und nicht der Schau- oder Leselust sensationslüsterner Pharisäer preisgegeben werden?

Gewiß, gewiß, denkbar wäre dies alles. Gott könnte die Herzen so wandeln, daß sie mit ihm mitgehen - schließlich: bei Gott ist kein Ding unmöglich. Aber wir sind allesamt keine fertigen Menschen. Die Reifung zu einer sittlichen Persönlichkeit ist ein lebenslanger Prozeß, der uns nicht erspart werden kann.

Wer die Geschichte kennt, wer die Abgründe menschlichen Strebens und Wollens auch von heute einigermaßen durchschaut, wird die angezogenen Erwartungen in den Bereich der Utopien verweisen.

Auch die Bitten und Appelle dės Papstes werden daran nicht viel ändern. Der triumphale Jubel ist keine Garantie für eine nachhaltige Umkehr der Massen zu einer besseren Lebenshaltung.

Es drängen sich aber noch weitere Fragen vor. Die Person des obersten Pontifex ist den Gläubigen viel zu teuer, als daß sie sich nicht sorgten, ob er die wahrgenommenen Strapazen im gleichen Ausmaß weiterhin auf sich nehmen kann. Hat nicht er selbst am Beginn seines.Pontifikates dies angedeutet und dabei um die Hilfe und Mitarbeit der Bischöfe, ja auch der Gläubigen gebeten? Hat er nicht durchblicken lassen, daß er die Einrichtung der Bischofssynode über ein Gremium von bloßen Beratern hinaus ausbauen wolle zu einem Kollegium von Mitverantwortlichen und Mitentscheidenden? Warum sollten im Rahmen dieses Kollegiums nicht Beschlüsse gefaßt werden, deren Verwirklichung einem einzelnen Mitglied übertragen wird?

Auch die in der Kirchenkonstitution des Vaticanum II klar festgehaltene, eigene und unmittelbare Vollmacht der Bischöfe trägt noch mancherlei Möglichkeiten einer sinnvollen Entfaltung in sich. Würde es nicht der weltweiten Ausdehnung der Kirche entsprechen, die Eigenarten der Völker, ihre Kulturen und Entwicklungen in das Kirchenbild so einzubringen, daß Asiaten, Afrikaner, Südamerikaner sich in ihrer Kirche ebenso beheimatet fühlen wie die Abendländer in der europäischen und die Ostländer in der orientalischen Kirche?

Dafür haben aber die einheimischen Episkopate einen wesentlichen Beitrag zu leisten, den ihnen die Abendländer nicht abnehmen können. Ob kontinentale Patriarchate eine Lösung anbieten und den Erwartungen entsprechen, wage ich nicht zu beurteilen.

Das II. Vatikanum hat auch die Würde des Gottesvolkes emstgenommen, sie gründet ja in der engen Gemeinschaft mit Christus. Von ihm wird nicht nur die aktive Teilnahme am Gottesdienst erwartet, sondern auch die angemessene Mitsorge für das Heil der Menschen durch das rechte Wort und das christliche Beispiel. Das ist um so drängender, als in den meisten europäischen Ländern die Priestemot das Werk der missionarischen Sendung schwer beeinträchtigt.

Den Brief des Papstes vom Palmsonntag 1979 empfinden die Priester aus dem Herzen geschrieben. Doch erfahren sie unablässig den Glaubensschwund vieler Getaufter, ebenso das Abbröckeln des Gottesdienstbesuches und die kritische Distanz der heranwachsenden Generation, die sich mehr und mehr nicht nur von familiären und gesellschaftlichen Bindungen loslöst, sondern auch von den religiösen.

Sie wissen selbstverständlich darum, wie nötig der unmittelbare Kontakt mit den Menschen wäre, sie hören auch den Ratschlag der Bischöfe und des Papstes, diese Kontakte eifrig zu pflegen. Sie würden dies auch tun, sehen sich aber gerade in den Ballungsräumen der Industrie und Städte einfach außerstande dazu, weil der Andrang der täglichen Arbeiten zu groß ist. So gibt es eirte Präsenz des Priesters lediglich bei der kleinen Schar der Gottesdienstbesucher - die 90 und mehr Prozent der anderen, die den Kontakt am nötigsten brauchten, gehen leer aus.

Da stehen schon noch Erwartungen der Priester, sei es an die Bischöfe, sei es selbst an den Heiligen Vater, an. Sie würden gern ihre Probleme in offener Aussprache vortragen, ohne freilich mit einigen Vertröstungen entlassen zu werden. Die Priesterräte gehen den Problemen nach; es wäre aber zuwenig, mit einer Art Strek- kung sich zu behelfen und ansonst ungerüstet die Zukunft auf sich zukommen zu lassen.

Auch sind die persönlichen und beruflichen Probleme zu schwerwiegend, als daß sie mit einer einseitigen Entscheidung schon abgetan wären. Der vielgepriesene Dialog verdient es, innerhalb der Kirche auf den verschiedenen Ebenen wahrgenommen zu werden.

Eine wichtige Anregung des Konzils scheint bisher nur eine bescheidene Aufnahme gefunden zu haben, obwohl ihr vermutlich eine starke Ausstrahlung eigen ist, nämlich die Erneuerung des Diakonates als eigener Stand. Die frühchristliche Zeit hat damit keine schlechte Erfahrung gemacht; sie hatte nicht einmal einen Vorbehalt, auch Frauen als Diakonissen einzusetzen.

Dem Diakonat wäre die zuverlässige innere Bindung kraft des sakramentalen Charakters eigen. Auf breiter Basis kann er die Zentren für viele kleine Kreise abgeben, in denen dann tatsächlich eine nachhaltige Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Glaubens- und Lebenshaltung stattzufinden vermag. Damit wäre eine neue Präsenz der Kirche in der Gesellschaft geboten, wie sie den Priestern heute einfach nicht mehr möglich ist. Die zielbewußte Förderung des Diakonates, der ja die grundlegende Haltung der Christen eingestiftet hat, müßte einen Anstoß der Glaubensemeuerung von unten her bringen.

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