6694512-1963_01_01.jpg
Digital In Arbeit

Kardinal Franz König: Mehr Mut und Verantwortung

19451960198020002020

Gedanken zum vergangenen und neuen Jahr.

19451960198020002020

Gedanken zum vergangenen und neuen Jahr.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit vielen guten gegenseitigen Wünschen treten wir ins neue Jahr ein. Der Jahreswechsel ist immer Anlaß, einen prüfenden Blick auf das vergangene Jahr zu werfen, um Erreichtes und Versäumtes, Hoffnungen und Enttäuschungen prüfend zu wägen.

Lassen Sie mich darum kurze Rückschau halten auf das vergangene Jahr. Wir wollen als Katholiken und Österreicher Bilanz ziehen, um festzustellen, was wir in Kirche, Welt und Heimat an Aktiv- und Passivposten mit hinübernehmen ins neue Jahr.

Für den Katholiken, den Christen, ja schließlich für jeden Menschen, der von der Kraft des Geistes überzeugt ist, war die Eröffnung des ökumenischen Konzils in Rom das wichtigste Ereignis im vergangenen Jahr. Vieles ist bereits in der ersten Sitzungsperiode in Bewegung geraten. Neues und erneuerndes Leben ist in der Kirche aufgebrochen. Das Weltecho dieses Ereignisses war über alles Erwarten nachhaltig und weitreichend; und daß der Papst, der für dieses Konzil voll Zuversicht die Tore weit geöffnet hat. es auch erfolgreich zu Ende führen kann, das ist unsere sehr von Herzen kommende Bitte, das ist das Gebet der Katholiken auch in diesem Lande.

Ein erneuertes Bild der Kirche zeichnet sich in Umrissen ab. Es ist nicht eine Kirche des Glanzes und des Prunkes, des fürstlichen Herrschens, hochmütiger Abgeschiedenheit und Verschlossenheit — es ist das Bild einer Kirche des Dienens und Dienstes an der Wahrheit und Gerechtigkeit, aber auch der Liebe, des Verstehens und Verzeihens, einer Kirche des offenen Gespräches und brüderlichen Entgegenkommens, einer Kirche, die an das Gute glaubt in den Menschen und in der Welt, einer Kirche, die weiß, daß alles, Natur und Geist, auf Gott hingeordnet und Ihm ganz verpflichtet bleibt.

Das heißt aber nicht, daß damit die Lehre der Kirche verschwommen und die Gebote Gottes gelockert würden, daß es in Zukunft leichter, billiger und bequemer sein werde, als Christ zu leben. Vielleicht ist es notwendig, gerade in unserem Lande darauf hinzuweisen, wo man sich nur zu gern mit dem schönen Schein begnügt, wo man nur zu leicht bereit ist, den Wunsch für die Tat zu nehmen, den Willen für das Werk gelten zu lassen, das Gefällige auch für das Gute zu halten und verbindlich nur im Unverbindlichen zu sein. Die Kirche ist eine Kirche des offenen Tores, aber kein Durchhaus. Die persönliche Entscheidung vor Gott, im Lichte des mahnenden Gewissens, kann uns niemand abnehmen, keine Konvention und kein Brauchtum, keine Flucht in den Gewisr senszwang. Diese Entscheidung wird auch in Zukunft keine leichte, sondern eine schwere sein.

Das vergangene Jahr hat uns in einigen bangen Stunden und Tagen gezeigt, wie sehr diese Welt immer am Rande der Vernichtung lebt. Gott hat Herz und Geist der Verantwortlichen gelenkt, so daß es nicht bis zum Äußersten, nicht bis zum heißen Krieg kam; von Frieden zu sprechen wäre fast frivol.

Aber, so müssen wir hagen, wa» haben wir in unserem Vaterlande getan, um dem künftigen Frieden zu dienen, um einem Unheil vorzubeugen, das nicht nur aus Haß und bösem Willen, sondern ebensooft auch am Dummheit, Unwissenheit und Nachlässigkeit entsteht. Unsere Neutralität verpflichtet uns, keinen militärischen Blöcken beizutreten. Sie darf uns aber nicht hindern, unseren Platz und unsere Pflicht zu erkennen und unser Schicksal zu meistern, das uns mit der einen Welt auf Leben und Untergang verbindet. Wir leben weder in einem Rentnerparadies der Weltgeschichte noch in einem Naturschutzgebiet der Gleichgültigen und Uninterssierten.

Unsere Freunde und Nachbarn, die Welt und ihre Mächte, müssen wissen, was sie von uns zu halten haben. Sie werden uns vertrauen und sie werden uns respektieren, wenn wir an unserer Haltung keinen Zweifel aufkommen lassen. Ausmaß und Grenzen unserer neutralen Stellung abzustecken ist unsere Angelegenheit, unsere Pflicht ist es aber auch, sie so zu vertreten, daß man sie uns glaubt. Niemand hindert uns daran, die positiven Möglichkeiten unserer Stellung in der Welt auszuwerten. Dazu gehört auch die undankbare aber notwendige Aufgabe, den Mut zu haben, in der völkerrechtlichen Ordnung Unrecht beim Namen zu nennen, unabhängig von Gunst oder Ungunst der anderen, es als solches zu brandmarken.

Das vergangene Jahr sah in Österreich nach zehnjähriger Pause wieder einen Katholikentag, auf dem die österreichischen Katholiken durch ihre Delegierten Stellung genommen haben zu aktuellen Problemen in Kirche, Volk und Staat. Eine der Forderungen, in denen der Katholikentag gipfelte, war der Ruf nach einer Bildungsgesellschaft. Wie weit Österreich davon entfernt ist, zeigen die Proteste österreichischer Studenten, deren Hörsäle und Studienbehelfe nicht selten noch aus der Zeit ihrer Großväter stammen. Was hier versäumt wird, rächt sich vielleicht nicht heute oder morgen, aber um so stärker übermorgen. Wir werden auf die Dauer nicht den Geist vertreiben und uns in die Phrase vom reichen Erbe flüchten können. Wenn wir uns das nicht erwerben können, was wir von unseren Vätern ererbt haben, so werden wir bald nichts mehr besitzen, als die lächerliche Anmaßung, für etwas gelten zu wollen, was uns niemand mehr glaubt. Österreich ist nicht so arm, daß der materielle Mangel allein als Ursache für die Nichtbe-wältigung der Bildungsaufgaben des Staates glaubhaft gemacht werden kann. Was fehlt, ist nicht das Geld, sondern eine richtige Rangordnung der Werte. Wir haben den wirtschaftlichen Aufbau weitgehend und erfolgreich abgeschlossen. Wir sind aber in unserem geistigen und kulturellen Aufbau steckengeblieben. Milliarden werden jährlich für Luxus, Vergnügen und Genußgifte ausgegeben, aber die Wissenschaft hat kaum einen Raum und einen Studienplatz, keine Assistenten und keine Laboratorien.

Keinen Raum und kein menschenwürdiges Dach über dem Kopf haben auch viele zehntausende Familien in Österreich, obwohl an die hunderttausend Wohnungen leerstehen. Daß heute, mehr als siebzehn Jahre nach Ende des Krieges, das Wohnungsproblem immer noch nicht gelöst ist, das ist eine der schwersten Anklagen, die vor allem die Jugend unseres Landes erhebt. Die Schwierigkeit des Wohnungsproblems liegt nicht zuletzt darin, daß es ein wirtschaftliches und soziales Problem dabei zu lösen gibt. Es führt zu keinem Ziel, wenn man nur das wirtschaftliche oder nur das soziale Problem lösen will. Es ist daher ganz unrecht, die Wohnung lediglich als Ware zu betrachten, deren Preis sich aHein nach Angebot und Nachfrage richtet, für deren Erwerbung nicht der Bedarf, sondern allein nur das Geld maßgebend ist. Und es ist ebenso unrecht, von der Allgemeinheit, von der Gesellschaft, vom Staat oder von der Gemeinde die praktisch kostenlose Zurverfügungstellung einer Wohnung zu erwarten, für die man weniger auszugeben bereit ist, als für den monatlichen Zigarettenkonsum.

Wenn die kommende Regierung diese Frage nicht lösen kann, wird die Sorge von hunderttausenden Österreichern in Enttäuschung und die Enttäuschung in Mißachtung umschlagen. Freilich nützen Gesetze allein nichts, vor allem dann nicht, wenn man nicht bereit ist, sie auch anzuwenden. Wohnungsablösen zum Beispiel sind zwar vom Gesetz verboten, in aller Öffentlichkeit werden sie verlangt und auch bezahlt. Es zeigt sich hier wieder jener doppelte Boden der öffentlichen Moral, wie wir ihn auch bei der Gefährdung unserer Jugend durch literarischen Schmutz und verrohenden Schund beobachten können. Auch hier mangelt es nicht an Gesetzen, wohl aber scheint es an der Entschlossenheit zu fehlen, sie zu beobachten und sie durchzuführen.

Darf es uns daher wundern, wenn wir überall sehen, wie das Vertrauen in den Staat und seine Führung geringer wird? Darf es uns wundern, wenn allgemein ein Autoritätsschwund festgestellt wird, da jene, denen die Autorität anvertraut ist, sie nicht mehr glaubhaft zu vertreten wissen? Wo aber die Autorität fehlt, dort tritt der rücksichtslose Kampf der Interessen an ihre Stelle; wo das Vertrauen mangelt, mangelt es bald an Solidarität, und so frißt sich die moralische Erkrankung von oben her immer tiefer ins Volk. Immer weiter wird das Gebiet, wo man ohne alle sittliche Normen auszukommen vermeint; das Naturrecht wird geleugnet, das Lebensrecht der Ungeborenen in Frage gestellt, das Leben der Schwachen, Kranken und Mißgestalteten als Last empfunden, Moral in der Politik als Phantasterei abgetan, Arbeitsmoral als reaktionär verlacht.

Vor sechs Wochen hat Österreich nach einem nicht sehr schönen Wahlkampf seine Volksvertretung neu gewählt. Und noch immer hat Österreich keine neue Regierung. Erst das neue lahr, heißt es, und auch hier nicht gleich zu Beginn, wird uns eine neue Regierung bringen. Die Österreicher wünschen, daß es eine Regierung der Stabilität, der Sachlichkeit und des Mutes sein werde; des Mutes, auch Probleme anzugreifen, die sich nicht durch ein gegenseitiges Tauschgeschäft erledigen lassen. Eine solche Regierung braucht als Grundlage ohne Zweifel ein überlegtei Arbeitsübereinkommen.

Wichtiger aber als jedes formuliert und paraphierte Abkommen ist der Geist, in dem es geschlossen wird. Ist es der Geist eines gegenseitigen Mißtrauens, dann wird die kommende Regierung unfruchtbarer sein als ihre Vorgängerin. Ist es der Geist redlichen Zusammenwirkens und eines ehrlichen Wollens, der auch dem Partner gleich ehrliches Wollen zubilligt, dann und nur dann kann das österreichische Volk der Welt beweisen, daß seine Demokratie eine bewährte Lebensform ist. Wir dürfen außerdem beim Ringen um unsere eigenen innerstaatlichen Probleme nicht vergessen, daß wir auch noch mithelfen müssen — je früher und je mehr, desto besser — an der Lösung der Aufgaben, die rings um uns die Einswerdung der Welt an alle Völker stellt. Auch Österreich kann nicht für sich privat leben.

Ist es Sache des Bischofs, ist es Sache der Kirche, dies zu sagen? Ich glaube, daß niemand der Kirche den Vorwurf machen kann, sie mische sich ungefragt und unerlaubt in Dinge ein, die sie nichts angehen. Die Kirche will gerade in unserem Land nicht urteilen und nicht verurteilen, nicht herrschen und nicht richten. Sie will dienen, sie will bitten, sie will mahnen, sie will das dienende, bittende und mahnende Gewissen des Volkes sein. Sie hat im zu Ende gehenden Jahr auf ihre Weise versucht, mit ihren Kräften ihrer Aufgabe zu entsprechen. Und sie wird es auch mit Gottes Hilfe im kommenden Jahr tun. Daß dieses neue Jahr ein Jahr des Friedens in der Welt, ein Jahr der Neubesinnung der Kirche im Konzil, ein Jahr friedlicher und erfolgreicher Arbeit in Österreich sein möge, daß es uns allen Glück und Zufriedenheit bringe, daß der Segen Gottes in reichem Maße mit uns und unserer Heimat sei, das ist der Wunsch des Bischofs zum Jahreswechsel.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung