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Der Christ und die Politik

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Es ist noch nicht allzu lange her, daß in Österreich Kirche und Tagespolitik in eine überaus enge Verbindung gerieten. Dann schlug das Pendel in die andere Richtung aus: Die Kirche zog den Klerus nicht nur vollständig aus der Politik zurück, auch viele Christen übten bei ihren Aufgaben im öffentlichen Leben äußerste Zurückhaltung.

Seit einigen Jahren aber wurde das richtige Maß und die richtige Mitte gefunden: Der Christ und gerade der aus seinem Glauben lebende Christ nimmt wieder bewußt und tätig an der Gestaltung des öffentlichen Lebens teil. Er weiß aus bitterer Erfahrung, daß die Abwesenheit der Christen aus der Politik jene Leere schafft, in die schnell die Kräfte kollektiver und totalitärer Tendenzen einschießen.

Leitstern: Das Gewissen

Das Bild des Christen, der in unseren Tagen im öffentlichen Leben tätig ist, beginnt deutlich Gestalt anzunehmen. In einigen Punkten unterscheidet sich freilich seine Stellung und Verantwortungslast wesentlich von seiner Lage in früheren Epochen.

Heute handelt der Christ im öffentlichen Leben nicht im Auftrag und nach den Anweisungen geistiger Obrigkeit. Er kann sich auch nicht zur Rechtfertigung seiner Entscheidungen und Aktionen auf sie berufen. Der Leitstern seines politischen Handelns ist allein sein christliches Gewissen — ein waches und lebendiges Gewissen, das an seinem Glauben und an den unerschütterlichen Normen des christlichen Sittengesetzes ausgerichtet ist. Daraus gewinnt er jenen inneren Halt, den selbst die massivste Unterstützung eines Parteiapparates niemals geben könnte. Der Christ in der Politik braucht heute mehr denn je diese klare Orientierung. Denn wir leben in einer Zeitenwende. Die große Göt- zendämmerunig der Kollektive und ihrer sozialmagischen Phrasen hat begonnen. Der mündig gewordene Mensch des letzten Drittels unseres Jahrhunderts beginnt nun zu begreifen, daß der Herrschaftsanspruch der Kollektive, die ihm scheinbare Geborgenheit anbieten, die wahre Bedrohung seiner unmittelbaren Existenz als einmalig einzelner darstellt.

Denn Christ sein heißt ein einzelner sein; vor sich selbst, vor den anderen, vor Gott. Christ sein heißt ein einmaliges, unwiederholbares, irdisches Leben zu haben, einen einmaligen, unwiederholbaren Tod zu sterben. Weder von diesem einmaligen Leben, noch von diesem einmaligen Tod vermag den einzelnen irgendein Kollektiv zu entheben. Also steht der einzelne vor jeglichem Kollektiv, also empfängt jegliches Kollektiv Sinn und Würde vom einzelnen und nur in dem Maße Sinn und Würde, als es dem einzelnen hilft, der einmalig einzelne zu werden, als den ihn Gott gesehen hat. Deshalb sind alle Herrschaftsansprüche jener zahllosen, von einem vemunftlosen Intellektualismus getragenen Ideologien zurückzuweisen, die heute den Menschen in ihren Bann zu schlagen versuchen.

Der Christ in der Demokratie ist zu dieser Auseinandersetzung aufgerufen. Er darf ihr niemals auswed- chen. Die Würde und die Freiheit des Menschen stehen immer wieder auf dem Spiel; keine trügerische Ruhe an der Oberfläche darf darüber hinwegtäuschen. Niemals geht der Kampf um Recht und Ordnung zu Ende. Auch das Scheitern des einzelnen darf den Christen nie entmutigen. Er weiß, daß es sein Glaube ist, der zuletzt die Welt überwindet.

Wir Katholiken streben bei diesen wie bei allen ähnlichen öffentlichen Aufgaben niemals an, daß unser Wille allen aufgenötigt werde. Aber brüderliche Sorge zwingt uns, Stellung zu nehmen und vor sittlichen Gefahren zu warnen, die allen drohen.

Neue Aufgaben — neue Probleme

Diesen neuen Aufgaben des Christen in der Politik entsprechen auch neue Probleme der Kirche. Heute werden ihr zwar Zugänge zur Seele des Menschen infolge der Rolle, die sie im öffentlichen Leben spielt, nicht mehr verwehrt. Der Weg zum Herzen der fernstehenden Menschen aber ist weit. Dem Beispiel des guten Hirten folgend, muß der Seelsorger denen, die verirrt sind, nachgehen, ohne deshalb die Sorge für die Herde vernachlässigen zu dürfen. Denn der Hirte ist für alle da. Es dürfen diejenigen, die stets seinem Wort gefolgt sind, nun nicht den Eindruck gewinnen, sie seien auf dem falschen Wege. Der seelsorgliche Eifer kann immer nur dem einzelnen Menschen gelten, nicht aber der Heimholung einer Ideologie oder einer Organisation. Schon gar nicht dann, wenn die Parlamentäre solcher Organisationen klar erkennen lassen, daß sie — sofern nicht überhaupt nur dialektische Unterwanderung ihr Ziel ist — der Kirche bestenfalls ein gegenüber dem öffentlichen Leben hermetisch abgeschlossenes Naturschutzgebiet einräumen wollen. Wird das nicht beachtet, so werden die Machenschaften jener gefördert, die es darauf anlegen, die Glaubwürdigkeit christlicher Politiker zu erschüttern, sie zu diffamieren, Verwirrung in die Reihen der am öffentlichen Leben teilnehmenden Christen zu tragen und dadurch eben das zu durchkreuzen, was der gesamten Kirche — Klerus und Laien — bis zum Ende der Zeiten aufgetragen ist: als Christen in die Welt christlich zu wirken.

Funktion des christlichen Volkes

Es bedarf aber auch einer neuen Haltung aller jener Christen, die keine hohen Funktionen im öffentlichen Leben bekleiden. Denn die Verantwortung am politischen Geschehen kann nicht nur einer kleinen Spitzengruppe überlassen bleiben, während sich das große Volk der Christen auf die Abgabe ihrer Wählerstimme in Abständen von mehreren Jahren beschränkt. Mit Dankbarkeit ist festzustellen, daß es bereits heute eine immer größer werdende Zahl von Katholiken verstanden hat, daß nur durch ihre tatkräftige Unterstützung, durch das enge Zusammenwirken und die vertrauensvolle Begegnung mit den in der Politik tätigen Christen die Geschicke des Staates zum Guten gewendet werden können.

Denn der christliche Politiker in seiner freien Verantwortlichkeit, ohne Aufträge, aber auch ohne Rezepte der Kirche, stünde isoliert da, wenn nicht Hall und Widerhall des christlichen Volkes vorhanden wären. Es bedarf mehr als je der Solidari-zu allen Zeiten die Christen, die in der Politik wirken, kennzeichnen müssen — Eigenschaften, die die Männer in den Spitzenstellungen des Staates genauso aufweisen müssen, wie diejenigen, die im Bereich der Gemeinden oder Interessenvertretungen dem öffentlichen Wohl dienen. Es sind dies: Brüderlichkeit, Mut und Wahrhaftigkeit. Der Christ im öffentlichen Leben unterscheidet sich von allen anderen Politikern dadurch, daß er im Gegner nie den Feind, sondern, über alles Trennende hinweg, den Bruder sieht.

Politik im christlichen Sinn darf niemals von persönlichen Gegensätzen oder der Antipathie von Gruppen bestimmt werden. Gegensätze dürfen niemals anderer als sachlicher Natur sein. Es wäre freilich naiv, anzunehmen, daß damit allein schon die Härte der Auseinandersetzung in der Politik überwunden wäre; eine Verniedlichung der Gegensätze schadet nur. Machen wir uns auch keine Illusionen darüber, daß die Macht des Bösen gerade in der Politik gegenwärtig ist und persönliche Anfeindungen selbst unter Christen an der Tagesordnung sind.

Lassen wir uns aber dennoch nicht beirren. Treten wir für eine Versachlichung der Politik in einem vertieften, christlichen Sinne ein: Gegenstand der Politik sind ja letztlich nicht Sachen, sie hat vielmehr dem Menschen zu dienen. Das Ziel muß eine nicht nur sachgerechte, sondern vor allem auch menschengerechte Politik sein.

Die Stellungnahme des Christen im öffentlichen Leben wird sich daher niemals in der bloßen Verneinung erschöpfen oder in der Herausarbeitung von Interessenkonflikten. Die Politik des „Anti” äst eines Christen unwürdig. Ihm geht es immer nur um die positiven Werte und die Bereitschaft zur Verständigung, um den Willen zum Gespräch und den Versuch, den anderen zu überzeugen.

Der politische Mut

Der politische Mut ist eine der vornehmsten Tugenden des Mannes im öffentlichen Leben. In der Demokratie aber bewährt sich das Format eines Politikers zuerst an der Standhaftigkeit, die er gegenüber seinen Gesinnungsgenossen zeigt.

Er muß den Mut haben, ihnen ein Nein entgegenzusetzen, wenn er ihren Forderungen nach seinem Gewissen nicht nachgeben darf — mag er auch die Unterstützung seiner Anhänger und die Chance seiner Wiederwahl riskieren, mag er sich auch die Feindschaft egoistischer Interessentengruppen zuziehen.

Demokratie bedeutet nicht Gefälligkeit nach allen Seiten. Eine solche Haltung führt zum Ausverkauf aller Werte in der Politik, führt zum Niedergang alles und jeden.

Das, was den Politikern an materiellen und ideellen Werten vom Volk an vertraut wurde, haben sie als getreuliche Verwalter zu hüten. Niemals dürfen sie es in kleiner Münze gegen das Linsengericht einer von „öffentlichen Meinem” manipulierten Popularität verhandeln. Am deutlichsten kommt die christliche

Haltung eines Politikers in der Wahrhaftigkeit zum Ausdruck. Gerade heute beherrscht die Unwahrheit in allen Spielarten das öffentliche Leben bis in seine weitesten Verzweigungen.

Von der „Seuche” Lüge

Doch am schlimmsten ist die Verseuchung der Politik durch die Lüge. Hier ist es zur Gewohnheit geworden, Gespenster in der Retorte zu erzeugen und so lange aufzublasen, bis sie eine bedrohliche Scheinexistenz erreichen und zur Täuschung von Freund und Feind geeignet sind. Dann werden diese professionellen Lügner selbst zu Gefangenen der von ihnen erzeugten Schimären und zu Sklaven ihrer eigenen stumpfsinnigen Schlagworte. Diese Lügengebilde gewinnen zuletzt mehr Macht in der Politik als die Realitäten, sie beherrschen ganze Gruppen und Verbände, ja oft mehrere Generationen des Volkes.

Der Dichter Werner Bergengruen gab seiner Erschütterung über die sittlichen Verheerungen einer skrupellosen politischen Propaganda Ausdruck:

„Wo ist das Volk, das dies schadlos an seiner Seele ertrüge?

Jahre und Jahre war unsere tägliche Nahrung die Lüge “ Denn das Beispiel der Lüge in der sogenannten „großen Politik” wirkt auf alle nachgeordneten Ebenen, wie umgekehrt die gewohnheitsmäßige Unwahrheit als Massenerscheinung des Alltags den Stil der Politik infiziert. Am Ende lebt das ganze Volk nur noch in den finsteren Schluchten lügenhafter Illusionen.

Die Wahrheit ist die Pflicht jedes Christen, wo immer er wirkt. Denn die Lüge trifft auch ihn, mag er auch glauben, noch so fern von politischen Entscheidungen zu stehen. Er muß das Übel an der Wurzel bekämpfen und sich mit ganzer Kraft dafür ein- setzen, daß in keinem Bereich die Lüge ihre Herrschaft über unser Leben fortsetzen kann.

Demokratie heißt Freistaat, Rechtsstaat

Die Christen müssen deshalb allen denjenigen mißtrauen, die ihnen weismachen wollen, daß man im politischen Leben ohne Abstriche von der Wahrheit nicht auskommen könne, die ihnen vorlügen, ein gewisses Maß an Lüge sei ein notwendiges Übel in der Demokratie. Das Gegenteil ist richtig: Die Lüge ist das Kennzeichen des Unrechtes, des Unstaates, der Unfreiheit. Demokratie aber heißt Freistaat, heißt Rechtsstaat. Sie ist offene Auseinandersetzung, Dialog, Kritik, Verständigungsbereitschaft — all dies auf dem Boden der Wahrhaftigkeit. Es sind die Totengräber der Demokratie, des Rechtsstaates, der Freiheit, die die politische Lüge zur Selbstverständlichkeit und uns zu ihren Knechten machen wollen.

Mögen sich deshalb die Christen nicht von den billigen Routiniers bluffen lassen, die jeden, der im politischen Leben für Wahrheit und Geradlinigkeit ein tritt, als Naivling abtun wollen. Diese Menschen betrügen ja nicht nur die anderen, sie betrügen sich selbst. Die Christen sollten sich auch nicht dem Zwang einer von Massenmedien manipulierten öffentlichen Meinung unterwerfen, wenn sie nicht der Wahrheit entspricht und sich dagegen wehren, daß aufrechte Männer in der Presse, in Illustrierten, in Rundfunk und Fernsehen auf billige Weise verunglimpft und lächerlich gemacht werden, weil sie den Mut zur Wahrheit haben.

Ein heiliger Optimismus tut not!

Mögen die Christen darauf vertrauen, daß dem Menschen die Sehnsucht nach der Wahrheit zutiefst im Herzen wohnt.

Mögen sie erkennen, daß es wahre Brüderlichkeit ist, dem Nächsten wahrhaftig zu begegnen.

Mögen sie sich nicht beirren lassen: Mit der Lüge erwirbt man weder Freunde, noch versöhnt man Feinde.

Mögen sie gewiß sein: Wahrheit und Offenheit überzeugen letzten Endes selbst den Gegner.

Mögen sie sich nicht täuschen: Wer Lügen aussät, dem werden sie mit Zinsen zurückbezahlt. Wer dagegen wahrhaftig ist und Vertrauen schenkt, wird dieses Gut mit Zinseszinsen zurückerhalten.

Die Wahrheit ist zu verkünden, sei sie gelegen oder ungelegen, wie Paulus beschwörend sagt.

Mögen alle Christen an die Wahrheit glauben, ihr dienen und für sie kämpfen. Denn die Wahrheit — und nur sie, wird uns frei machen.

tat, des Kontaktes, der Brüderlichkeit und des Gebetes.

Unverändert aber bleiben jene Grundeigenschaften, die überall und

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