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Ein Festbericht

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Es war an einem ersten Mai.

Auf den Wällen des amphiteatralisch angelegten Festplatzes gruppierten sich, feiertäglich gekleidet, die im tätigen Leben stehenden Erwachsenen, während unten, auf der Festwiese, die ins Leben eintretende Jungmannschaft in schöner Ordnung aufgestellt war. , .;

Nach einem Gottesdienst trat der Priester mit seiner Assistenz zurück und der angesehenste Mann der Festgemeinde stieg auf eine Art Kanzel, von der aus er etwa folgendes sagte:

Liebe Landsleute!

Wie jedes Jahr, sind wir auch in diesem versammelt, um“ mit dem wirklich gewordenen Erwachen der Natur in symbolischer Weise die Erneuerung. der Nation dadurch zu feiern, daß wir die herangewachsene Jugend in den Kreis der Erwachsenen aufnehmen und sie damit für ihr politisches Tun ' nach '■ eigener Entscheidung und Verantwortung für reif erklären.

Liebe, junge Freunde! Bis heute hat euch das Väterland unter der Hut eurer Eltern und Erzieher geleitet. Es hat sich bemüht, euch alles zu geben, was es als die wahren, echten und unter allen Umständen bestehenden Werte nach schweren Erfahrungen kennengelernt hat.

Mit dem natürlichen Heranwachsen ist euch immer mehr Gelegenheit zur selbständigen Entfaltung gegeben worden, um euch an die verantwortungsbewußte persönliche Entscheidung heranzuführen. Denn es ist ein Grundzug der Ordnung, in welcher wir alle stehen, daß jeder dies tue.

Nur eines war euch bisher untersag't: die Teilnahme am öffentlichen Leben. Das öffentliche Leben ist so wichtig, daß wir nur jene daran teilnehmen lassen, die darauf vorbereitet sind. Denn das öffentliche Leben ist nur als eine große Verantwortung zu verstehen.

In alten Zeiten wurde diese Verantwortung von einem kleinen Teile des

Volkes getragen, Während die Masse sich führen ließ und dafür allerdings untertänig und damit oft unfähig zum Dienste aus innerer Hingabe wurde. Später errangen sich wohl auch die sogenannten Untertanen die politische Gleichberechtigung, ohne in- ' des zu wissen, wozu sie als Nation anders bestanden, als möglichst rasch ein bequemes und gesichertes Dasein zu gewinnen.

Aber das Leben ist ein Wagnis und voll ' Unsicherheiten und der Abgrund ist gerade dann am weitesten geöffnet, wenn man glaubt, sich gegen alle Möglichkeiten am besten vorgesehen zu haben.

Wir sind deshalb nicht nur und keinesfalls zuerst eine Nation, um jedem ein angenehmes materielles Dasein zu garantieren.

Die Mißachtung dieser Grundwahrheit sowie das unzureichende Bemühen um klare Erkenntnis, wozu unser Volk über die materielle Erhaltung seiner Existenz hinaus gemeinsam verbunden ist, zersplitterte es in sich gegenseitig bekämpfende Parteien, deren Ziel nicht selten eine Verkehrung dessen war, wozu unser Vaterland ins Dasein gerufen worden war, nämlich eine menschliche Gemeinschaft zu bilden, in der eine derartige Ordnung zu verwirklichen ist, daß jedem einzelnen die beste Gelegenheit geboten wird, sich in edler Menschlichkeit zu erfüllen.

Auch diese Phase konnte, nachdem allerdings die Existenz des. Vaterlandes durch eine jahrzehntelange, sich ständig steigernde Kette von Krisen noch hindurgerettet worden war, überwunden werden. Aber gerade dieser Zeit verdanken wir es, daß wir heute sind, wo und wie wir sind, denn sie zwang uns zur Einkehr und es blieb uns auf Leben und Sterben nur mehr der eine Weg, den wir. dann gegangen sind.

Die Nation lebt nur solange, als sie den Zwecken treu bleibt, unter welchen sie entstanden ist. Und da wir alle, und nicht nur eine bevorrechtete Schicht, ihre Träger sind, müssen wir diesen Zweck kennen, um ihn in uns selbst und der Welt gegenüber behaupten und verwirklichen zu können.

Merket wohl: Der Zweck Österreichs ändert ich nie. Das Wissen um diesen Zweck ist das Wissen um das, wodurch wir im Gemeinsamen verbunden und daher eine Gemeinschaft sind. Jedes Wissen ist zugleich die Pflicht, es nützlich anzuwenden und keineswegs ein geizig zu hütender Privatbesitz. Ihr häbtf'däher das Wissen um das Gemeinsame erhalten, um es um eurer selbst willen und in der Gemeinschaft anzuwenden. Dadurch wird euer Leben im bewußten Dienen der höchsten und besten Ordnung eingegliedert und damit wird euch das Vaterland zum Ort, an welchem das Leben so lebenswert ist, daß für den Bestand Österreichs jede Anstrengung, jeder Verzicht und jedes Opfer gerechtfertigt wird. Jedes Weniger bedeutet mit tödlicher Sicherheit den Untergang. Dann aber schiebe man die Schuld nicht etwa auf ein blindes Schicksal, sondern beklage sich selbst, weil man eben in allem, was zugleich die Erfüllung des Lebens ist, zu wenig war: im Glauben, in- der Nächstenliebe, in der Klugheit, in der Gerechtigkeit, in Zucht und Maß und in der Tapferkeit.

Es ist die Mitwirkung aller am gemeinsamen, das heißt politischen Leben einer der am tiefsten verpflichtenden Angelegenheiten und eine solche der Ehre.

Es unmöglich, dieser Aufgabe ohne eine gründliche Vorbereitung zu entsprechen. Deshalb haben wir es für notwendig gehalten, euch zuerst geziemend anzuleiten. Nun aber ist es soweit. Heute tretet ihr in das politische Leben, jeder kann sich nach seiner freien inneren Entscheidung jener Richtung zuwenden, die ihm am besten gefällt.

Junge Freunde!

Das Vaterland weiß keine bessere nationale Feier als die freudig willkommene Aufnahme seiner herangereiften, glücklichen Jugend in die Reihen der Älteren.

Beuget die Knie, flehet um Gottes Segen, daß er euch hilft, ordentliche Menschen, tüchtige Mitbürger und wahre Österreicher zu werden und sprechet mir dann die Worte der Verpflichtung nach.

Der Priester tritt hervor und während er die kniende Menge segnet, spricht ^er: „Es segne euch der allmächtige Gott...“

Nach der Verpflichtung, die von den Jungen nachgesprochen wird, erdröhnen Böller, unzählige Fahnen steigen an den Gaffeln in die Höhe, Musik setzt ein und im gewaltigen Chore singen alle die Hymne des Vaterlandes.

Damit sind wir am Ende unseres Berichtes von einem Feste, das nie so stattgefunden hat und nie so stattfinden wird. Der Bericht hätte noch manche Einzelheit näher erklären können, und vielleicht denkt ich mancher die Festrede anders. Darum handelt es sich aber nicht. Sondern nur darum, um eine andere Möglichkeit der jetzt üblichen Maifeiern aufzuzeigen.

Was sind sie jetzt? Demonstrations- und Konkurrenzveranstaltungen der einzelnen Parteien.

Hier aber sollte ein Beispiel des Festes der nationalen Einheit vorgeführt werden, wobei freilich unter Einheit etwas anderes verstanden wurde, als eine politische Partei vor dem 1. Mai mit den erstaunlichsten Anstrengungen forderte.

Es wird ferner zwischen der Utopie und der Wirklichkeit, insbesondere hinsichtlich der Rolle, welche der Jungmannschaft am 1. Mai zufällt, ein Unterschied auffallen. Ja, es ist die Feier wie ein heiliger Frühling gerade auf die nachrückende Generation abgestellt, und dennoch ist keine Rede davon, sie schon parteipolitisch zu reklamieren und zu mißbrauchen.

Nun, verschiedene Dinge gehören offenbar zum eisernen Bestand unseres wiederhergestellten öffentlichen Lebens und man hört, daß sie unmöglich preisgegeben werden können. So wird es wahrscheinlich nie zur utopischen Maifeier kommen, sondern wir bleiben lieber bei den traditionellen Maifeiern — solange Österreich überhaupt noch feiern kann.

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