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OSTERREICHISCHE OSTERN

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In diesen Tagen gedenken wir der Zeit, da vor 20 Jahren Österreich wiedererstanden ist. Die Leidenszeit der Jahre vorher wirkte noch bis in diese Tage des wiedererstandenen Österreichs. Es war keine Feier mit lauten Allelujahrufen; zu allgemein sichtbar waren noch die Trümmer und Zerstörungen, auch das viele Leid, das uns zurückgelassen wurde.

Trotzdem war der Glaube an das wiedererstandene Vaterland lebendig und stark. Dieser Glaube war stark genug, aus dem damaligen Chaos einen Weg in die Zukunft zu bahnen.

“Yj^ir hatten aus der Vergangenheit gelernt und wollten ^V es in der Zukunft besser machen. Wir hatten erkannt:

Es war nicht richtig gewesen, Österreich einfach auszulöschen mit seiner Geschichte, mit seiner Kultur, mit seinen Leistungen und mit seinen Aufgaben in der Gemeinschaft der Völker.

Es war nicht richtig gewesen, die Österreicher einfach „gleichzuschalten“ und statt einer dem Leben entsprechenden Verschiedenheit eine das Leben ertötende Uniformierung zu setzen.

Es war nicht richtig gewesen, mit einem Gewaltregime die Menschenwürde zu schänden und die Freiheit der Menschen zu vernichten.

Es war nicht richtig gewesen, Menschen, die sich dem herrschenden Regime nicht beugten, in der unmenschlichsten Weise in den Kerkern und Konzentrationslagern auf vielerlei Art aus dem Weg zu räumen.

Es war nicht richtig gewesen, in dem entfachten Kriege Tod und Zerstörung über weite Teile der Welt zu tragen.

Beim Zusammenbruch des nationalsozialistischen Gewaltregimes ging ein Aufatmen durch unser Land; nicht nur bei denen, die vom Anfang an das Verwerfliche des Regimes erkannt hatten, sondern auch bei den vielen, die im Laufe der Zeit immer mehr das Unglück wahrnahmen, das über zahllose Menschen gekommen war.

Die im Jahre 1945 bei dem Wiedererstehen Österreichs die Möglichkeit hatten, an der Neugestaltung Österreichs mitzuarbeiten, mußten zunächst darauf bedacht sein, dem österreichischen Volk begreiflich zu machen, welche Verantwortung es selbst trägt, um aus dem Ungeist der Vergangenheit herauszukommen. Es mußte allen bewußt werden, daß es nun darum gehe, das gemeinsame österreichische Vaterland aufzubauen. Wie oft hat man in der Vergangenheit davon gesprochen, Österreich sei nicht lebensfähig. Es mußte die Zeit der Zerstörungen und Vernichtungen kommen, damit die Österreicher wieder erkannten, daß sie durch ihr Zusammenwirken Österreich lebensfähig machen können.

So wuchs aus dem Glauben an das aus vielen Wunden blutende Vaterland die Überzeugung von seiner Lebensfähigkeit. Es wuchs in diesen Tagen aber auch der Glaube an die schicksalshafte Verbundenheit aller Österreicher und die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer vernünftigen Zusammenarbeit aller Gruppen des Volkes.

Diese Bejahung des gemeinsamen Vaterlandes und der Wille zu einer vernünftigen Zusammenarbeit aller bewirkten Wunder.

Wie hätten wir sonst das Chaos überwinden können? Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß unter schwersten Opfern Arbeiter und Angestellte die Betriebe wieder in Ordnung brachten, daß die Unternehmer, ob klein oder groß, versuchten, trotz aller Schwierigkeiten die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, daß die Beamten in zähen Bemühungen den Verwaltungsapparat wieder aufbauten und so ein geordnetes Staatsleben ermöglichten, daß die Frauen und Männer im ganzen Land sich bemühten, die Äcker zu bestellen und mit dazu beizutragen, unseren Menschen wieder das tägliche Brot zu bereiten, daß Frauen und Männer eifrig bemüht waren, unsere Jugend in Stadt und Land bis zu den Hochschulen wieder zu unterrichten und zu erziehen, und daß schließlich auch unsere Hochschuljugend in einem bis dorthin nie dagewesenen Fleiß die Hörsäle füllte und gleichzeitig auch tatkräftig mitwirkte, unsere Hochschulen vom Schutt und den ärgsten Trümmern zu befreien? Kurz: Wie wäre im wiedererstandenen Österreich in der Zeit der Not es möglich geworden, über die Schwierigkeiten ohne Zahl hinwegzukommen, wenn uns alle nicht geleitet hätte der Glaube an unser gemeinsames Vaterland und der Wille zur vernünftigen Zusammenarbeit aller?

Ist es heute, 20 Jahre nach dem Wiedererstehen Österreichs, nicht am Platze, die Frage zu stellen: Ist der Glaube an unser gemeinsames Vaterland Österreich noch immer stark genug lebendig? Was haben wir dazu beigetragen, diesen Glauben in uns, aber auch in unserer Jugend noch zu stärken?

Sollen wir aber nicht auch fragen: Lebt in unserer Arbeit zur Lösung der verschiedenen Probleme, die immer wieder an uns herantreten, noch der Wille zu einer vernünftigen Zusammenarbeit aller? Auch ohne Rücksicht auf die begreiflich verschiedenen Auffassungen, die unter denkenden Menschen immer wieder vorhanden sein werden?

Verschiedene Vorkommnisse der letzten Zeit, der ferneren und auch der jüngsten, machen es uns schwer, die gestellten Fragen mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Sollte das uns nicht zu denken geben? Das vor 20 Jahren wiedererstandene Österreich hat in uns Kräfte geweckt. Sie sollten uns zu Ostern, an diesem Fest der inneren Erneuerung, daran mahnen, daß wir in einem bloßen äußeren Wohlstand nicht steckenbleiben dürfen. Unser österreichisches Vaterland soll im äußeren Wohlergehen weiter wachsen, aber dabei dürfen wir nie auf das vergessen, was den Menschen erst zum Menschen macht. Auch diese Probleme werden wir nur lösen können, wenn wir, wie vor 20 Jahren, an die Arbeit gehen mit dem Glauben an unser gemeinsames Österreich und mit dem Willen zur gemeinsamen Arbeit.

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