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Den Geist von'45 wieder neu beleben

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Anlässe zur Besinnung gab es 1984 und 1985 genug. Was jetzt nottut, ist das Nachdenken darüber, was wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen können und müssen.

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Anlässe zur Besinnung gab es 1984 und 1985 genug. Was jetzt nottut, ist das Nachdenken darüber, was wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen können und müssen.

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Gedenkjahre wie das des Jahres 1984 mit der wenig erfreulichen Rückerinnerung an die 50 Jahre zurückliegenden Ereignisse des Bürgerkrieges vom 12. Februar 1934 und der am 25. Juli 1934 erfolgten Ermordung des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß, oder auch Jubiläumsjahre von der Art, wie wir im Jahre 1985 eines begehen, in dem wir uns bedeutungsvoller erfreulicher Ereignisse - 40 Jahre Zweite Republik, 30 Jahre Staatsvertrag — erinnern dürfen, erhalten nur dann ihren Sinn und ihre Rechtfertigung, wenn sie nicht nur vergangenheitsbezogen gesehen werden.

Erinnerungsjahre müssen auch durch die Herstellung eines Zusammenhanges zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Standortbestimmung dienen.

Solche Gedenkjahre sollen uns vor allem Anlaß zur Besinnung, zum Nachdenken und insbesondere auch Anstoß dazu sein, uns sehr ernst und ehrlich die Frage zu stellen, ob und was wir aus den Ereignissen, derer wir gedenken, gelernt haben.

Immer wieder kann man ja die Feststellung hören: Menschen und Völker seien ja doch nicht bereit und offensichtlich auch gar nicht fähig, aus der Vergangenheit zu lernen. Diejenigen, die dies behaupten, scheinen, wenn man sich in der Welt und in der Geschichte nur ein bißchen umsieht, fürs erste durchaus recht zu haben.

Und trotzdem wage ich aus tiefer innerer Uberzeugung die Feststellung: Wir Österreicher haben aus unserer Geschichte sehr wohl gelernt.

Beide Gedenkjahre, 1984 und 1985, bieten jedem Lernwilligen reichlich Stoff zum Nachdenken darüber, warum es in der Ersten Republik trotz aller Bemühungen immer wieder zu ausweglosen Situationen und schließlich zum unentrinnbaren bitteren Ende kommen mußte, während es nach 1945 in einer an und für sich wesentlich schwierigeren Situation letzten Endes doch zu einem glücklichen Ende kam.

Die Antwort auf diese Frage fällt mir gar nicht schwer: Ich kann eine Sache nur dann zu einem guten Abschluß bringen, wenn ich an sie aus voller und ehrlicher Uberzeugung glaube.

Erinnern wir uns doch: es waren nach der Zertrümmerung der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1918 nicht allzu viele Österreicher, die an das Staatsgebilde, das als „Rest” übriggeblieben war, auch wirklich glaubten. Nur wenige waren von der Lebensfähigkeit des ungeliebten Kindes, der Republik Österreich, überzeugt, diejenigen nicht ausgeschlossen, die die Republik durchaus gewollt hatten.

Dazu kam, daß die Zusammenarbeit der tragenden politischen

„Die Zusammenarbeit der großen politischen Lager war schon 1920 zusammengebrochen.”

Kräfte, der Christlichsozialen und der Sozialdemokraten, bereits im Jahre 1920 zusammengebrochen war.

In der Folge bestand dann die Tragik der Ersten Republik darin, daß die beiden großen politischen Lager nicht nur nicht mehr zuein-anderf anden, sondern daß sie sich mehr und mehr auseinanderlebten und sich schließlich in militärisch organisierten Wehrverbänden gegenüberstanden, was letzten Endes zu den tragischen Ereignissen des 12. Februar 1934 geradezu zwangsläufig führen mußte.

Wie so ganz anders stellte sich die Situation nach der Befreiung im Jahre 1945 dar.

Für mich war es und ist es nach wie vor ein kleines österreichisches Wunder, daß die zwei großen tragenden politischen Kräfte unseres Landes nur elf Jahre nach dem Bürgerkrieg des Jahres 1934 zueinanderf anden und sich sagten (was beiden Teilen bei Gott nicht leichtgefallen ist): Denken wir jetzt nicht an das zurück, was uns entzweit hat und was jetzt Gott sei Dank hinter uns liegt, sondern denken wir an die Zukunft und nehmen wir den Wiederaufbau des uns wiedergeschenkten Vaterlandes gemeinsam in Angriff.

Wer es miterlebt hat, wie vor vierzig Jahren alt und jung im ganzen Lande, kaum daß die Waff en verstummt waren, an die Aufräumungsarbeiten gingen, wird diese spontane Solidaritätsaktion des ganzen österreichischen Volkes in seinem ganzen Leben nie mehr aus seinem Gedächtnis verlieren.

Ich werde es nie vergessen - ich wohnte damals im 4. Wiener Gemeindebezirk —, wie wir uns Tag für Tag nach getaner Arbeit in unseren Berufen, ob wir nun Arbeiter, Akademiker oder Gewerbetreibende waren, in den zerstörten Straßen Wiens einfanden und uns an die Aufräumungsarbeiten machten.

Was uns damals — ganz im Gegensatz zur Ersten Republik -miteinander verband, war ein unbändiger Glaube an die Lebensfähigkeit und an die Zukunft des Vaterlandes, ein Patriotismus, der von Dollfuß, sodann in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und schließlich und nicht zuletzt in den Konzentrationslagern grundgelegt worden war.

Eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen des Wiederaufbaues und dessen Krönung durch die Erringung der endgültigen Freiheit und Unabhängigkeit mit dem Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 war jedoch—und dies betrachte ich als einmaligen Glücksfall und als eine ausgesprochene Sternstunde für Österreich -, daß im entscheidenden Augenblick jene Männer zur Verfügung standen, die von einem unbändigen Glauben an Österreich durchdrungen waren.

Sie brachten auch in ihrer Person die unumgänglich notwendigen Voraussetzungen dafür mit, daß das gemeinsame, unbeirrt und gegen alle Widerstände angestrebte Ziel - die endgültige Freiheit und Unabhängigkeit des ganzen, des ungeteilten Österreich -schließlich und endlich doch erreicht werden konnte.

Was damals nottat, war der Umstand, daß die Männer der ersten Stunde miteinander reden konnten, daß sie Vertrauen zueinander hatten. Sie waren sich vor allem über zwei politische Grundtugenden, die eigentlich immer und überall zu den ausgesprochenen Selbstverständlichkeiten gehören müßten, im klaren:

Daß nämlich in einer pluralistischen Gesellschaft und in einer parlamentarischen Demokratie ein friedliches Zusammenleben auf Dauer nur dann möglich ist, wenn die Grundsätze der Fairneß, der Toleranz, der Kompromißbereitschaft und des Respekts vor der ehrlichen Uberzeugung des Mitbürgers ebenso uneingeschränkt Geltung haben und auch

„Vom Geist von 1945 ist leider heute kaum mehr etwas zu spüren.” praktiziert werden müssen wie die Einsicht, daß vor allem in schwierigen Zeiten das Staatsinteresse, das Wohl aller Bürger, die absolute Priorität vor dem Parteiinteresse haben muß.

Dank des Umstandes, daß diese eigentlich selbstverständlichen Grundsätze und Grundtugenden in den harten Nachkriegsjahren weitgehend gegolten haben, ist das große Werk, der erfolgreiche

Wiederaufbau Österreichs und die Erringung der Freiheit und Unabhängigkeit, gelungen.

Der Geist von 1945, an den wir, die Älteren und Alten, uns zeit unseres Lebens immer mit Freude und Dankbarkeit erinnern werden, hat dieses große Werk möglich gemacht. Es bereitet mir wenig Freude, feststellen zu müssen, daß von diesem Geist in unseren Tagen kaum mehr etwas zu spüren ist.

Umso notwendiger scheint mir der Hinweis zu sein: Vergessen wir doch nie und nimmer, daß das „Aus-der- Vergangenheit-Lernen” heute genauso gilt, wie es 1945 gegolten hat, und daß wir nicht wieder in jene Fehler verfallen, die wir aus der Ersten Republik noch in lebhafter, leidvoller Erinnerung haben.

Ich möchte abschließend noch einmal zum Ausgangspunkt zurückkommen und die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Gedenkjahren zu beantworten versuchen.

Ich halte derartige Jahre dann für wenig sinnvoll und zum Teil sogar für gefährlich, wenn sie lediglich der Selbstgefälligkeit dienen, ausschließlich vergangenheitsbezogen gesehen und womöglich dazu mißbraucht werden, historische Ereignisse einseitig darzustellen.

Ich betrachte sie aber als äußerst nützlich und staatspolitisch ungemein bedeutsam, wenn sie durch die Herstellung der Verbindung und eines Zusammenhanges von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Standortbestimmung dienen.

„Wir dürfen uns nicht in parteipolitischem Gezänk verlieren.”

Die entscheidenden Fragen hie-bei lauten: Wie können die Erfahrungen und die Erkenntnisse aus der Vergangenheit für die Gegenwart und für die Zukunft nutzbar gemacht werden? Welche Lehren ergeben sich aus der Bewältigung der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft?

Diese Fragen beantworten sich für mich eigentlich ganz von selbst. Die Ereignisse und die Begebenheiten, derer wir im Jahre 1985 gedenken, haben eines überzeugend unter Beweis gestellt: daß nämlich das österreichische Volk, wenn es entsprechend gefordert wird, wtenn es zusammensteht und sich nicht in parteipolitischem Gezänk verliert, zu großen Leistungen befähigt ist.

Wollen wir hoffen, daß alle, die es angeht, sich ehestmöglich wieder daran zurückerinnern und die entsprechenden Nutzanwendungen ziehen.

Was ich unter diesen Nutzanwendungen verstehe? Genau das, womit der Historiker Robert Kriechbaumer sein Buch „Von der Illegalität zur Legalität” über die Gründungsgeschichte der ÖVP mit folgenden Sätzen beschließt, wenn er dort schreibt: „Mit der Gründung der Zweiten Republik setzte jener Prozeß ein, den man als Selbstfindung Österreichs bezeichnen kann. Diese Selbstfindung kann jedoch nur in einem Konvivium, niemals in einem Kontrarium, erfolgen. Die Voraussetzung für dieses Konvivium geschaffen zu haben, ist das historische Verdienst der Gründergeneration der Zweiten Republik.”

Erst dann, aber auch nur dann, wenn sich die politischen Parteien in unserem Lande wieder darauf besinnen, daß der Wiederaufbau Österreichs nach 1945 nur im Miteinander und nicht im Gegeneinander möglich war und daß die gleichen Grundsätze, die damals gegolten und zu ungeahnten Erfolgen geführt haben, auch in unseren Tagen und erst recht für die Zukunft Geltung haben, braucht uns um die Zukunft unseres Vaterlandes nicht bange sein.

Der Autor ist Bundesobmann des Österreichischen Seniorenbundes der OVP und Vizekanzler a. D.

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