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Auf der Dachauer Lagerstraße wuchs die Zweite Republik

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Es war ein Schrei aus tiefster Verzweiflung, als sich Kurt von Schusch-nigg in den Abendstunden des 11. März 1938 mit „Gott schütze Österreich!“ verabschiedete. Nach jahrelangen Anstrengungen, die Freiheit Österreichs zu erhalten, kam mit der gewaltsamen militärischen Besetzung Österreichs der unvermeidlich gewordene Zusammenbruch der europäischen Ordnung, wie sie in den Friedensverträgen von Saint-Germain, Versaüles und Trianon geschaffen worden war. Die Zerschlagung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, eines der Stabüitätsfaktoren in Europa, und die nachfolgende Weltwirtschaftskrise mit ihren Millionen Arbeitslosenheeren, erzeugten ein europäisches Klima, das fast nur aus schweren innen- und außenpolitischen Gewittern bestand. Sie fanden kein Ende und weckten nicht nur in Österreich, sondern überall in Europa das beklemmende Gefühl der Unhalt barkeit einer Lage, für deren Beseitigung den Staatsmännern die Klugheit oder die materielle Möglichkeit fehlte. In Paris und London regierte man an den Realitäten vorbei Abgesehen von allen sachlichen Fakten dieses europäischen Phänomens, war auch die Einschätzung des Nationalsozialismus eine grundfalsche; sie kulminierte im berühmten „peace for our time“, das der britische Premierminister Cham-berlain nach der Preisgabe der Tschechoslowakei stolz verkündete.

Vor diesem Hintergrund muß man die Ereignisse in und um Österreich sehen. Daß viele Österreicher an der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit ihres Landes zweifelten, war auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung zu verstehen. Aber abgesehen von den wirtschaftlichen Aspekten lag es auf der Hand, daß die österreichische Unabhängigkeit einer wesentlichen Unterstützung des Auslandes bedurft hätte, um erhalten zu bleiben. So war denn“ auch die Außenpolitik Dollfuß' und Schuschniggs ausschließlich auf diese Unterstützung ausgerichtet. Zunächst gelang Dollfuß diese Absicht mit Mussolinis Italien, das auch am 25. Juli 1934 seine Truppen an der österreichischen Grenze aufmarschieren ließ, mit der unverhüllten Absicht, bei einem deutschen Einmarsch auch die italienischen Truppen die Grenze überschreiten zu lassen. Die italienische Haltung hat den „Anschluß“ 1934 verhindert. Als die ersten Anzeichen einer Änderung der italienischen Politik bemerkbar wurden, mußte daher von Österreich versucht werden, zu einem Arrangement mit der Führung in Berlin zu gelangen. Das Abkommen vom 11. Juli 1936 hatte dieses Ziel. Jene Österreicher, die das wahre Gesicht des Nationalsozialismus erkannt hatten, waren über dieses Abkommen nicht glücklich. Es öffnete der NS-Propaganda in Österreich Tür und Tor.

In jenem Augenblick aber gab es eine andere Alternative nicht mehr, da sich die Freundschaft zwischen Mussolini und Hitler deutlich abzeichnete. Die Entwicklung zeigte bald, daß Österreich allein blieb, nicht zuletzt deshalb, weü man in Paris und London die Anschlußfrage als eine „innerdeutsche“ betrachtete und sich damit eine Entschuldigung dafür schaffen wollte, daß man Österreich abschrieb.

Hitler betrachtete das Juli-Abkommen 1936 als einen Fetzen Papier, und die Einladung auf den Obersalzberg am 12. Februar 1938 hatte einfach den Zweck eines Ultimatums, mit dem ein evolutionärer Übergang zur nationalsozialistischen Machtergreifung in Österreich erzwungen Werden sollte. Da griff Schuschnigg zurh letzten Mittel, das ihm geblieben war: Es sollte das österreichische Volk aufgerufen werden, seinen Willen, Österreich frei und unabhängig zu erhalten, in einer Volksabstimmung sichtbar zum Ausdruck zu bringen.

Wir sind voll Feuereifer und guten Mutes an die kurzbefristeten Vorarbeiten für diese Volksabstimmung gegangen, einfach weü wir wußten, daß der größte Teü des österreichischen Volkes vom Abschluß nichts wissen wollte. Man hat sich oft gefragt, wie stark der Nationalsozialismus damals in Österreich wirklich gewesen ist. Die Antwort ist hypothetisch, denn die Abstimmung hat nie stattgefunden, aber nach allgemeiner Meinung rechnete man damit, daß höchstens ein Drittel der wahlberechtigten Bürger für den Anschluß stimmen würde, zumal sich auch die Sozialdemokraten bereit erklärten, filr Österreich zu stimmen (war das eine Vorahnung der kommenden Koalitionspolitik?). Weü man das aber in Berlin ebenso gut wußte wie in Wien, verhinderte man diesen Volksentscheid und gab den Befehl zur müitärischen Besetzung.

In der innerpolitischen Diskussion wurde später von sozialistischer Seite behauptet, daß die Einrichtung des autoritären Regimes in Österreich in der Verfassung vom 1. Mai 1934 Schuld am Untergang Österreichs trage. Diese Behauptung ist absurd! Erstens kam es zu dieser autoritären Staatsform nur deshalb,, weü sich die parlamentarisch-demokratischen Verhältnisse in Österreich nicht imstande erwiesen, den Nationalsozialismus im Lande zu bekämpfen. Zweitens aber haben sich die nationalsozialistischen Führer nicht im geringsten um die inneren staatsrechtlichen Verhältnisse eines anderen Landes gekümmert. Auch die Tschechoslowakei mit ihrer wirklich demokratischen Verfassung wurde okkupiert.

Woran wir uns heute, 40 Jahre nach jenem schwarzen Freitag, auch erinnern sollen, ist das, was sich schon wenige Stunden nach dem Einmarsch abgespielt hat. Noch in der Nacht vom 11. auf den 12. März setzte eine Verhaftungswelle ein, mit der innerhalb von 14 Tagen rund 6000 österreichische Patrioten eingekerkert wurden. Vor allem waren es die Funktionäre der Vaterländischen Front, Angehörige des Heimatschutzes, einige prominente Schutzbündler und Parteigänger der kommunistischen Partei, die als erste hinter Schloß und Riegel gebracht wurden.

Nun war das nicht etwa eine Verhaftungsaktion, wie man sie sich in zivüi-sierten Staaten vorstellen kann. Bereits in der ersten Stunde begannen jene Brutalitäten, die das NS-Regime kennzeichneten. Meine Haftzeit begann mit zehn Tagen Dunkelhaft auf hartem Lager, nur unterbrochen von Vorführungen vor Gruppen nationalsozialistischer Funktionäre, die ihren geifernden Hohn über mich ergossen. Eine Uberstellung vom Hietzinger Polizeigefängnis im Seitentrakt des Schlosses Schönbrunn in das Polizeigefangenenhaus auf der Rossauerlände folgte, und am Abend des 31. März begann jener legendär gewordene erste Dachauer Transport, mit dem 150 Österreicher ins Konzentrationslager gebracht wurden. Für viele war es der Weg in den Tod.

Für alle, die solches mitmachten, gab es in Wirklichkeit nur eine einzige Uberlebenschance: der Glaube an Österreich! Natürlich wußte keiner von uns, ob er überleben würde. Täglich starben Kameraden an körperlicher Erschöpfung, wurden erschlagen oder zum Gaudium der SS-Buttel in die Betonmischmaschine geworfen. Wer diesem Schicksal entrann, konnte nur überleben, wenn er an die Wiederauferstehung Österreichs glaubte. Fehlte ihm dieser Glaube an eine neue Zukunft, so zerbrach er während jahrelanger Haft doch irgendwann einmal.

Daher gab es auf der Lagerstraße von Dachau und in den nachfolgenden Jahren in allen Konzentrationslagern und Gefängnissen, in denen sich Österreicher befanden, immer nur das eine Thema: „Wie wollen wir unser Vaterland wieder aufbauen, wenn es im Zuge der geschichtlichen Ereignisse wiedererstehen würde?“ Woraus schöpften wir unseren Glauben an Freiheit, waren doch die nach der Okkupation folgenden Ereignisse nicht dazu angetan, diesem Glauben eine reale Basis zu geben? Glaube ist immer irrational, aber vielleicht gerade deshalb ist der gläubige Mensch stärker als der, dem jeder Glaube und damit auch jede Hoffnung fehlen. Sicherlich war es anfangs so, daß wir uns diesen Glauben an eine kommende Freiheit zum großen Teil nur einredeten, um die innere Kraft zum Durchhalten zu gewinnen.

Als wir uns 1945 wiedertrafen, war neben der Trauer um die, die nicht überleben konnten, nur der unbändige Wille vorhanden, unser Vaterland wiederaufzubauen. Man sagt so oft, daß die Diskussionen auf der Dachauer Lagerstraße die Grundlage für den gemeinsamen Willen aller zum Wiederaufbau gewesen seien. Vielleicht sollte man besser sagen, die wichtigste Grundlage, denn andere Voraussetzungen waren auch notwendig. Aber eines ist ganz bestimmt in Dachau geboren worden: die Erkenntnis, daß der politisch Andersdenkende nicht mehr der Feind, sondern der Partner ist! Freilich haben in der innerpolitischen Diskussion die Ereignisse vom Juli 1927 und vom Februar 1934 noch lange Zeit eine starke emotionelle Rolle gespielt, und es dauerte 20 Jahre, bis sich Alphons Gorbach und Bruno, Pittermann an den Gräbern der Februar-Gefallenen demonstrativ die Hände reichten.

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