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Krücken- gegen Hakenkreuz

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Am 21. Mai 1933 erschien in der „Wiener Zeitung" ein Aufruf, in dem es unter anderem hieß:

„Österreicher, Österreicherinnen! Bundeskanzler Dr. Dollfuß hat sich an die Spitze der Vaterländischen Front gestellt. ..Er trägt ihr die rot-weiß-rote Fahne voraus, voran zum Kampf und voran zum Sieg!...

In der Vaterländischen Front sollen sich alle vereinigen, die bewußt und überzeugt österreichisch gesinnt sind, die Vaterland undHeimat lieben! Alle Gruppen, alle Parteiformationen und Vereine, die dem Vaterland dienen wollen, sollen sich zusammenschließen zu einer großen schlagkräftigen Armee, gebunden nur durch das eine große, gemeinsame Ziel: Österreich und sein Lebensrecht ..."

Mit diesem Appell zur Sammlung wurde in einem bedrängten

Land ein Signal gesetzt. Es sollte die politische Landschaft der Ersten Republik von Grund auf verändern. Entgegen den Intentionen auch von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der ursprünglich die Bildung eines Dachverbandes aller sich dem andrängenden Nationalsozialismus widersetzenden Organisationen und Verbände — daher auch sozialdemokratischen — vorsah, wurde daraus jenes seltsame politische Gebilde, welches auch heute noch von der Parteiengunst und -haß umstritten ist und wahrscheinlich noch lange umstritten bleiben wird.

Was war diese Vaterländische Front (VF)? Welche Absichten verfolgten ihre Initiatoren? War sie die Ausgeburt geschworener Antidemokraten und düsterer „Klerikofaschisten", die kein anderes Ziel vor Auge hatten, als der kaum 15 Jahre alten Republik das Lebenslicht auszublasen und deren soziale Errungenschaften zu beseitigen?

Einen solchen Eindruck hätte man gewinnen können, wenn man in den vergangenen Monaten verschiedenem im Zuge des Gedenkens an den tragischen Bürgerkrieg von 1934 vorgetragene Interpretationen auf sich wirken hatte lassen. Dabei ist hier nicht in erster Linie an die Ausstellung „Die Kälte des Februar" in der Meid-linger Remise gedacht, wohl aber an die Geschichtsklitterungen von hier auf die Schuljugend losgelassenen sogenannten „Animatoren", welche weit am linken Rand der großen Regierungspartei anzusiedeln waren.

War diese Vaterländische Front wirklich nichts anderes als eine

österreichische Kopie des Nationalsozialismus und daher für sie das Wort vom „Austrofaschis-mus" zutreffend oder war sie nicht vielmehr der verzweifelte Versuch, in einer Zeit, in der sich das demokratische Parteiensystem in Mitteleuropa in einer tiefen Krise befand und ein ständig wachsendes Arbeitslosenheer dem von jenseits der Grenze tatkräftig geförderten Nationalsozialismus ein ideales Rekrutendepot stellte, diesem entschieden Widerpart zu bilden?

Ein Versuch, der — wie wir heute wissen — im letzten nicht von Erfolg gekrönt war. Er verschaffte — freilich mit umstrittenen Methoden — diesem Land eine Atempause, in der versucht wurde, einen Damm gegen die braune Flut zu errichten und Europa auf die nicht nur Österreich drohende Gefahr aufmerksam zu machen.

Hier kommt nun ein Buch, das bemüht ist, in umfassender Form und in der Bemühung um Objektivität den Uberlebenden jener Jahre und vor allem den Nachgeborenen eine Vorstellung von jenem komplexen politischen Gebilde, welches sich Vaterländische Front nannte, zu vermitteln, und deren Kampf gegen Anschluß und Nationalsozialismus, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Sein Autor, Ludwig Reichhold, einst als junger Mann in der Umgebung des christlichen Arbeiterführers und späteren Ersten Präsidenten des Nationalrates der Zweiten Republik Leopold Kun-schak angesiedelt, ist als Demokrat ebenso ausgewiesen wie als Historiker und Verfasser einer Reihe zeitgeschichtlicher Werke. Das überparteiliche Dokumentationsarchiv des österreichischen

Widerstandes bürgt ferner als Herausgeber dafür, daß hier keine Mohrenwäsche betrieben wird.

So entsteht vor unseren Augen wieder das Bild einer Zeit, in der Hitler ante portas stand, in der der auf dem legalen Weg in Deutschland demokratisch zur Macht gelangte Diktator alle demokratischen Mäntelchen abwarf und sich anschickte, als Punkt Eins seiner außenpolitischen Aspirationen Osterreich „heimzuführen".

Die Westmächte England und Frankreich schliefen in dieser Zeit ihren unheilvollen^ Schlaf, wenn sie nicht sogar dachten, durch kleine „Vorgaben" den Appetit Hitlers zu zügeln. Also blieb — wir schreiben 1932 — also eine Zeit, in der die erste große NS-Terrorwelle Österreich sturmreif machen sollte, nur einer, der damals Interesse an der Selbständigkeit Österreichs zeigte: Benito Mussolini. Und hier begann sich das Schicksalsrad zu drehen:

Der Preis für diese Rückendek-kung war hoch. Sehr hoch. Er beinhaltete den Verzicht auf einen „linken Flügel" für diesen österreichischen Abwehrkampf.

Reichhold zeichnet alle Phasen jener Jahre nach, als in Österreich das alte Kreuzrittersymbol des Kruckenkreuzes als Widerpart dem Hakenkreuz entgegengesetzt wurde. Die Jahre des Terrors von 1932—1934 ebenso wie die noch weit gefährlicheren des „deutschen Friedens" 1936-1938. in denen, bedingt durch seine Verwicklung in das abessinische Abenteuer, Mussolini Österreich dazu drängte, mit Hitler einen Modus vivendi zu schließen.

Aber auch die letzten Gefechte nach der von einer Brutalität sondergleichen geprägten Begegnung Bundeskanzler Kurt Schu-schniggs und Hitlers auf dem Obersalzberg und die Stunde des 11. März, mit der ihnen innewohnenden Dramatik, in der auch spät — zu spät — die österreichischen Sozialdemokraten eingebunden waren, erstehen wieder.

Der Verfasser schürft aber noch tiefer. In einer 80 Seiten umfassenden Einleitung untersucht er mit einem Minimum an Emotion den Hintergrund der Bühne. Er spürt dem Anschlußgedanken in Österreich weit in die Vergangenheit ebenso nach wie er die einzelnen Etappen des Weges von der Christlichsozialen Partei zur VF festhält.

Und schließlich stellt er die Gewissensfrage: Österreich: Realität oder Mythos? In der Antwort auf sie weicht er keinem der zahlreichen „heißen Eisen" aus, die auf dem Weg zur Zweiten Republik und zum österreichischen Selbstverständnis unserer Gegenwart liegen. Angefangen von der gemeinsamen Anschlußeuphorie von Sozialdemokraten und Großdeutschen der Jahre 1918/19 über den von Prälat Seipel und seinem Nachfolger genährten Gedanken „eines Volkes in zwei Staaten" und Vorstellungen des Ständestaates, ein „besseres Deutschtum" zu vertreten.

Doch gewinnt gerade der in jenen schicksalhaften Jahren vorgetragene Gedanke einer besonderen Mission Österreichs immer weiter Raum. Uber Vorstellungen von einem „österreichischen Menschen" führt auch in gerader Linie der Weg zu jener nationalen Identität, welche für die Österreicher heute selbstverständlich ist.

KAMPF UM OSTERREICH. Die Vaterländische Front und ihr Widerstand gegen den Anschluß 1933-1938. Von Ludwig Reichhold. Österreichischer Bundesverlag 1984. 424 Seiten, 32 Seiten Bilder. Ln.. öS 408,-.

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