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Bürgerkrieg: Über den 12. Februar zum NS-Regime

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Für den traurig-tragischen Bürgerkrieg in den Februartagen des Jahres 1934 finden sich in der Literatur recht unterschiedliche Bezeichnungen: „Der Aufstand der österreichischen Arbeiter" lautet der Titel jener Broschüre, die Otto Bauer sehr bald nach seiner Flucht in die Tschechoslowakei schrieb und in der er die Schutzbund-Rebellion so qualifiziert wissen will.

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Für den traurig-tragischen Bürgerkrieg in den Februartagen des Jahres 1934 finden sich in der Literatur recht unterschiedliche Bezeichnungen: „Der Aufstand der österreichischen Arbeiter" lautet der Titel jener Broschüre, die Otto Bauer sehr bald nach seiner Flucht in die Tschechoslowakei schrieb und in der er die Schutzbund-Rebellion so qualifiziert wissen will.

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Am Vorabend des Bürgerkrieges, im September 1933, fielen in Salzburg auf der Grenzländerkonferenz der Sozialdemokratischen Partei die Worte: „Zu unserem Glück aber haben wir es in Österreich mit zwei Faschismen zu tun, die miteinander raufen, sonst wären wir schon unterlegen. Der christlichsoziale Faschismus arbeitet gegen den anderen. Unsere Politik muß sein, die Gegner nicht zusammenkommen zu lassen. Wir sind deshalb beiseite getreten. Das war für uns wider allen Erwartens gut. Das Bürgertum ist aus diesem Grunde völlig miteinander verfeindet durch den Kampf der Christlichsozialen gegen die Nazi."

Das Wort „Zu unserem Glück..." ist ein fatales Wort und markiert einen Parteiegoismus, der die Zeichen der Zeit offensichtlich noch nicht erkennen ließ. Und es stammte nicht von irgendeinem sozialdemokratischen Heißsporn, einem Landesparteisekretär, Schutzbundführer oder kleinem Abgeordneten, sondern vom gefeierten Staatsmann Karl Renner, der auch noch sagte: „Wir müssen den Arbeitern sagen, daß wir zwei Faschismen haben, von denen der eine so schlimm ist wie der andere."

In Salzburg sah man damals schon wesentlich klarer. Bloß drei Tage nach Renners Festlegung und eine Woche nach Dollfuß' weichenstellender Trabrennplatzrede anläßlich des Allgemeinen Deutschen Katholikentages in Wien, wo er seinen autoritären Kurs programmatisch verkündet hatte, sprach am 18. September 1933 eine gemischte Delegation von Christlichsozialen und Sozialdemokraten beim Heeresminister und Bundesparteiobmann der Christlichsozialen, Carl Vau-goin, vor. Diese salzburgische Delegation, mit dem christlichsozialen Landeshauptmannstellvertreter Domkapitular Michael Neureiter und dem sozialdemokratischen Landeshauptmannstellvertreter Robert Preußler an der Spitze, bekundete ihre Bereitschaft zur Kooperation gegen den gemeinsamen, immer drohender werdenden Gegner: den Nationalsozialismus.

Da diese gemeinsame Vorsprache von Salzburgern in Salzburg praktisch im Anschluß an die sozialdemokratische Grenzländerkonferenz stattfand, kann jedoch Karl Renners Zustimmung zu ihr als gegeben angenommen werden. Das hieße, daß Renner seine Grundposition von zwei gleich bösen Faschismen zu Lasten des Nationalsozialismus in Salzburg aufgegeben hat. Die derart bemerkenswerte gemeinsame Aktion bei Vaugoin zeitigte allerdings kein merkliches Ergebnis; außerdem schied Heeresminister Vaugoin zwei Tage später aus der Regierung.

Für den traurig-tragischen Bürgerkrieg in den Februartagen des Jahres 1934 finden sich in der Literatur recht unterschiedliche Bezeichnungen: „Der Aufstand der österreichischen Arbeiter" lautet der Titel jener Broschüre, die Otto Bauer sehr bald nach seiner Flucht in die Tschechoslowakei schrieb und in der er die Schutzbund-Rebellion so qualifiziert wissen will.

Schon damals trat der bedeutende sozialdemokratische Denker und Philosoph Karl Kautsky dieser Bezeichnung entgegen. Kautsky warnte sehr nachdrücklich vor einer derartigen terminologischen Verschleierung, da nur eine kleine Minderheit der Arbeiterschaft an diesem Aufstand teilgenommen habe.

Sowohl Norbert Leser wie auch Gerhard Botz haben sich dieser Kautskyschen Position angeschlossen. Während Botz für das damalige Geschehen den Terminus „Schutzbundaufstand" wählt und diese Bezeichnung als „eine Notlösung" qualifiziert, wendet sich Leser sowohl gegen die Aufstandsthese wie auch dagegen, daß der Republikanische Schutzbund als solcher sich erhoben hätte. Nach Leser wurden die Februarkämpfe nur „von Teilen des Schutzbundes" geführt.

Der Aufruf zum Generalstreik scheint nach all dem, was wir heute wissen, nur im obersteirischen Industriegebiet im Räume Bruck/ Kapfenberg lückenlos befolgt worden zu sein. Die heutige Geschichtsforschung muß allem Anschein nach dem bekannten Historiker Hanns Leo Mikoletzky völlig recht geben, der schon vor zwanzig Jahren kurz und lapidar konstatiert hat: „Die Revolte war eben nicht populär."

Im sicheren Wissen um das Abseitsstehen der Arbeiterschaft bei einem Aufstand, ja selbst von maßgeblichen Teilen des sozialdemokratischen Wehrverbandes, dürfte auch letztlich die Erklärung dafür zu suchen sein, warum die Parteiführung der Sozialdemokratie so dezidiert gegen die Schutzbundrevolte war. Doch Richard Bernaschek, der sozialdemokratische Landesparteisekretär von Oberösterreich und Schutzbundführer in Linz, befahl am 12. Februar in der Früh die Schutzbündler „Zu den Waffen", und die Revolte brach los.

Sowohl die sozialdemokratische Führung in Wien wie auch die Bundesregierung, die sich gerade anschickte, zur feierlichen Pontifikalmesse anläßlich eines Jahrestages der Krönung von Papst Pius XI. in den Stephansdom zu gehen, waren vom Ausbruch der Kämpfe völlig überrascht. Während es in Linz bereits Verwundete und Tote gab und der Initiator des Aufstandes schon ins Gefängnis eingeliefert war, unterbreiteten der spätere verdienstvolle Innenminister der Zweiten Republik, Oskar Helmer, der große Staatsmann Karl Renner u. a. förmlich in der Stunde Null dem christlichsozialen Landeshauptmann von Niederösterreich, Josef Reither, ein Koalitionsangebot. Während der sozialdemokratische Finanzstadtrat von Wien, Robert Danneberg, über Finanzminister Karl Buresch mit den Christlichsozialen Kontakte suchte, begab sich der spätere Bundespräsident Theodor Körner zum amtierenden Bundespräsidenten Wilhelm Mi-klas, damit dieser sich persönlich einschalte, um das Ärgste, einen Bürgerkrieg, zu verhindern. In der Literatur hat man jenen Sozialdemokraten darob mitunter sehr abschätzig und nicht minder zu Unrecht feiges Lavieren und Anbiedern vorgeworfen.

Darin, daß seitens der Maßgeblichen der Regierungsseite die diversen Angebote aus den Reihen der Sozialdemokratie weder zu ernsthaften Unterhandlungen noch zur Annahme führten, ist Wesentliches am historischen Versagen oder, wenn man will, an tragischer Schuld jenes Lagers zu orten.

Fragt man sich nach den Zielen des Schutzbundaufstandes, erlebt man eine perfekte Überraschung. In einem scheinen sich die revoltierenden Schutzbündler einig gewesen zu sein, nämlich gegen das Dollfuß-Regime. Aber was dann? Wiedererrichtung der parlamentarischen Demokratie, wie sie vor der sogenannten Selbstausschaltung des Parlamentes am 4. März 1933 bestanden hat?

Nimmt man den berühmten Aufruf zum Generalstreik der sozialdemokratischen Tageszeitung „Arbeiterwille" vom 12. Februar (Extraausgabe) her, so wird in diesem Kampfesruf weder das Wort „Parlament" noch das Wort „Demokratie" verwendet. Das Kampfziel lautet dort: „Nun gilt der Endkampf gegen Dollfuß und seine Faschisten! Den Endkampf gegen Kapitalismus, Wirtschaftsnot und Bedrückung aufzunehmen und zum Siege zu führen.“

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