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Die Märztage des Jahres 1938

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Die innerpolitischen Auswirkungen des Treffens von Berchtesgaden zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg und Hitler machte uns in der Illegalität wirkenden österreichischen Sozialisten und Gewerkschaftern klar, daß Österreichs Schicksal nur mehr an einem dünnen Faden hing. Wenn es auch einigen unter uns durch eine neuerliche Amnestie wieder die Freiheit brachte. Es war eine zitternde Freiheit, verbunden mit hektischer Betriebsamkeit und echt österreichischem Optimismus.

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Die innerpolitischen Auswirkungen des Treffens von Berchtesgaden zwischen dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Kurt Schuschnigg und Hitler machte uns in der Illegalität wirkenden österreichischen Sozialisten und Gewerkschaftern klar, daß Österreichs Schicksal nur mehr an einem dünnen Faden hing. Wenn es auch einigen unter uns durch eine neuerliche Amnestie wieder die Freiheit brachte. Es war eine zitternde Freiheit, verbunden mit hektischer Betriebsamkeit und echt österreichischem Optimismus.

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Die Gespräche einer Arbeiterdelegation mit dem Bundeskanzler, die Aussicht auf eine mögliche gewerkschaftliche Bestätigung auf legaler Basis, gab uns allen Hoffnung und neuen Mut. War die Regierung und die Führung des damaligen Gewerkschaftsbundes endlich bereit zur Umkehr? Ein Einbau der verbotenen Arbeiterbewegung auf politischer Ebene in die sogenannte SAG (Soziale Arbeitsgemeinschaft) innerhalb der VF (Vaterländische Front) auf der einen Seite und entscheidende Mitbestimmung der freien Gewerkschafter innerhalb des offiziellen Gewerkschaftsbundes waren die Mindestvoraussetzungen für eine Tolerierung des Regimes durch die sozialdemokratische Arbeiterschaft ,

Es war ein qualvolles Dahinschlep-pen der Dinge, obwohl jede Stunde für die Organisierung der Widerstandsfront gegen den immer drohenderen und frecheren Terror der NS-Anhän-ger in ganz Österreich äußerst kostbar war. Die Regierung d. h. deren Spitze sowie die der VF waren unentschlossen, die Führung der Gewerkschaftsbewegung bangte um ihre Positionen und Posten, die sie bei freien Gewerkschaftswahlen natürlich großteils verloren hätte.

Gewissermaßen als „Ausgleich“ zur Übertragung wichtiger Regierungsämter wie das Sicherheitswesen, an notorische Hochverräter, wurde in diese letzte österreichische Bundesregierung auch ein Sozialdemokrat, der Leiter des Arbeitsamtes für Metallarbeiter, Adolf Watzek, als Staatssekretär aufgenommen. Zur Zierde gewissermaßen.

Es trug weder den Arbeitern, noch ihm etwas ein. Doch, für Watzek bedeutete es einige Wochen später den Transport nach Dachau!

Während die Anhänger Hitlers immer öfter und immer zahlreicher in öffentlichen Kundgebungen und Demonstrationen einen täglich stärkeren Druck auf die öffentliche Meinung des In- und Auslandes auszuüben versuchten, brachten die Gespräche auf verschiedenen Ebenen kein Ergebnis. Grundlage der Gespräche war: Übernahme der Führung der SAG innerhalb der VF (die politische Vertretung der Arbeiter im Rahmen des Regimes) durch Vertrauensmänner der sozialdemokratischen Arbeiter.

Der im Sozialistenprozeß 1935 verurteilte Redakteur der „Arbeiter Zeitung“ K. H. Sailer, der auch Vorsitzender des Zentralkomitees der Revolutionären Sozialisten, der Nachfolgeorganisation der Sozialdemokratischen Partei in der Illegalität war, sollte Bundesleiter der SAG an Stelle des Ministers Rott werden, der St. Pöltner Ferdinand Strasser, Bundessekretär der SAG. Der Landesleiter der SAG von Wien sollte natürlich aus den Reihen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft kommen. Dafür war der Schreiber dieser Zeilen vorgeschlagen worden.

K. H. Sailer sollte dann im Rundfunk sprechen und die Arbeiter zur Abwehr und zum gemeinsamen Widerstand gegen die österreichfeindlichen Kräfte aufrufen. Gewissermaßen den Waffenstillstand zwischen Regierung und Arbeiterschaft öffentlich verkünden.

Der Wiener Bürgermeister -Richard Schmitz, seinerzeit wegen seiner Härte gegen links bekannt, nahm über Mittelsleute mit ehemaligen Schutzbundfunktionären Kontakt auf. Er war für die Bewaffung ehemaliger Schutzbündler. Schmitz war - bei aller seiner politischen Intransigenz gegenüber links - ein unbeugsamer und kompromißloser Gegner der Nazis. In der Stunde der höchsten Gefahr war er einer der Ersten, die für eine Einbeziehung der sozialdemokratisch gesinnten Bevölkerung in die Abwehrfront eintraten. Es brachte ihm gerade diese Haltung dann im Konzentrationslager Dachau zusätzlich härtesten Druck und „Sonderbehandlung“ durch die Gestapo ein. (Monatelange Haft und Isolierung im sogenannten „Bunker“ -Kommandaturarrest).

Jede Entscheidung und alles damit verbundene, einschließlich der geplanten Radiorede Saüers, wurde von Tag zu Tag hinausgeschoben. Ein Eindruck der Lähmung des Regimes entstand. Im Floridsdorfer Arbeiterheim -das den Arbeitern 1934 weggenommen wurde - trat eine, mit der Regierung vereinbarte und von der Staatspolizei geschützte Konferenz von Vertrauensmännern und Betriebsräten aus der verbotenen sozialistischen und frei-gewerkschaftlichen Organisation zusammen. Unter den gewerkschaftlichen Funktionären befanden sich daher auch etliche Kommunisten.

Nach außen agierten der Vorsitzende des illegalen Bundes freier Gewerkschaften Karl Mantler (später als Staatssekretär und Arbeiterkammerpräsident bekannt) sowie sein Stellvertreter Andreas Thaler von den illegalen Eisenbahnern und Friedrich Hillegeist, auch damals schon Vorsitzender der illegalen Privatangestelltengewerkschaft Letzterer war Berichterstatter über den Stand der Verhandlungen. Die kommunistischen Redner bei dieser Konferenz waren für bedi-nungslose Unterstützung des Regimes.

Die überwältigende Mehrheit vertrat den logischen Standpunkt, daß der vier Jahre hindurch politisch unterdrückte Teil der Bevölkerung nicht für einen Staat mobilisiert werden könne, wenn nicht gewisse Mindestvoraussetzungen geschaffen würden. Sowohl auf politischem wie auf gewerkschaftlichem Boden.

Wenige Tage vor dem Ende, als im Gefolge der sich immer unverschämter gebärdenden NS-hörigen neuen Regierungsmitglieder die öffentlichen Demonstrationen der Nazis immer provozierender wurden, entschieden einige Spitzenfunktionäre der politischen und gewerkschaftlichen Organe im Cafe Meteor, daß ich mit dem Betriebsobmann von Siemens-Schuk' kert, Köhler, in der Polizeidirektion Wien die Genehmigung für eine große Wiener Arbeiter-Demonstration einholen und diese gleichzeitig anmelden solle. Köhler war ein Sprecher des Betriebsrätekomitees bei den Verhandlungen mit Regierung und Gewerkschaftsbund. Wir beide wurden vom Chef der Staatspolizei, Hofrat Dr. Weiser empfangen, im Beisein einiger hoher Beamter der Staatspolizei.

Hofrat Weiser und ich kannten uns schon von einem früheren Gespräch Dieses Gespräch kam unter eigenartigen Umständen zustande. Nach dem Abkommen von Berchtesgaden gab es eine politische Amnestie, auch für Sozialisten. Alle wurden aus der Haft entlassen, nur bei mir rührte sich nichts. Mein Anwalt Dr. Steinitz - wir sahen uns wieder in Dachau - bekam keine Auskunft, meine Bewacher im Polizeigefangenenhaus staunten, ich blieb allein in ihrer Obhut Nach einigen Tagen, es war schon gegen Mitternacht,wurde die Zellentür plötzlich geöffnet: „Ziehen Sie sich an, Sie werden ausgeführt“, hieß es. Vor dem Tor wartete ein Polizeiwagen, er brachte mich in die Polizeidirektion, in das Zimmer des Staatspolizeichefs Dr. Weiser.

Es war ein interessantes, ja ein dramatisches Gespräch Dr. Weiser sagte sinngemäß folgendes: „Ich habe Sie solange hier behalten, bis ich eine ruhige Stunde finde, um mit Ihnen persönlich zu sprechen. Um Ihnen zu sagen, wie gefährlich unsere Lage ist. Jeder Tag, den wir überleben, ist ein Gewinn. Bleiben Sie bitte in Österreich gehen Sie nicht ins Ausland. Sie können sich betätigen so viel Sie wollen, nur tun Sie bitte nichts gegen die Regierung.“

Wir sprachen längere Zeit allein über die letzte Entwicklung. Zum Schluß sagte Dr. Weiser: „Natürlich sind Sie frei, Sie können sofort gehen.“ Ich meinte, ich bleibe die Nacht über lieber noch sein Gast im Polizeigefangenenhaus.

Ich traf Hofrat Weiser noch ein drittesmal: Nach dem 12. März, beim ersten „Spaziergang“, denn er war mein Zellennachbar im Polizeigefangenenhaus geworden!

Zurück zu unserer Demonstrationsvorsprache bei Weiser: Nun sahen wir uns als Verhandlungspartner. Er Heß uns zuerst mit einigen leitenden Beamten der Staatspolizei Einzelheiten der geplanten Demonstration besprechen. Tag und Zeit Route des Aufmarsches, ebenso den Ordnerdienst. Nach einiger Zeit kam er wieder dazu und sagte: „Ab sofort gibt es keinerlei Demonstrationen, von keiner Seite mehr. Es würde ja sicher zu Straßenschlachten kommen. Alle öffentlichen Kundgebungen sind ab sofort verboten.“ Unsere Erwiderung war: Auch auf der Straße würden wir mit den Nazis selbst fertig werden.

Doch unter der Voraussetzung, daß es keine Nazikundgebungen mehr gebe, wollten auch wir auf Demonstrationen verzichten. Dr. Weiser versicherte uns nochmals, daß es so sein werde. Nun wir wissen, daß die Exekutive gar nicht mehr regierungstreu war. Zwei der hohen Beamten der Staatspolizei, die mit uns verhandelten (die auch meine Referenten als Gefangener seinerzeit waren), entpuppten sich wenige Tage später als hohe NS und SS-Funktionäre!

Wir gaben trotz ergebnisloser Verhandlungen die Parole aus, bei der Volksabstimmung mit „Ja“ zu stimmen. Nicht für das Regime des Ständestaates, aber gegen Hitler und sein mörderisches System.

Für den Abend des 11. März habe ich zusammen mit meinen Freunden von der Gewerkschaft der Holzarbeiter und mit Zustimmung der Leitung der offiziellen Gewerkschaftsleitung eine Vertrauensmännerkonferenz der bisher „illegalen“ Bewegung einberufen. Den Vorsitz führte der Obmann der offiziellen Organisation Franz Jöstl und Franz Pfeffer von den „Illegalen“. Ich war Berichterstatter. Die Tagung fand in unserem alten Gewerkschaftshaus in der Margaretenstraße statt.

Mitten in die Beratung platzte die Nachricht vom Rücktritt Dr. Schu-schniggs und dem Einmarsch Deutscher Truppen.

Am 12. März wurde ich um 4.30 Uhr früh aus meiner Wohnung geholt Mit Dr. Schärf zusammen wurde ich gegen Abend in das Polizeigefangenenhaus gebracht. Dr. Schärf „durfte“ das Taxi zahlen! Am 1. April kam ich zu der Ehre, mit dem ersten Österreicher-Transport in Dachau zu landen. Für sieben Jahre.

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