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Das war vor 11 Jahren — und heute?

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Eigentlich war die Entscheidung, nach der Befreiung Oesterreichs einen allgemeinen, freien und überparteilichen Gewerkschaftsbund zu begründen, schon viel früher gefallen. Sie lag auch fast allein an uns, den ehemaligen christlichen Gewerkschaftern. Daß die Kommunisten mit den Sozialisten zumindest im gewerkschaftlichen Bereich zusammengehen würden, hatte niemand von uns bezweifelt. Eine andere Frage war es, ob wir nach der Befreiung Oesterreichs, an die wir heiß glaubten und die wir auch aktiv unter Einsatz unseres Lebens förderten, wieder selbständig als christliche Gewerkschafter in Erscheinung treten oder mit allen anderen Richtungen innerhalb der Arbeitnehmerschaft eine gemeinsame Organisation begründen sollten.

Ich habe in den Jahren nach 1940 mit verschiedenen Freunden auch darüber viel gesprochen. Besonders oft und eingehend mit Leopold Kunschak, aber auch mit Prof. Doktor Lugmayer, mit Erwin Altenburger, Dr. Franz

Latzka, Heinrich Woboril u. a. Irgendwie spielte bei der Entscheidung über diese Frage auch eine Erklärung des Hl. Vaters mit, aus der wir entnahmen, daß die Kirche künftighin eine allzuenge Verbindung gewerkschaftlicher Organisationen mit ihr, bzw. eine christliche Kennzeichnung von Berufsvertretungen nicht wünsche. Auch uns selbst bestach die Ueberlegung, die Kirche und das Christentum überhaupt künftighin aus dem Streit der „Klassen“, aus dem Kampf der Arbeitnehmer um ihr allgemeines Recht, um ihr Arbeitsrecht, um ihre soziale Versicherung, um die Arbeitsorganisation usw. möglichst herauszuhalten und sie damit von vorneherein vor einer Einengung oder gar Verhinderung ihrer Mission bei allen Arbeitern zu bewahren. Ich erinnere mich noch ganz genau, daß diese Ueberlegungen besonders auf Leopold Kunschak, mit dem ich darüber sowohl in seiner alten Wohnung in der Hernalser Hauptstraße als auch in meiner Wohnung in der Neutorgasse des öfteren sprach, großen Eindruck machten. Kunschak war damals überhaupt sehr •aufgeschlossen und auch ganz neuen Ideen und Vorschlägen durchaus zugeneigt. Er war nicht einmal böse, als ich ihm einmal sogar die Frage vorlegte, ob wir als christliche Arbeitnehmer nicht auch politisch mit allen anderen Arbeitern und Angestellten zusammengehen sollten. Lediglich der Umstand, daß er mit Recht schon damals befürchtete, die Sozialisten würden die ihrem Wesen nach achristliche, materialistische, marxistische Weltanschauung niemals aufgeben, hinderte ihn daran, meinen Ueberlegungen zuzustimmen. Um so mehr aber war er bereit, dem Gedanken einer Zusammenarbeit im Gewerkschaftlichen zuzustimmen. Natürlich, genau wie auch ich und wir alle, unter bestimmten Voraussetzungen. Der neue, allgemeine Gewerkschaftsverband mußte erstens eine absolut freiwillige Vereinigung und zweitens eine wirklich überparteiliche Einrichtung sein. Wohl wußten wir auch damals schon, daß es den Sozialisten nicht leicht fallen würde, ihre sozialistischen Gefühle und Praktiken aufzugeben. Unsere Erschütterung aus den Jahren des Schreckens und unsere Erwartung für die Zukunft eines neuen und neugeordneten Vaterlandes iber war so groß, daß wir doch an das Wagnis der Begrünjung eines allgemeinen, freien und überparteilichen Gewerkschaftsbundes glaubten.

Wir sind dieses Wagnis dann auch tatsächlich eingegangen. Einer meiner ersten Wege knapp nach meiner persönlichen Befreiung und noch zur Zeit der letzten Kämpfe um Wien führte über Anraten des späteren Vizekanzlers Doktor Adolf Schärf zum - Westbahnhof, wo sich im Hause der ehemaligen Eisenbahnergewerkschaft sowohl Sozialisten wie auch Kommunisten zu Beratungen über den künftigen gewerkschaftlichen Verband zusammengefunden hatten. Ich traf dort damals zum erstenmal auch den derzeitigen Präsidenten des OeGB, Johann Böhm, und vorher den nun schon verstorbenen christlichen Eisenbahnervertreter Haider. Er war seltsamerweise, obzwar ohne jeden Kontakt mit uas Illegalen und auch ohne irgendeinen Auftrag, am Westbahnhof mit dabei gewesen. Ich verstand, daß er zunächst etwas betroffen und sogar verärgert war, als ich ihm erklärte, daß ich nun mit meinen Freunden die weiteren Verhandlungen führen würde. Damals ging aber alles viel rascher und auch ein wenig härter heT.

Meine erste Begegnung mit Johann Böhm war entscheidend oder doch sehr mitbestimmend für die künftige Entwicklung des österreichischen Gewerkschaftswesens. Mein erster Eindruck von ihm war ein sehr guter. Johann Böhm, von dem ich gehört hatte, daß er früher ein ziemlich radikaler Sozialist und ein hartnäckiger Vertreter der Bauarbeiter gewesen war, erinnerte mich auffällig an unseren Johann Staud. Gleich ihm erschien er mir als eine Art von bildhafter Verkörperung des Arbeiters schlechthin. Er sah miserabel schlecht aus und war, wie wir alle, von den letzten Jahren gezeichnet. Ich' war auch noch kahlgeschoren, fast verhungert, dem Schafott in letzter Stunde entkommen und vorher dem Bunker von Mauthausen und vielen Folterungen körperlicher und geistiger Art ausgeliefert gewesen.

Es ist dann alles sehr rasch gegangen. Als man in der Sitzung herumredete, nahm ich kurz das Wort und erklärte, daß es doch eigentlich selbstverständlich sei, daß wir nun alle zusammenstehen und daß wir nur gemeinsam den Wiederaufbau, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die Organisation der Arbeiterschaft, usw. durchführen könnten. Ich sagte aber auch sehr deutlich, daß wir von den christlichen Gewerkschaften nicht gesonnen seien, uns irgendwo hinten anzustellen oder uns gar unter das Joch sozialistischer und kommunistischer Vögte zu beugen. Wir sind dann oft, einmal da und einmal dort, zusammengekommen, und ich freue mich noch heute, daß mich sozialistische Kollegen aus der Zeit der Ueber-gangsgewerkschaft vor dem Hause Ebendorfer-straße 7 besonders herzlich und, wie sie ausdrücklich sagten, als wirklichen echten Gewerkschafter begrüßten.

Ehe offiziell irgend etwas anderes entstand, wurde der Gewerkschaftsbund begründet und. von der russischen Besatzungsmacht auch anerkannt. Böhm, Fiala und ich marschierten in die Kom-mandantura, die im Gebäude des Stadlschulrates untergebracht war, und erhielten vom Stadtkommandanten Blagotatow Unterschrift und Siegel unter einen Pakt und für eine Organisation, die, seither umstritten und auch mit Recht kritisiert, doch einen entscheidenden Anteil am Wiederaufbau Oesterreichs, am inneren Frieden und auch an der Zufriedenheit von Millionen Oesterreichern .hatte. .

Es ist uns christlichen Gewerkschaftern damals viel gelungen. Ich selbst war unbestritten erster Vizepräsident und bedauere, daß mein Freund Altenburger heute auf den vierten Platz abgedrängt wurde. Wir erhielten auch die Zusage bestimmter Positionen im Präsidium und in allen Gewerkschaften. Ich möchte sehr wünschen, daß wir diese Positionen schon alle entsprechend besetzt hätten und daß wii sie da und dort, wo sie noch immer provisorisch besetzt sind, mit den besten Kräften auffüllten. Daß die gewerkschaftliche Bewegung, daß der OeGB, einen ganz entscheidenden Faktor in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, aber auch im Staate darstellt, kann niemand bestreiten. Wer wünscht, daß es richtig funktioniert, daß er nicht stört und zerstört, sondern aufbaut, muß in ihm für den rechten Kurs wirken. Jedes Beiseitestehen halte ich für unsinnig, ja für einen gefährlichen Unfug. Es kann schon sein, daß man in einer scheinbaren Konkurrenz vorübergehend Eindruck macht und auch Versammlungssäle füllt. Entscheidend wird am Ende doch immer die geschlossene Kraft aller Arbeitnehmer in einem großen und mächtigen Verband sein.

Ich habe mich vor mehr als elf Jahren mit meinen Freunden zusammen zu dieser Gemeinsamkeit bekannt und wir alle haben sie bis heute gehalten. Um so mehr bedauern wir manche Entwicklung im OeGB, besonders bei der Jugend und bei der Presse. Und um so entsetzteT waren wir, als das Prinzip der Freiwilligkeit des Einund Austrittes bei Graf & Stift, als das Recht auf Arbeit, das Recht auf Streik, kurzum, als Grundrechte der Arbeiterschaft und aller Gewerkschafter so schwer mißachtet, ja direkt verraten wurden. Ich habe Johann Böhm nach einer herzlichen Gratulation zu seinem 70. Geburtstag von dieser Enttäuschung und Bitternis gesagt. Er versuchte nach seiner Art und auf seine lieb-schlaue Weise abzulenken: „Laß dir doch Zeit, Weinberger, der OeGB ist' ja erst knappe zehn Jahre alt, also' noch sehr jung. Er wird sich schon noch entwickeln und dann auch manche Mängel und Fehler ablegen!“ Nein, lieber Freund Böhm, so einfach ist das nicht. Uns war es am Anfang um dieses Gemeinsame, aber auch um das Ueberparteiliche und vor allem um die Freiheit sehr ernst. Wir haben uns erst nach sehr langen Ueberlegungen und nach gründlicher Prüfung zur Aufgabe unseres eigenen Weges, unserer eigenen Richtungsgewerkschaften, durchgerungen und wir hätten von uns aus niemals auch nur Fraktionen gebildet, wenn deine Leute, Johann Böhm, nicht auch damit angefangen und die erste Aufspaltung in den OeGB hineingetragen hätten. Uns ist es auch heute noch sehr ernst mit dem Bekenntnis zur Einheitsgewerkschaft. Der OeGB kann nur mit uns sein, er wäre ohne uns nichts als ein sicher mächtiger, aber doch nur sozialistischer Parteiverein. Das sollten alle bedenken, denen das Anliegen der Arbeiterschaft eine Herzenssache ist. Das sollten alle bedenken, denen Oesterreich etwas bedeutet. Vor elf Jahren hat es uns allen alles bedeutet. Dem Böhm-Schani, mir und. wie ich gerne glauben will, auch dem Gottlieb Fiala. Und heute?

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