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Sicherheit und Wohlstand für alle

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Das nunmehr zu Ende gehende Jahr 1959 war für die österreichischen Gewerkschaften von großer Bedeutung. Es war ein Jahr grundsätzlicher Entscheidungen. Damit wurde für die weitere gewerkschaftliche Tätigkeit im Interesse aller Arbeitnehmer unseres Landes eine feste

Grundlage gelegt. Nun gilt es, im neuen Jahr auf dieser Grundlage neue Aufgaben zu lösen, durch welche Sicherheit und Wohlstand für alle erreicht und gewährleistet werden können. Eine neue Phase der wirtschaftlichen und sozialpolitischen Entwicklung hat sich angebahnt. Der ersten Phase des unter großen Opfern der arbeitenden Bevölkerung geleisteten Wiederaufbaues nach den Zerstörungen des Krieges ist die zweite Phase der Erreichung und Festigung einer im allgemeinen geordneten Wirtschaft gefolgt. Dann ging es um die Sicherung der Existenz aller Arbeitenden und um die Erreichung eines höheren Lebensstandards. Die Erfolge dieser Bemühungen haben sich gerade 1959 deutlich gezeigt: Es gelang, die Gefahr des Uebergreifens eines wirtschaftlichen Rückschlags, der von der Entwicklung in den Vereinigten Staaten aus drohte, zu bannen. Es gelang ferner während eines großen Teiles des Jahres die Vollbeschäftigung zu erreichen und die Konjunktur zu erhalten, ohne die Stabilität der Währung zu bedrohen, und es gelang schließlich, neue Ansätze für eine künftige Zusammenarbeit sowohl im Lande selbst als auch mit anderen europäischen Ländern anzubahnen.

Der Oesterreichische Gewerkschaftsbund hat seit Beginn seines Wirkens mit seinem ganzen Einfluß dazu beigetragen, diese Erfolge, die allen Menschen unseres Landes zugutekommen, erringen zu helfen. Das im Jahre 1955 beschlossene Aktionsprogramm des OeGB zeigte klar und offen die Ziele auf, die sich der Gewerkschaftsbund selbst gestellt hat und deren Verwirklichung, wie es darin heißt, „dazu beitragen soll, dem gesamten Volk im gemeinsamen Vaterland Wohlstand und soziale Sicherheit zu bringen“.

lieber die teilweise Verwirklichung dieses Aktionsprogramms sowie über die gesamte erfolgreiche Tätigkeit des Oesterreichischen Ge werkschaftsbundes in der zweiten Phase der Entwicklung unserer Republik, legten sich heuer im September die Delegierten und Vertrauensleute der rund 1,5 Millionen gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten selbst Rechenschaft auf dem Vierten Bundeskongreß des OeGB. Gleichzeitig schufen sie die Voraussetzungen und Richtlinien für die weitere Tätigkeit der österreichischen Gewerkschaften. Nach dem tragischen, für uns allzu frühen Hinscheiden unseres Präsidenten Johann Böhm mußte auf diesem Kongreß ein neuer Präsident des OeGB gewählt werden. Die Delegierten des Kongresses haben einstimmig diese Funktion und die damit verbundene große Verantwortung mir übertragen. Ich habe mir vorgenommen, das Erbe unseres großen, unvergeßlichen Johann Böhm gut und gewissenhaft weiterzuführen.

Neben anderen wichtigen Beschlüssen hat der Bundeskongreß auch eine Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Kulturpolitik gebilligt und damit eine Art Konzept für die zukünftige Gewerkschaftsarbeit erstellt. Wenn auch nicht in allen Einzelheiten für jeden voll verbindlich, enthält dieses umfassende Konzept wertvolle Richtlinien mit einer konstruktiven Zukunftsperspektive. Wer wissen will, was der einheitliche und überparteiliche Oesterreichische Gewerkschaftsbund im Interesse der Arbeiter und Angestellten anstrebt und erreichen will, der findet in dieser „Stellungnahme“ alle erforderlichen Hinweise.

Am Beginn eines neuen Jahres wollen auch wir österreichischen Gewerkschafter mit neuen Kräften an neue Aufgaben schreiten, schwebende Probleme lösen und einer weiteren Entwicklung zu wirtschaftlichem und sozialpolitischem Fortschritt den Weg bahnen. Viele Kräfte des Fortschritts stehen im Lager der österreichischen Gewerkschaften. Alles, was schon bisher erreicht wurde, hätte ohne die Mitwirkung des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes wohl kaum erreicht werden können. Wir sind weit davon entfernt, uns alle Verdienste an der bisherigen Entwicklung selber zuzuschreiben, aber ohne dem OeGB wäre es niemals gegangen.

So sehen wir im kommenden Jahr sowohl eine Fortsetzung als auch einen neuen Beginn. Eine Fortsetzung in dem Sinne, daß das bisher Erreichte weiter ausgebaut und gesichert werden soll und aufgetretene Mängel und Härten beseitigt werden sollen. Ein neuer Beginn deshalb, weil nach Abschluß der zweiten Phase des Wiederaufbaues und nach den grundsätzlichen Beschlüssen unseres Vierten Bundeskongresses vom September 1959 große Aufgaben der Lösung harren. Wir sind uns dessen bewußt, daß der Erfolg unserer Bemühungen auch vom politischen Klima abhängen wird, welches in Zukunft herrschen wird. Wir hoffen, daß es ein Klima aufrichtiger demokratischer Zusammenarbeit aller positiven Kräfte unseres Landes sein wird, ohne ernste Störung durch Gruppenegoismus oder Engstirnigkeit. Wir wissen auch, daß die Ergebnisse unserer zielbewußten gewerkschaftlichen Tätigkeit nicht unbeeinflußt sein können von politischen und wirtschaftlichen Einwirkungen, die von außen kommen. Der erfolgversprechende Beginn einer neuen europäischen Freihandelsassoziation und deren, wie wir erwarten, fruchtbare Zusammenarbeit mit anderen überregionalen wirtschaftlichen Zusammenschlüssen, gibt auch uns Gewerkschaftern Zuversicht. Vor allem aber sind wir uns bewußt, daß der Erfolg unseres gemeinsamen Wirkens zum nicht geringen Teil von uns selbst abhängt, nämlich von allen Arbeitern, Angestellten und öffentlich Bediensteten. Nur wenn die Arbeitnehmer weiterhin zu ihrer gewerkschaftlichen Interessenvertretung stehen, nur wenn die große Zahl unserer ehrenamtlichen Funktionäre weiterhin ihre ganze Kraft dem Wohl ihrer Arbeitskollegen widmen und nur wenn auch von den noch außerhalb der Reihen des OeGB stehenden Arbeitnehmern möglichst viele den Weg zu uns finden, wird ein wirklich erfolgreicher Weg gegangen werden können.

Was wir im einzelnen anstreben, habe ich wiederholt zum Ausdruck gebracht. Unser Aktionsprogramm und die erwähnte „Stellungnahme“ sagen dies ausführlich und klar. Wenn ich es aber dennoch in wenigen Worten zusammenfassen darf, so möchte ich sagen: Der Oesterreichische Gewerkschaftsbund will den arbeitenden Menschen unseres Landes und deren Familien ein besseres Dasein ermöglichen, und zwar im Einklang mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten und unter besonderer Berücksichtigung jener Kreise, die wir jetzt noch als „Stiefkinder der Konjunktur" bezeichnen müssen. Der OeGB will, daß allen arbeitswilligen Menschen ein angemessener Arbeitsplatz unter guten Bedingungen gesichert wird. AbeT auch den aus dem aktiven Arbeitsleben ausgeschiedenen Menschen soll ein schönes, menschenwürdiges Dasein möglich sein. Das noch vereinzelt bestehende soziale Unrecht will der Gewerkschaftsbund beseitigen und durch neue Sozialgesetze den auch in dieser Beziehung guten Ruf Oesterreichs weiter festigen helfen. Schließlich soll das schier unlösbar scheinende Problem der Herstellung eines tragbaren Verhältnisses zwischen Preisen und Löhnen bei gesicherter Vollbeschäftigung und Währungsstabilität durch zweckmäßige Zusammenarbeit, etwa in Form der vom OeGB vorgeschlagenen Wirtschaftskoinmission, einer Lösung nähergebracht werden. Gerade davon wird es nämlich abhängen, ob der soziale Friede in unserem Lande gewahrt bleiben kann.

einen Urlaubszuschuß in der Höhe eines vollen Monatsgehaltes durchzusetzen, ln der kurzen Zeitspanne, über die auf dem letzten Zentralvorstand der Gewerkschaft berichtet wurde — 1. April bis 31. Oktober 1959 — konnten 56 Kollektivverträge abgeschlossen werden, die den verschiedenen Angestelltengruppen materielle und sozialrechtliche Verbesserungen bringen. Wie aber wird ihr künftiges Schicksal aussehen?

DIE ZWEITE INDUSTRIELLE REVOLUTION unterscheidet sich von der ersten und von der Rationalisierungsperiode zwischen den beiden Weltkriegen vor allem durch ein Moment: Diesmal erfaßt die technische Umwälzung nicht nur die Produktionsstätten, sondern auch die Büros. Die noch in den Anfängen steckende Automation führt zu einer radikalen Veränderung der Angestelltentätigkeit: Aufgaben, die bisher von Büroangestellten gelöst wurden, erledigen nunmehr Elektronengehirne in einem wesentlich kürzeren Zeitraum.

Das bedeutet: Auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Automation werden verschiedene Angestelltenberufe überflüssig, während gleichzeitig ein Bedarf nach beruflichen Qualifikationen vorliegt, über die die freigesetzten Arbeitskräfte nicht verfügen. Es wird nicht leicht sein, diese schwierigen Fragen bei Vermeidung einer technologischen Arbeitslosigkeit, die vor allem die Angestellten treffen würde, zu lösen.

Auf jeden Fall steht der Einzelne diesen Ereignissen hilflos gegenüber. Deshalb ist der gewerkschaftliche Zusammenschluß der Angestellten angesichts der zweiten industriellen Revolution zu einer sozialen Notwendigkeit geworden. Jeder abseitsstehende Angestellte schädigt sich selbst und seine ganze Berufsgruppe.

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