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Gewerkschaften – heute

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Der Versuch der Gewerkschaften, ihren Standort in der Gesellschaft neu zu bestimmen, weist uns darauf hin, daß die Gewerkschaften in der Wirklichkeit der freien Welt mehr als eine Klassenkampforganisation oder der Zweckverband einer Partei sind: sie sind in einer abgewandelten Form auch berufsständische Verbände, von denen sie nur die festzuhaltende freiwillige Mitgliedschaft trennt. Jedenfalls sind die Gewerkschaften eine Teilrepräsentanz der Gesellschaft und ein Glied des vorstaatlichen, also des gesellschaftlichen Apparats. Sie wegzudiskutieren oder sie in ihren Ansprüchen auf den Ausgangspunkt zurückzuverweisen, ist so lange ein utopisches Unterfangen, als man an! den Prinzipien einer freien Gesellschaft festhalten will.

Freilich unterliegt die Gewerkschaftsbewegung auch der Versuchung der Macht. In Oesterreich ist die Gewerkschaftsbewegung bisher dieser Versuchung kaum erlegen. Und dies trotz ihrer Stärke: 1,458.000 Mitglieder, die an ihrem „Verein" mit erheblich mehr sozialem und wirtschaftlichem Interesse hängen als etwa all Vereinen mit anderen Zwecken. Auch die ökonomische Eigenmacht des OeGB ist nicht unbeachtlich: 142 Millionen Vermögensstand. Beziehen wir diesen Betrag auf die Mitgliederzahl, ergibt sich aber lediglich ein Vermögens anteil je Kopf von nur 100 S, von denen die Hälfte in Gebäuden gebunden ist.

Auch die ökonomische Macht, die dadurch gegebene Möglichkeit, Streiks und Propaganda zu finanzieren, hat die Führung des OeGB die 1945 übernommene Selbstdisziplinierung nicht aufgeben lassen Da und dort gab es wohl etwas wie den Exzeß einer Gruppe, die eine günstige Situation auf dem Arbeitsmarkt ausnützte, um sich unangemessene Vorteile zu verschaffen. Im gleichen Atem müßten wir aber dann gerechterweise auch Exzesse — Preisexzesse — auf der anderen Seite nennen.

Ziehen wir, fast fünfzehn Jahre nach Wiedererrichtung einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung in Oesterreich, die Summe, so erkennen wir, daß der Beitrag der Gewerkschaften zur Stabilisierung des Vaterlandes und zur Sicherung eines noch immer ungebrochenen wirtschaftlichen Aufstieges beachtlich, wenn nicht entscheidend war. Dieser Beitrag zeigte sich nicht in dem allein, was vom OeGB getan wurde, sondern vielleicht noch mehr in dem, was nicht geschah, in einer Summe von Verzichten auf die Betätigung der verfügbaren Macht. Wie sehr die Gewerkschaften darin Maß gehalten haben, zeigt die Streikstatistik: Kaum 1,5 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder standen im Jahre 1958 im Streik, tmd auch nur im Durchschnitt etwa zwölf Stunden.

Neben dem sparsamen Gebrauch der Macht ist das zweite Problem, das die Gewerkschaften heute zu bewältigen haben, das der Anpassung in Tat und Wort an die wirtschaftliche Wirklichkeit. Das Bild des „Unternehmers", des „Ausbeuters" in der Denkweise des orthodoxen Marxismus wurde in der gewerkschaftlichen Sprech- und Denkweise bedeutsam korrigiert. Man lese etwa, was die Gewerkschaftspresse über den vor einiger Zeit verstorbenen Generaldirekor Urban schreibt, einen Mann, der nachdrücklich die Interessen der Industrie zu wahren wußte, aber sich als sachlicher Partner erwies.

So wie man nun die Wirtschaft nicht mehr als eine Summe von Institutionen betrachtet, die lediglich Ausbeutungsmöglichkeiten für eine Elite darstellen, ebenso anerkennt eine verantwortungsbewußte Gewerkschaftspolitik, die .unvermeidbar auch den Charakter von Wirtschaftspolitik hat, das Bestehen wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten. Wenn im Rahmen der Sozialpolitik von Seiten der Gewerkschaften Ansprüche an das Nationalprodukt gestellt werden, die über dessen Bestand hinausgehen, dann geschieht es in der Regel nur gleichsam als Vorgriff auf das Wachsen der Produktivität.

Wenn auch in ihrer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik weitgehend den Tatbeständen an- gepäßt, konnte die Gewerkschaftsbewegung Europas — sehr zum Unterschied von der in den USA — noch keinen Zugang zu einer m o- lernen Eigentumspolitik gewinnen. Jedes Eigentum, vor allem an Produktions- mitteln, ist mit gesellschaftlicher Verantwortung belastet. Nun kommt es aber nicht darauf an, wer den Eigentumstitel innehat, ob ein Privater oder ein Abstraktum „Staat“. Wir können sogar sägen: Die gewerkschaftliche Macht nimmt mit der zunehmenden Verstaatlichung ab. Der Unternehmer „Staat“ wird seinen Machtzuwachs nicht „sozialkonform“ verwerten, sondern lediglich zur Steigerung der Staatsmacht. Jedenfalls sollte die Verstaatlichung nur als letztes Mittel benützt werden, wenn alle Versuche, das Sozialprodukt zu erhöhen und gerechter zu verteilen, mißlungen sind.

Etwas anderes ist die Forderung nach Disziplinierung des Eigentumsgebrauches. Die Paritätische Kommission, eine verstaatliche Wirtschaftskommission, könnte, wenn sie von ihrer Lizenz sparsam Gebrauch macht, die Preise ebenso, wie dies auf dem Sektor der Agrarprodukte geschieht, nach beiden Richtungen unter Kontrolle nehmen. Der Hinweis darauf, es müsse sich der Markt selbst regulieren, kann nur dann an- ef Jannj.’ Einfluß von Verbänden und anderen als „freiwirtschaftlich“ firmierenden Mächten ist. Das gilt auch für die Löhne, die nun einmal den Charakter von Preisen haben.

Während in der Deutschen Bundesrepublik das Prinzip der Einheitsgewerkschaft nicht durchgehalten werden konnte, ist es in Oesterreich nur geringen Belastungen ausgesetzt. Da sich an der Gewerkschaftsarbeit weithin nur Mitglieder der SPOe beteiligen die Gewerkschaft der öffentlichen Bediensteten ausgenommen, ist freilich die faktische Tätigkeit im OeGB von Sozialisten bestimmt. Sie haben auch in der Gewerkschaftspresse und im Bildungswesen eine Stellung, deren Stärke in einem Mißverhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtmitgliederschaft steht und einer Berichtigung bedürfte.

Leider haben die christlichen Dienstnehmer in unserem Land zu einem großen Teil noch immer eine skeptische Haltung gegenüber allem, was Gewerkschaft heißt. Der Beitritt zu einer Gewerkschaft wird von vielen als eine „läßliche“ Sünde angesehen.

Wir verstehen aber die sogenannte christliche Sozialordnung als eine pluralistische, als ein Miteinander von gesellschaftlichen Interessentenverbänden, die je für sich das legitime Recht haben, ihre Interessen in einer angemessenen Weise zu vertreten. Es entspricht nun durchaus christlich-sozialen Konzepten, wenn Macht durch Gegen-Macht um des Menschen willen diszipliniert wird und ein System von Gleich-Macht entsteht. Wer sollte nun die Interessen der Dienstnehmer gegen die vorweg vorhandene und sachlich unvermeidbare Macht des Kapitaleigentümers besser vertreten als Verbände, die in der Art wie die Gewerkschaften organisiert sind? So stellen die Gewerkschaften nun einmal eine Einrichtung dar, die geeignet ist, die Ordnung in der Wirtschafts- und Kulturgesellschaft zu sichern.

Die Gewerkschaften in der Zweiten Republik haben sich bewährt — staatspolitisch und national. Die Christen aber müssen bekennen: Die Linie der Gewerkschaftspolitik verlief weithin parallel mit den Grundprinzipien christlicher Sozialreform.

Das sei aus Anlaß des Gewerkschaftskongresses in Wien gesagt.

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