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Christliche Gewerkschaften

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Die verschiedenen nationalen Gewerkschaftsgruppen sind in drei Internationalen zusammengefaßt, dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG), dem (kommunistischen) Weltgewerkschaftsbund und dem Internationalen Bund Christlicher Gewerkschaften (IBCG). Daneben bestand noch eine Zeitlang der „Alla s”, der eine Reihe von nationalistischen Gewerkschaften Südamerikas zusammenfaßte.

Die christliche Gewerkschaftsinternationale hat ihren Sitz in Brüssel, das allmählich den Charakter einer Europahauptstadt annimmt, zumindest aber zum internationalen Zentrum der christlich-sozialen Bewegung zu werden beginnt. Obwohl vor allem in Europa verankert, hat die christliche Gewerk- sch ftsinternationale auch in anderen Kontinenten sogenannte Hilfssekretariate für ihre regionalen Untergliederungen. Wenn auch schon durch viele Jahrzehnte christliche Gewerkschaften bestanden und internationale Kooperationen vorhanden waren, wurde die christliche Gewerkschaftsinternationale in ihrer heutigen Form im Haag bei einem Kongreß errichtet, der erst nach dem ersten Weltkrieg, vom 15. bis 19. Juni 1920, insgesamt elf Nationalverbände aus zehn Ländern (aus den Niederlanden kamen katholische und evangelische Gewerkschaftsgruppen) versammelte. Die im Haag anwesenden Verbandsvertreter repräsentierten 3,366.000 Mitglieder.

Die Gründung im Haag war eigentlich eine Art Wiederbegründung, da vorher schon in Zürich im Jahre 1908 eine christliche Internationale errichtet worden war. Da sich die einzelnen nationalen christlichen Gewerkschaften erheblich mehr als die sozialistischen im ersten Weltkrieg politisch für ihr Land engagierten, brach die „Erste” Internationale auseinander. Auch noch 1920 waren die Gegensätze zwischen den Angehörigen der Siegermächte und der besiegten Länder nicht restlos überwunden, so daß es einiger Kompromisse bedurfte, um die Internationale flottzumachen. Der erste Vorsitzende der Internationale mußte daher ein Neutraler sein: der Schweizer Scherrer. Er blieb acht Jahre an der Spitze. Nach ihm kam der deutsche Gewerkschafter 011 e, der bis zur Gleichschaltung der deutschen Gewerkschaften nach der Machtergreifung die Führung innehatte. Generalsekretär wurde zuerst der Niederländer- Serrarens, der dieses Amt bis 1952 verwaltete. Nachfolger Wurde sein Stellvertreter Vanistendael. Derzeitiger Vorsitzender ist der Franzose Tessier, gleichzeitig Vorsitzender des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften Frankreichs (CFTC), der aber infolge seines Alters die Führung der Geschäfte weitgehend dem ungemein agilen und in Weltkonzepten denkenden Generalsekretär überlassen muß.

Infolge der Größe der Mitgliederzahlen liegt das Hauptgewicht der christlichen Gewerk- ;chaftsinternationale heute im belgisch-französischen Raum. Das gilt in einem gewissen Sinn auch für die internationalen katholischen Organisationen, wenn auch bei ihnen noch der italienische Einfluß merkbar ist. Da die italienischen christlichen Gewerkschaften heute dem IBFG angehörenf, ist (bis vor kurzer Zeit) kein italienischer Einfluß im IBCG merkbar gewesen. Das Uebergewicht der Franzosen und der Belgier (unter diesen wieder der Vlamen)- hängt vor allem mit dem Ausscheiden der Deutschen nach 1933, aber auch mit der Auflösung einer Reihe von nationalen Gewerkschaftsgruppen im Osten zusammen, die nur noch mit Exilgruppen Teil des IBCG sind.

In seinem Programm geht der IBCG vom christlichen Sittengesetz aus, ist für weitgehende Eigentumsstreuung und gegen jede Form des Kapitalismus, sei es in privatwirtschaftlicher, sei es in staatlich-gemeinwirtschaftlicher Form. Uebri- gens ist die christliche Gewerkschaftsinternationale die einzige Internationale, in der sich protestantische und katholische Christen aus dem Arbeitnehmerstand mit Erfolg zusammengefunden haben. Konfessionelle Fragen spielen jedenfalls so gut wie keine Rolle.

Seinem Programm gemäß ist der IBCG auch für die Gewerkschaftsfreiheit, lehnt jede Zwangsgewerkschaft ebenso ab wie eine Uniformierung des Gewerkschaftswesens, auch wenn sie ohne jeden amtlichen Druck erfolgt. Dagegen wird das Kompromiß des österreichischen Systems einer Einheitsgewerkschaft praktisch akzeptiert, ist doch die „Fraktion christlicher Gewerkschafter” im Oesterreichischen Gewerkschaftsbund Mitglied der Internationale. Da in Oesterreich im OeGB zum Unterschied vom Deutschen Gewerkschaftsbund die Möglichkeit der formellen Fraktionierung besteht, können trotz verschiedener politischer und weltanschaulicher Denkweisen alle Arbeitnehmer in unserem Land einer einheitlichen Gewerkschaftsorganisation angehören, während die einzelnen Fraktionen den ihnen entsprechenden Internationalen angehören können. Aus dem Prinzip der Gewerkschaftsfreiheit nahmen die Vertreter des IBCG seinerzeit gegen die Zulassung der faschistischen von der Regierung errichteten Gewerkschaften Italiens beim Internationalen Arbeitsamt ebenso Stellung wie gegen Zulassung der Vertreter des seinerzeitigen Einheitsgewerkschaftsbundes, der in Oesterreich von 1934 bis 1938 bestanden hat und ebenfalls eine halbamtliche Einrichtung war. Heute stehen die Führer des IBCG auch im Widerstand gegen die Unterdrückung der Gewerkschaftsführer in Spanien.

Die heutige Organisation des IBCG besteht aus zwanzig Nationalverbänden und elf Fachinternationalen.

Die Nationalverbände und einzelne Gruppen in Asien sind regional vereinigt (CLASC), ebenso in Südamerika (CVTC). Dazu kommt noch der Internationale Bund christlicher Exilarbeiter (vor allem Ukrainer). Im Zusammenhang mit den belgischen und französischen christlichen Gewerkschaften bestehen Gewerkschaftsgruppen von Eingeborenen im afrikanischen Kolonialbereich dieser Länder, die eine eigene Presse, oft in der Eingeborenensprache, haben.

In zwei Ländern sind die christlichen Gewerkschaften stärker als die soizalistischen, und zwar in den Niederlanden und in Frankreich, während in Belgien das Verhältnis noch 47:51 zugunsten der Sozialisten lautet. Da in Frankreich die Sozialisten politisch weit in die Mitte eingerückt sind und in der Sache „Algerien” gleichsam „rechts” stehen, anderseits aber die christlichen Gewerkschaften unverkennbar steigende Linksneigungen zeigen, sind interessanterweise — vom Weltanschaulichen abgesehen — die Unterschiede zwischen den beiden Gewerkschaftsgruppen in Frankreich nicht mehr eindeutig.

Die Position des IBCG in Spanien ist ungeklärt. Formell sind die christlichen Gewerkschafter Spaniens illegal. Viele christliche Gewerkschafter sind eingekerkert.

Ein Sonderfall ist Italien. Die große, etwa 2,3 Millionen Mitglieder umfassende, weitgehend unter christlichem Einfluß stehende Gewerkschaft der CISL ist im IBFG organisiert. Erst vor kurzer Zeit wurde nun in Italien eine „Gewerkschaft freier Arbeiter” errichtet, die sich dem IBCG angeschlossen hat.

Die deutschen christlichen Gewerk schaite n waren bis 19į .,im LBCCj führend, hatten sie doch ungefähr eine Million Mitglieder; dazu kam die Angestelltengewerkschaft, die Gedag, mit 600.000 Mitgliedern. Die vor einigen Jahren neuerrichteten christlichen Gewerkschaften Deutschlands haben derzeit noch mit starken Hindernissen zu rechnen, schon deswegen, weil die überwiegende Mehrheit der christlichgesinnten Arbeitnehmer im DGB und in der DAG (Deutsche Angestelltengewerkschaft) geblieben ist. Auf der anderen Seite besteht in dei Bundesrepublik als Folge des „Wirtschaftswunders” eine Gewerkschaftsfeindlichkeit unter der Mehrheit der Arbeitnehmer, so daß den christlichen Gewerkschaften ein Einbruch in die Front der Unorganisierten verwehrt bleibt, die relativ doppelt so stark sind als in Oesterreich.

Der Internationale stehen in den einzelnen Ländern gewerkschaftliche Gruppen nahe, wie in Belgien die dortige katholische Arbeiterbewegung, die an die 700.000 Mitglieder hat.

An periodischen Schriften der Internationale erscheinen die in mehreren Sprachen herausgebrachte Monatsschrift „Labor” und der Pressedienst „Christlabor”.

Die Aussichten der christlichen Gewerkschaften in der Welt hängen unter anderem von zwei Faktoren ab:

Erstens davon, ob es dem IBCG gelingen wird, einerseits die italienischen christlichen Gewerkschaften wieder für eine Internationale zu gewinnen und ob anderseits die deutschen christlichen Gewerkschaften neuerlich auf ihre alte Stärke kommen. Beim Gründungskongreß hatten jedenfalls Italien und Deutschland nicht weniger als 74 Prozent der vertretenen Mitglieder gestellt Der außerordentliche Aufschwung der niederländischen, belgischen und französischen Gewerkschaften hat den Ausfall von mehr als zwei Millionen Gewerkschafter aus Italien und Deutschland freilich fast wettgemacht. Die relative Stellung des IBCG gegenüber den nichtchristlichen Internationalen ist aber noch immer schwächer als vor 1933.

Zweitens kommt es noch darauf an, ob der IBCG es vermrg. in den nichteuropäischen Kontinenten Fuß zu fassen. Der amtierende Generalsekretär hat wohl im besten Sinn des Wortes internationales Format, verfügt jedoch über zu geringe Mittel, um die Aktivierung der christlichen Gewerkschaftsbewegung Asiens und Afrikas wirksam betreiben zu können.

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