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Das letzte „C“

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Seit mehreren Monaten, sogar seit mehreren Jahren war die Debatte bei den Organisationen des Französischen Bundes Christlicher Gewerkschaften (CFTC — „Confede-ration Frangais des Travailleurs Chretiens“) im Gang. Jetzt ist sie an die Öffentlichkeit gelangt und nimmt die Form einer Auseinandersetzung zwischen den Kräften, die diesen großen Sammelpunkt christlichen Gewerkschaftswesens „ent-konfessionalisieren“ wollen, und denen, die dem Geist der Begründer der Bewegung treu zu bleiben gedenken, die ja von dem Wunsch nach enger Anlehnung an die Sozialdoktrin der Kirche beseelt waren. Die erstgenannten treten dafür ein, das letzte „C“ aus der Abkürzung „CFTC“ zu streichen, während die anderen diesen Bachstaben, der für „Christlich“ steht, als den Tragpfeiler der gesamten Bewegung betrachten.

Die christliche Gewerkschaftsbewegung existiert in Frankreich seit fast einem Dreivierteljahrhundert; sie war in ihren Anfängen die direkte Frucht der Enzyklika „Re-rum Novarum“. Aber erst 1919 entstand die CFTC unter dem Antrieb von Jules Zirriheld und Gaston Tessier, den inzwischen dahingegangenen großen Pionieren der christlichen sozialen Bewegung. Sie mußte lange mit Geduld und Hartnäckigkeit mit dem Unverständnis mancher Katholiken und der vereinten Feindschaft der Arbeitgeberkreise einerseits und der anderer Gewerkschaften anderseits ringen. Aber die vielen Mühen haben reiche Frucht getragen: die CFTC hat sich schrittweise Ansehen und Vertrauen erobert, und ihr Einfluß ist namentlich seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ständig gewachsen. Sie ist heute der Bannerträger der ndehtkoimmunistischen Gewerkschaften, die sie oftmals an Ernst und Dynamik des Wirkens hinter sich läßt.

Kann sie noch Besseres leisten und zu ihren Anhängern all die Arbeiter gewinnen, die sich nicht der kommunistischen Partei verschrieben haben? Eine gewisse Zahl ihrer Führer ist der Meinung, daß eine solche Expansion möglich sei, daß aber die Bezeichnung „Christlich“ für die CFTC ein Hindernis nach vorn darstelle. Daher haben sie vorgeschlagen, diesen konfessionellen Hinweis abzuschaffen. Bei dem Kongreß im Juni 1963 hatte sie bei einer Abstimmung über den Antrag, die christliche Gewerkschaftsbewe-gutrag solle „ihre Weiterentwicklung vorantreiben“, 57 Prozent der Stimmen erhalten gegen 43 Prozent für die These des Status quo. Diese Abstimmung führte zu dem Beschluß, im Herbst 1964 einen außerordentlichen Kongreß einzuberufen, dessen Aufgabe die Entscheidung zwischen beiden Thesen sein soll.

Die für die Weiterentwicklung eintretende Richtung, die m der Gewerkschaftsleitung die Mehrheit besitzt, erklärt, daß die Abschaffung des letzten „C“ und die ausdrückliche Aufgabe des Hinweises auf die christliche Sozialdoktrin nicht die Zerstörung der alten Fundamente, sondern die Öffnung der Tore bedeute. Andre Jeanson, Vizepräsident der CFTC, sagte namentlich: .....es handelt sich für uns nicht darum, die Vergangenheit der CFTC zu verleugnen. Wir wollen ganz einfach das Sammelbecken erweitern und ihm die Ausmaße geben, auf die es seiner Vergangenheit nach Anspruch erheben kann. Die CFTC ist nicht allein den Christen vorbehalten. Bei uns haben alle Arbeiter ihren Platz, denen der Wille gemeinsam ist, die Menschenwürde zu achten und für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen, welche Anschauungen sie auch immer zu diesen Überzeugungen gebracht haben mögen.

Das gibt es heute schon. Die Gewerkschaften, die sich seit einigen Jahren am stärksten entwickelt haben, haben Männer aller Glaubensbekenntnisse an sich gezogen, die nicht wegen des christlichen Etiketts gekommen sind, sondern wegen des Stils und der Dynamik unserer Tätigkeit. Wir wollen diese Bewegung beschleunigen...“

Nun aber macht sich eine recht lebhafte Opposition gegen diese Weiterentwicklung bemerkbar, inspiriert in erster Linie — das mag einzigartig erscheinen — von bedeutenden Arbeitergewerkschaften, wie etwa der der Bergleute, und angeführt von verschiedenen gewerkschaftlichen Persönlichkeiten ersten Ranges, unter ihnen beispielsweise Jacques Tessier, den Sohn des Begründers der CFTC. Diese von einer gewissen Anzahl von Köpfen der christlichen Gewerkschaftsbewegung umgebenen Persönlichkeiten haben einen „Verband der Gruppen für das Studium wirtschaftlicher, sozialer und gewerkschaftlicher Fragen im christlichen Geist“ („Association des groupes d'etudes econo-miques et syndicales d'inspiration chretienne“ — „AGEESIC“) gebildet, die innerhalb und außerhalb der CFTC gegen die „Entkonfessionali-sierung“ der christlichen Gewerkschaftsbewegung kämpfen will. Jean Bornard, Leiter des Bergarbeiterverbandes der CFTC und Generalsekretär der neuen Organisation, erklärt, daß die aktiven Gewerkschaftsmitglieder eine solide Ausbildung in der Soziallehre brauchen und daß diese „nur auf der Grundlage der Soziallehre im christlichen Geist gegeben werden kann, welches Wort vielleicht etwas anfechtbar, aber inhaltsschwer ist...“ Jacques Tessier wird noch deutlicher, wenn er feststellt, „es gibt gegenwärtig nur zwei Strömungen: die marxistische und die christliche“. Es heißt also wählen.

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