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Libertas — Unter der Fahne der Freiheit

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Ein Riesenpanzer mit Hammer und Sichel überfährt ein um Hilfe rufendes Mädchen. Daneben: Breit lächelt ein cäsarischer Männerkopf die Massen an — er wirbt für eine „stadtbürgerliche Liste (Lista cittadina)“ — einer der vielen Namen, unter dessen Schirmschild sich Kommunisten bergen. „Freiheit“ weht, mit vielen Fahnen, von den kleinen braunen Kastelltürmen, die überall in „der Stadt“ an Brennpunkten des Verkehrs errichtet, den Schild mit dem Losungswort der Democristiani zeigen. Ein kleines Kind sucht Sich vergeblich riesiger Pestfliegen zu erwehren. Aus dem wolkentrüben Himmel über den strahlenden Säulen des Forum regnet es Flugzettel, über der Tiberinsel hängt ein Ballon mit der Parole seiner Partei. An den Wänden der Kirchen, an den Quadern der Renaissancepaläste klettern, in buntester Fülle, die Plakate hoch. In der Via Appia, der Gräberstraße der Heiden, dann der Christen, wirbelt vor dem Eingang der Katakomben der Wind die Schwaden der wahlwerbenden Zettel empor.

Der Kampf um „die Stadt“, um Rom, wurde also von allen Beteiligten ernst genug genommen. Es ging um das Kapitol, um die Herrschaft über das politische Antlitz der Metropole, der ewigen Roma. Dieser Kampf wurde von den Christlichen Demokraten und ihrer Regierungskoalition der Mitte (Liberale, Sozialdemokraten, Republikaner, Unabhängige) gewonnen, Ein gewichtiger Sieg. Die Schlacht um Italien aber wurde, zunächst, an wichtigen Frontabschnitten, wohl nicht verloren, aber in einen gefährlichen Schwebezustand übergeführt.

Dieses Urteil mag hart scheinen, wenn man die immer noch führende Rolle des Regierungsblocks, die „geringere Bedeutung“ dieser Bürgermeister-, Gemeinderats- und Provinzialwahlen, die damit verbundene geringere Wahlbeteiligung (der bürgerlichen Kreisel), ihre regionale Beschränkung zudem auf 32 Provinzhauptstädte des Südens, auf Triest und Südtirol bedenkt.

Dieses Urteil wird milde erscheinen, besieht man die Zahlen: den Verlust von 400.000 Stimmen auf Seite der Regierungsmitte, den Gewinn von 200.000 Stimmen zugunsten des radikalen Linksblocks, den Gewinn des rechtsradikalen Blocks von 400.000 Stimmen. — Dies Urteil wird noch milder erscheinen, betrachtet man die äußeren und inneren Relationen: der in sich zerspaltenen Mitte, deren Zentrum, die Democristiani, wiederum selbst in immer stärker auseinanderstrebende rechte und linke Flügel zerfallen, zusammengehalten nur durch die große Kunst des Partei- und Regierungschefs, dieser denkwürdigen Koalition also von „Rechten!’, Halbrechten. Sozialisten, Liberalen und von Leuten sehr verschiedener weltanschaulicher, sozialer, wirtschaftlicher Gesinnung, die insgesamt 1,127.466 Stimmen auf sich vereinigen konnten, Steht ein Linksblock mit 922.951 Wählern und ein Rechtsblock mit 813.426 Männern und Frauen gegenüber. Hinter und über all dem die großen Schatten: die nicht durchgeführten, 1948 versprochenen Sozialreformen (trotz einzelner heroischer Anstrengungen und Etappenerfolge), die steigende Belastung des Landes durch das Rüstungsprogramm, anwachsende Arbeitslosenmassen, sinkende Ausfuhrbilanzen, ein Loch von 500 Milliarden Lire im Budget, die weitere Verelendung des~Mittelstandes, die Wohnungsmisere — die prekäre Lage eines Landes also, das seine Kolonien und mit ihnen sehr viel Substanz des dort investierten Nationalvermögens verlc.en hat, das seit Jahrzehnten an Übervölkerung, seit Jahrhunderten an der sozialen Misere „rückständiger“ Gebiete leidet. Wer auch nur einen Blick in die Luxusgeschäfte, in das Treiben der „großen Gesellschaft“ tut, dem gehen die Augen über. Wer einen Blick in die Lebensverhältnisse des „einfachen Mannes“, des „Mittelstandes“ oder gar breitester Schichten der Landbevölkerung tut, dem senken sich die Lider. In Sorge, Mitleid, Scham, häufig in Bewunderung: wie mit so geringen Mitteln ein Leben noch menschenmöglich, lebenswert wird.

Das Ergebnis dieser Kommunalwahlen kann also nicht klar genug gesehen werden: einer zerklüfteten demokratischen Mitte stehen, immer drohender, eine radikale Rechte und Linke gegenüber. In diesem Zusammenhang darf an die warnenden Stimmen erinnert werden, die bereits vor Monaten auf das stete Vordringen der Kommunisten in Italien hinwiesen, so etwa in aufsehenerregender Weise in der katholischen Schweizer „Orientierung“, kurz vor den Wahlen auch in der „Civiltä Cattolica“ durch A. Messineo S. J.

De Gasperi steht also an einem Scheideweg, der weit über Italien hinaus direkt mitteleuropäische und indirekt weltpolitische Bedeutung hat. Er muß, um eine, arbeitsfähige Regierungskoalition zu gewinnen, sich mit einer gewissen Rechten oder einer gewissen Linken verbünden. Diese notwendige Wahl trägt schicksalschweren Entscheidungscharakter und ist nicht zu verwechseln mit jenen klugen wahlgeometrischen Rechnungen und technischen Kunststücken, die an sich in Ländern mit einer beachtenswerten demokratischen Tradition und großen politischen Könnern nicht selten angewandt werden, um das Staatsschiff durch Klippen zu leiten. Hier und heute — und nicht nur in Italien — geht es um mehr: um einen echten Kurs, um einen konstruktiven Kurs, der an die Stelle von Wahlparolen — mögen sie auch so schön klingen, wie „Freiheit“, „Brot“ — Realitäten baut, Pläne verwirklicht, die die breiten Massen aus Elend, Furcht, Wohnnot.und immer unerträglicher werdender Labilität herausführen.

Das Drängen des rechten und rechtesten Flügels der Democristiani zielt unverblümt auf ein Bündnis mit den neofaschistischen Kräften: man glaubt hier, flott in jenen Winden segeln zu können, die heute allenthalben in der nichtbolschewistischen Welt Auftrieb erhalten haben — Bündnis also mit jener Partei, um deren Verbot sich De Gasperi seit einem Jahr vergeblich bemüht hat? Oder: Bündnis zumindest mit den Monarchisten, die sehr geschickt von den Neofaschisten als Steigbügelhalter bei eben diesen letzten Wahlen verwendet wurden und die sich dieser Tatsache langsam bewußt zu werden scheinen. Wie immer dem sei — viele befürchten, die reine Rechtskoalition müßte bedeuten: eine Wegkehre zu einem autoritäreren Kurs, unter Verzicht auf jene sozialpolitischen Aufbaumaßnahmen, die bisher schon der Druck gewisser groß- industrieller Kreise und des Großgrundbesitzes im Schoße der Democristiani verhindert hat. Es fällt schwer, an ein solches antidemokratisches Bündnis zu glauben: De Gasperi, dem alle Beobachter mit Recht nachrühmen, der geschickteste und gescheiteste Innenpolitiker unter den westeuropäischen christlichsozialen Führern zu sein, hat in überzeugungsstarker Weise, zuletzt wieder bei seiner römischen Universitätsrede, sich zur Demokratie, zu den Menschenrechten ihres politischen Humanismus bekannt. Ohne Zweifel wird er sich seine Partner „rechts“ genau ansehen, falls es mit einigen vofi ihnen zu einem Bündnis, kommen söllte. Er wird dies um so mehr tun, als sich heute, zum erstenmal in dieser Nachkriegszeit, eine echte, neue Möglichkeit bietet: die Nenni-Sozialisten, seit 1946 an die Kommunisten gekettet, zeigen sehr deutliche Anzeichen, ins Lager des demokratischen Sozialismus zurückzufinden. Die Trennung in einzelnen Wahlbezirken, so auch in Rom bei diesen Wahlen, wurde von vielen noch als ein Wahlmanöver angesehen. Jetzt aber geht es um mehr: wird die Bildung eines staatstragenden, staatsverantwortenden Sozialismus im Felde der Demokratie in Italien gelingen? De Gasperi hat, was oft auffiel, in großer Geduld seit Jahren jede parteibezogene oder persönliche Verschärfung der Gegensätze zu Nenni und den Seinen vermieden, er hat ihn immer wieder geschont und ist einem Kampf aüsgewichen. Soll dieser Verzicht des bedeutenden Staatsmannes nun Früchte tragen? Unleugbar groß könnte der Gewinn sein: die Bildung einer Regierung der Demokratie im Bekenntnis zum sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbau des ganzen Landes. Unleugbar groß sind aber auch die Gefahren: man lebt nicht, wie es Nenni getan hat, unbeeinflußt sechs Jahre in einer Vernunftehe mit dem Kommunismus.

Dem Druck, dieser linken Massen kann sich also De Gasperi nur dann gewachsen zeigen, wenn, unter seiner Führung die Christlichen Demokraten Italiens es wagen, ein konstruktives politisches und soziales Aufbauprogramm vorzulegen, mit erreichbaren Nahzielen, an deren Verwirklichung bereits vor den Gesamtwahlen im kommenden Jahr gearbeitet wird. Hier kommt noch ein nicht unwich- tigdr Faktor hinzu: in steigendem Maße haben sich wichtige Teile der italienischen Intelligenz, der Kultur, von den Demoeristiani abzuwenden begonnen, weil sie, immer noch irgendwie Träger der freiheitlichen Tradition der italienischen Städte, ihres sehr selbstbewußt schaffensfrohen eigenständigen Kultur- willens, bei jenen eine steigende Beklemmung und Verengung im kultur- . politischen Sektor festzustellen glauben. Auch hier, gerade hier auch, tun neue Haltungen not: man schreibt nicht ohafi Verpflichtung das Wort .Liber tas“ auf seinen Wappenschild…

, Was für das Standhalten dem linken Druck gegenüber gilt, gilt noch mehr für den ebenso notwendigen Widerstand gegen die neue Rechte. Soll diese, heute noch ein Gemisch aus nationalistischen Sehnsüchten, imperialen Erinnerungen, von Heimkehrerelend, Romantik um ruhmgekrönte Schnellbootkommandanten und Träger der goldenen Tapferkeitsmedaille, aus den Aspirationen neapolitanischer Reecjer, lombardischer Generale und süditalienischer Landhenen, g e- Z w u n g e n werden, sich zur Demokratie und zu einem klaren verantworteten Aufbauprogramm zu bekennen, dann muß die eigene Mitte stark sein. Stärker als sie heute ist: mit einem Kem, den nur ein sehr konkretes Tatprogramm bilden kann.

De Gaspėri steht also am Scheideweg. Er hat viele Gegner, manche Feinde, und noch mehr, die ihn mißverstehen.“Er besitzt-aber auch einen großen Verbündeten;-den politischen Humanismus, den Realitätssinn des italienischen Volkes, diese große Entschlossenheit, Erreichbares zäh Zu erkämpfen. Mit diesem Verbündeten söllte es ihm gelingen, wohl vorbereitet in die nun wieder entbrennende Schlacht um Italien einzutreten. Und einen Sieg zu erringen für die europäische Demokratie.

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