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Das Erdbeben von Messina

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Euphemius von Messina war ein Landedelmann auf Sizilien und Offizier im Dienste des Kaisers von Byzanz: der Haß gegen den Kaiser und die Unzufriedenheit mit dessen Beauftragten veranlaßten ihn, sich aufzulehnen, Schutz bei den Arabern zu suchen und sie in Sizilien an die Macht zu bringen. Das ist im Jahre 827 geschehen. Dann aber fand Euphemius, daß die-. Leute des Emirs von Kairüah schlimmer waren als die Kommissare des Byzantiners, er bereute sein Tun, versuchte sich im Doppelspiel, wurde erkannt und geköpft.

Diese Episode aus der Geschichte Siziliens ist am 30. März, Ostermontag, von Monsignore P e r u z z o, Erzbischof von Agrigent, seiner andächtigen Gemeinde während der Predigt in die Erinnerung zurückgerufen worden. Die Männer und Frauen senkten den Kopf, und es war kein Atemzug zu hören. Jeder wußte, wen der Oberhirte mit jenem Landedelmann Euphemius vergleichen wollte. Hatte sich der Advokat und Großgrundbesitzer Silvio M i 1 a z z o nicht auch gegen die Beauftragten Fanfanis, gegen seinen „Apparat", aufgelehnt und hatte er nicht wie jener den Ungläubigen, den Kommunisten, die

Hand gereicht? Die Parallele endet vorläufig an diesem Punkt. Ob Milazzo-Euphemius heute, nach gewonnener Wahlschlacht, die Leute des Emirs Togliatti für schlimmer hält als die Fanfanianer, die auch nach dem Sturz des Parteisekretärs der Christlichen Demokraten ihre Posten behalten durften, ist nicht zu erkennen. Zwar erklärt er sich als Antikomtmmist, - aber auf administrativer Ebene glaubt er'die kommunistischen Stimmen akzeptieren zu dürfen. „Ich kenne nur Sizilianer“. Eines aber ist sicher: die von ihm errungenen neun Mandat bewahren ihn davor, geköpft zu werden. Im Gegenteil, sie lassen vermuten, daß er als umworbener Partner zu Regierungsehren aufsteigen wird.

Mit 10,6 Prozent der Wählerstimmen ist Milazzos Christlichsoziale sizilianische Union

(USCS) die drittstärkste Partei in Sizilien geworden; 256.701 Sizilianer haben lieber auf den Ruf der Autonomie gehört als auf die Warnungen der Bischöfe; hätte sich das Wahlgesetz nicht gegen ihn ausgewirkt, wäre Milazzo mit elf oder zwölf Mandaten absoluter Herr auf Sizilien und keine Regierung wäre ohne ihn denkbar. Die Nenni-Sözialisten etwa, obwohl sie nur 9,8 Prozent der Stimmen erhielten, bekamen elf Mandate. Die Christlichen Demokraten haben sich wacker geschlagen; verglichen mit den letzten Wahlen für den Landtag der autonomen Region haben sie zwar drei Mandate verloren (34 statt 37), aber ihr prozentueller Anteil an den Wählerstimmen ist sogar um ein weniges gestiegen, nämlich 38,7 statt 38.6. Allerdings haben auch die Kommunisten als Frucht ihrer energisch geführten Wahlkampagne an Stärke zugenommen: 21,3 statt 20,8 Prozent

@@@@und 21 statt 20 Mandate. Von den insgesamt neunzig Sitzen erhielten der neufaschistische MSI 9, die Monarchisten 3, die Liberalen 8, die Sozialdemokraten 1.

Die wahre Sensation der sizilianischen Wahlen 1st der unerwartete Erfolg des Advokaten aus Caltagirone. Wie im äußersten Norden, im Aosta-Tal, so hat auch im untersten Süden der autonomistische Gedanke den eigentlichen Sieg davongetragen. In Milazzos USCS einen ideologischen Inhalt zu suchen, würde vergebliche Mühe ein, und ihr politischer ist dürftig genug. Ihre Anziehungskraft stammt ausschließlich von der Rebellion gegen die Ungerechtigkeiten Roms her. „Unser Programm besteht darin, mit dem uns durch die Parteiherrschaft auferlegten Zwang aus Rom ein Ende zu machen“, sagte der Gründer der schismatischen Bewegung in Sizilien, „die Parteienherrschaft hat den Menschen umgebracht; aber die Parteienherrschaft, das Ekelhafteste, was die moderne Demokratie hervorgebracht hat, darf nicht die Oberhand behalten.“ Eine solche Sprache konnte auf den Plätzen der sizilianischen Städte nicht ohne Wirkung bleiben, und Milazzo mußte vom Volk wirklich als „euphemios“, als „Schönredner“, empfunden werden. Er kassierte die Stimmen aller jener, die, ohne Kommunisten zu sein, ohne einem extremen Marxismus anzuhängen, ihre totale Unzufriedenheit mit der Partei zum Ausdruck bringen wollten, die in Rom die Zügel in den Händen hält.

Die zweimalige Enttäuschung, in Aosta und ln Sizilien, hat in der DC alle wieder auf den Plan gerufen, die in der regionalen Ordnung eine Gefahr für den italienischen Einheitsstaat wittern. Hier werden Ursache und Wirkung miteinander verwechselt. Die Auflehnung der „Union Valdotaine“ und der Christlichsozialen Union sind in Wirklichkeit der Effekt einer jahrelangen Sabotage, mit der die Zentralregierung, die Christlichen Demokraten in erster Linie, die Durchführung des Sonderstatus für Sizilien seinem Inhalt nach und die der von der Verfassung vorgesehenen allgemeinen Regionalordnung Italiens zu verhindern gewußt haben.

Freilich konnte die DC sicher sein, in diesem Punkt die stillschweigende oder offene Unterstützung auch der anderen Parteien zu finden, die Republikaner ausgenommen, für die die regionale Ordnung ein Teil ihres republikanischen Katechismus ist. Keine der Parteien hatte ein Interesse daran, auf einen Teil ihres Ein-

Die zweimalige und in jeder Hinsicht selbstverschuldete Schlappe der christlichdemokratischen Politik, die sowohl in Aosta wie in Palermo die Autonomisten durch ihr völliges Unverständnis den Kommunisten geradezu in die Arme getrieben hat, vermochte in Rom nicht etwa die Wirkung einer heilsamen Lehre auszuüben und die verantwortlichen Politiker zum Nachdenken über eigene Versäumnisse anzuregen. Statt sich über die Ursachen der sizilianischen „Rebellion" Gedanken zu machen, statt den Sizilianern neue Hoffnungen auf die endliche Erfüllung ihrer Selbstverwaltungswünsche zu geben, die doch Gesetz geworden sind, hat der Erfolg Milazzos die für die regionale Ordnung Sympathisierenden unsicher gemacht und ihren Gegnern den Rücken gestärkt. Ministerpräsident S e g n i hat in der Kammer erklärt, daß die Regionalordnung zwar durchgeführt werden müsse, weil dies nur durch eine Verfassungsänderung zu verhindern sein würde, zugleich aber hat er das Versprechen abgegeben, dabei so langsam vorzugehen, daß in näherer und fernerer Zukunft mit einer Durchführung der verfassungsmäßigen Bestimmungen nicht zu rechnen ist. Auch die Neofaschisten und die Liberalen waren beruhigt.

Die Christliche Demokratie ist fest entschlossen, sich in Sizilien wieder in den Sattel zu schwingen. Mit ihren 34 Mandaten ist sie auf Hilfe anderer Parteien angewiesen, die sie im Zentrum nicht finden kann. Zwar haben die Sozialdemokraten einen Sitz erobern können, während sie im Jahre 1955 völlig durchgefallen waren; aber die Liberalen haben nur zwei und die Monarchisten nur noch drei Sitze im „Parlamentino"; das sind zusammen knapp vierzig, während die unbedingt notwendige Zahl 46 beträgt. Auf welche Seite kann die Allianz ausgedehnt werden? Am leichtesten wohl durch eine Aufnahme des neofaschistischen MSI, der bereits zu verstehen gegeben hat, daß ihm die Verbündung mit den Christlichen Demokraten lieber wäre als die alte Koalition an Seite von Milazzo und den Kommunisten. Vorausgesetzt, daß der DC diese Operation gelingt (wohl unter Verzicht auf den Sozialdemokraten), so ist sie ausschließlich mit rechtsorientierten Parteien verbündet, denen jede administrative Selbständigkeit im Rahmen einer Regionalautonomie ein Greuel ist. Die Sizilianer brauchen sich dann für die nächsten Jahre keine Hoffnungen mehr zu machen, daß es mit ihrer Autonomie irgendwie weitergehen wird.

Wie die DC, so ist aber auch Milazzo fest entschlossen, nicht so bald vom Präsidentenstuhl der sizilianischen Region herunterzusteigen. Er scheint durchaus bereit zu sein, eine Neuauflage der alten Koalition mit den Kommunisten, Linkssozialisten, Faschisten und Monarchisten zu versuchen. Die Dinge sind insofern schwieriger für ihn geworden, als sich die Linkssozialisten Nennis nicht mehr bereit finden wollen, mit den Faschisten an einem Tisch zu sitzen; die Faschisten selbst zeigen wenig Begeisterung, gleiches mit den Kommunisten zu tun. Die Kommunisten versuchen sich im Hintergrund zu halten und beanspruchen nicht, in die Regionalregierung aufgenommeh zu werden, wo sie ohnedies durch den „Unabhängigen“ d’Antoni, Listenführer der KP in Trapani, wirksam genug vertreten wären. Wie die Christlichen Demokraten unter der USCS, so versucht Milazzo jetzt unter den Monarchisten und Faschisten jene ihm noch fehlenden fünf Stimmen mit dem Versprechen von Assessoraten und mit guten Worten zu gewinnen. Es scheint, daß die Sozialisten gegen solche Ueberläufer nichts einzuwenden hätten.

Die Partie ist noch durchaus offen, und bis zum 7. Juli, dem Tag, an dem das neugewählte Regionalparlament Zusammentritt, um den Präsidenten zu wählen, ist noch eine ganze Reihe von Ueberraschungen möglich. Irgendwelche Voraussagen zu machen, wagt niemand. Sizilien ist kein Gebiet, wo die Dinge sich nach dem Faden einer strengen Logik abwickeln, sie folgen vielmehr einer Logik, die nur dem Sizilianer verständlich ist.

baues in einigen Jahren auch nach außen hm der Eindruck eines demokratischen Staates her- vorgerufen werden. Dieses Bild darf jedoch nicht täuschen: Die Souveränität im Staate liegt nicht beim Volk, sondern bei der Partei, und das ein zelne Parteimitglied handelt nicht gemäß der eigenen Ueberzeugung, sondern nur im Rahmen des Parteiprogrammes und dessen Welt anschauung.

Neuerdings wird auch wieder jeder Persönlichkeitskult energischer als bisher unterbunden.

Auf dem 21. Parteikongreß waren Töne vernehmbar gewesen, die als Beginn eines Persönlichkeitskultes um Chruschtschow zu werten waren. Das ist nun radikal unterbunden worden. Die Feier des 1. Mai ist eine klare Illustration dessen, daß auf Grund geheimer aber strikter Weisung der byzantinische Hang der Russen gestoppt wurde. Früher erschien am 1. Mai nicht nur auf der ersten Seite jeder Zeitung das Bild Lenins und Stalins, sondern auch das Auftreten des Diktators auf dem Roten Platz in Moskau wurde in einem langen Artikel geschildert. In der Zeit Stalins war es außerdem Sitte, daß jede P.ede, die zum 1. Mai gehalten wurde, nicht nur mit einem Hoch auf den Sowjetstaat und die Kommunistische Partei, sondern auch mit einem Hoch auf Stalin persönlich endete, wobei man dem Diktator blumenreiche Titel gab, wie „Führer der Werktätigen der ganzen Welt", und natürlich wurde nie vergessen, ihn den „großen und genialen Stalin“ zu nennen. Sein gigantisches Bild schmückte die Fassade des Warenhauses gegenüber dem Mausoleum Lenins, un4 die Demonstranten trugen zu Tausenden Stalins Porträt mit.

Nichts dergleichen konnte man am diesjährigen 1. Mai sehen. Keine Erwähnung Chruschtschows in den Festreden, keine Bilder von ihm in den Zeitungen und auf Plakaten (nur Lenins Bild wurde bei den Demonstrationen mitgetragen). Sein Name schien in den Zeitungen nur einmal auf in der Beschriftung unter einem Bild, das die Marschälle und Regierungsmitglieder auf dem Mausoleum zeigte.

Das ist zweifelsohne auf geheimem Verordnungswege veranlaßt worden. Man sucht in Moskau einen Mittelweg, der einerseits einen Personenkult verhindert, anderseits aber auch den Regierungschef populär macht. So hat man ihm dieses Jahr den Lenin-Friedenspreis verliehen, jedoch nicht ihm allein, sondern auch noch vier anderen Personen. Stalin hätte sich so etwas nie gefallen lassen.-

Man darf sich allerdings nicht täuschen: der ganze Umbau des Sowjetstaates ist nichts anderes als der Umbau der Fassade. Natürlich, die fortschreitenden Liberalisierungsmaßnahmen, der Ausbau der Rechtssicherheit machen das Leben des Einzelbürgers in der Sowjetunion erträglicher. Von der Zielsetzung des Ausbaues der Demokratie nach westlicher Auffassung kann aber nicht die Rede sein. Es ist immer nur eine Veränderung des Mechanismus, der der Herrschaft der einzigen Partei dient. Nicht unterschätzt werden soll, daß dadurch das äußere Bild des Sowjetstaates, zusammen mit seinen technischen und wissenschaftlichen Erfolgen, in einigen Jahren gefälliger, „schmackhafter“ sein und damit auch die öffentliche Meinung des Auslandes beeinflussen wird. Allerdings lehrt uns die russische Geschichte, daß es nur eines Zwischenfalles oder geringer Schwierigkeiten bedarf, um diese Entwicklung wieder abzustoppen und zu den alten brutalen Methoden der Diktatur zurückzukehren.

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