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Umbau der Fassade

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Die Form, in der das Plenum des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei Für den 21. Juni einberufen wurde, ist in jeder Hinsicht neu. Bisher war es immer so gewesen, daß ein solches Plenum nicht öffentlich angezeigt wurde, sondern erst einige Zeit nach Abschluß der Tagung einzelne Teile der gefaßten Resolutionen veröffentlicht wurden. Diesmal aber wurde die Einberufung schon Wochen zuvor verlautbart. Damit" erschöpft sich 'die Bedeutung dieses Novums noch nicht. Denn zum ersten Male wurde gleichzeitig auch die Tagesordnung veröffentlicht. Tagesordnung: In den vierzig Jahren bisher hat das Plenum des Zentralkomitees Berichte entgegengenommen, darüber diskutiert und dann eine allgemeine Resolution beschlossen; auf der Tagesordnung am 21. Juni 1959 hingegen steht eine Reihe von ganz konkreten wirtschaftlichen Fragen, über die das Plenum Beschluß zu fassen hat. Es sind beinahe die konkreten Traktanden eines Parlamentes und nicht solche eines Parteiausschusses.

Zweifelsohne steht dahinter eine Aufwertung der Bedeutung des Zentralkomitees, das zur Zeit Stalins vollkommen entmachtet war. Jetzt ist es wieder zum wirklichen Sitz der Macht in der Sowjetunion geworden. Es wird nicht nur öfter einberufens sondern hat auch bedeutend mehr zu sagen. Es ist übrigens interessant, daß genau so wie zur Zeit Lenins das Parteipräsidium heute regelmäßig einmal wöchentlich Zusammentritt. Stalin hatte auch das de facto abgeschafft. Jetzt muß sich Chruschtschow allwöchentlich einmal auch die Meinung seiner Kollegen vom Präsidium anhören.

Es ist heute schon deutlich, worauf diese inneren Reformen hinauslaufen. Der Paragraph 124 der Sowjetverfassung soll realisiert werden. Darnach ist die Kommunistische Partei die Elite der ganzen Nation, die im Staate und in sämtlichen Organisationen der Werktätigen den leitenden Kern bildet. Jetzt zielt man darauf ab. daß die sechs bis sieben Millionen Parteikommunisten die politisch geschulte Elite der Staatsnation bilden sollen, in deren Kreis die politische Willcnsbildung ziemlich frei erfolgt. Nicht ganz frei, denn sie ist ja durch ein Parteiprogramm, eine Weltanschauung und eine bestimmte Zielsetzung gebunden. Diese Elite ergänzt sich selbst. Zur Aufnahme in die Partei genügen jedoch nicht nur Empfehlungen, gewisse Leistungen im Beruf, sondern der Kandidat ist auch gezwungen, eine mehrjährige Schulung durchzumachen. Kein einfacher parteiloser Bürger kann jemanden zur Aufnahme in die Partei empfehlen. Jeder Bürger aber kann unter Umständen die Aufnahme eines Anwärters verhindern, indem er dem zuständigen Parteiorgan Einwände oder Vorbehalte bekanntgibt. Auch das Parteimitglied soll in Zukunft unter stärkerer Kontrolle der parteilosen Masse stehen, denn ähnlich wie zu Lenins Zeiten sollen jetzt die Bürger mehr als bisher mit ihren Beschwerden über Parteimitglieder zu Gehör kommen. Es soll damit nach Erreichung des Um baues in einigen Jahren auch nach außen bn ler Eindruck eines demokratischen Staates her rorgerufen werden. Dieses Bild darf jedoch nicht täuschen: Die Souveränität im Staate liegt nicht beim Volk, sondern bei der Partei, und das einreine Parteimitglied handelt nicht gemäß der eigenen Ueberzeugung. sondern nur im Rahmen des Parteiprogrammes und dessen Weltanschauung.

Neuerdings wird auch wieder Jeder Persönlichkeitskult energischer als bisher unterbunden.

Auf dem 21. Parteikongreß waren Töne vernehmbar gewesen, die als Beginn eines Persönlichkeitskultes um Chruschtschow zu werten waren. Das ist nun radikal unterbunden worden. Die Feier des 1. Mai ist eine klare Illustration dessen, daß auf Grund geheimer aber strikter Weisung der byzantinische Hang der Russen gestoppt wurde. Früher erschien am 1. Mai nicht nur auf der ersten Seite jeder Zeitung das Bild Lenins und Stalins, sondern auch das Auftreten des Diktators auf dem Roten Platz in Moskau wurde in einem langen Artikel geschildert. In der Zeit Stalins war cs außerdem Sitte, daß jede Rede, die zum 1. Mai gehalten wurde, nicht nur mit einem Hoch auf den Sowjetstaat und die Kommunistische Partei, sondern auch mit einem Hoch auf Stalin persönlich endete, wobei man dem Diktator blumenreiche Titel gab. wie ..Führer der Werktätigen der ganzen Welt", und natürlich wurde nie vergessen, ihn den „großen und genialen Stalin zu nennen. Sein gigantisches Bild schmückte die Fassade des Warenhauses gegenüber dem Mausoleum Lenins, und die Demonstranten trugen zu Tausenden Stalins Porträt mit.

Nichts dergleichen konnte man am diesjährigen 1. Mai sehen. Keine Erwähnung Chruschtschows in den Festreden, keine Bilder von ihm in den Zeitungen und auf Plakaten (nur Lenins Bild wurde bei den Demonstrationen mitgetragen). Sein Name schien in den Zeitungen nur einmal auf in der Beschriftung unter einem Bild, das die Marschälle und Regierungs- mitglicder auf dem Mausoleum zeigte.

Das ist zweifelsohne auf geheimem Verordnungswege veranlaßt worden. Man sucht in Moskau einen Mittelweg, der einerseits einen Personenkult verhindert, anderseits aber auch den Regierungschef populär macht. So hat man ihm dieses Jahr den Lenin-Friedenspreis verliehen, jedoch nicht ihm allein, sondern auch noch vier anderen Personen. Stalin hätte sich so etwas nie gefallen lassen ...

Man darf sich allerdings nicht täuschen: der ganze Umbau des Sowjetstaates ist nichts anderes als der Umbau der Fassade. Natürlich, die fortschreitenden Libcralisierungsmaßnahmen. der Ausbau der Rechtssicherheit machen das Leben des Einzelbürgers in der Sowjetunion erträglicher. Von der Zielsetzung des Ausbaues der Demokratie nach westlicher Auffassung kann aber nicht die Rede sein. Es ist immer nur eine Veränderung des Mechanismus, der der Herrschaft der einzigen Partei dient. Nicht unterschätzt werden soll, daß dadurch das äußere Bild des Sowjetstaates, zusammen mit seinen technischen und wissenschaftlichen Erfolgen, in einigen Jahren gefälliger, „schmackhafter sein und damit auch die öffentliche Meinung des Auslandes beeinflussen wird. Allerdings lehrt uns die russische Geschichte, daß es nur eines Zwischenfalles oder geringer Schwierigkeiten bedarf, um diese Entwicklung wieder abzustoppen und zu den alten brutalen Methoden der Diktatur zurückzukehren.

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