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Die Partei hat recht

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Seit den Tagen der Zaren gehören Zensur und Beschlagnahmung zum Alltag der Medien in der Sowjetunion. Eine gleichgeschaltete Presse sorgt für die „rechte Lehre“.

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Seit den Tagen der Zaren gehören Zensur und Beschlagnahmung zum Alltag der Medien in der Sowjetunion. Eine gleichgeschaltete Presse sorgt für die „rechte Lehre“.

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Rußland hatte nie eine vollkommen freie Presse. In seiner zweibändigen Arbeit über die Zensur im zaristischen Rußland schrieb der Historiker Maximow über mehr als 2.000 Zensuraktionen von der Regierung in Rußland nur allein im Jahr 1913. Darunter waren Zeitungsbeschlagnahmen, Verbote, bereits fertige Manuskripte zu drucken, zahlreiche Kürzungen von gedruckten Texten, Fälschungen und das Verschweigen von Nachrichten in der völlig vom Staat kontrollierten Presse.

Sogar die weltberühmten Schriftsteller und Journalisten wie zum Beispiel Korolenko, Do-stojewskij, Turgenew wurden beschlagnahmt und vernichtet. Sie selber aber mußten mit Inhaftierung oder Verbannung rechnen. Allein im Jahre 1916 wurden in Rußland 39 Zeitungen und Zeitschriften durch die Polizei verboten und aufgelöst.

1917 kamen die Bolschewiken mit strengen Zensurgesetzen an die Macht. Fast alle „bourgeoi-sen“ Zeitungen und Zeitschriften wurden sofort als dem neuen Regime feindlich gesinnte verboten. Tausende und Abertausende Journalisten, Publizisten,

Schriftsteller und Autoren wurden zu Opfern. Manche wurden sofort erschossen, manche verurteilt, den Glücklichsten erlaubte man, ins Ausland zu gehen.

Die begabtesten Journalisten und Schriftsteller wie Leonid Andreew oder Iwan Bunin, später der Literaturnobelpreisträger Alexej Tolstoj, Nikolaj Berdjaew oder Teffi, Mereshkowskij, Gip-pius mußten in der Emigration in Not leben.

Zunächst befahl Lenin, alle Zeitungen als Werkzeug des Proletariats zu betrachten. In der Tat wurden alle Zeitungen der Kontrolle von Kommissaren unterstellt. Die kirchlichen Zeitungen, als „reaktionärste“, wurden dabei auf ewig verboten.

In wenigen Monaten mußte Rußland etwa 6.000 Zeitungen verlieren. Anstelle der sogenannten „bourgeoisen“ Presse wurde die „proletarische“ Presse ins Leben gerufen.

Lenins naher Freund und revolutionärer Mitwirker Gorkij hat bereits schon nach zwei Jahren der bolschewistischen Diktatur die staatliche Zensur scharf kritisiert. In seinem Buch „Nichtrechtzeitiger Gedanke“ klagt Gorkij die Regierung des Mißbrauchs des Vertrauens der Proletarier an und sagt wörtlich: „Die neuen Zaren benutzen die Presse nicht, um den Sozialismus zu schaffen, sondern für Machtzwek-ke.“

In einem Gespräch mit dem Kulturwissenschaftler Yuri An-nenkow aus dem Jahre 1920 formulierte Lenin die Aufgaben der Erziehung und Presse folgendermaßen: „ ,Das Analphabetentum liquidieren' dient lediglich dazu, daß jeder Bauer, jeder Arbeiter selbständig und ohne fremde Hilfe unsere Dekrete, Anordnungen und Aufrufe lesen kann. Dies ist ein völlig praktisch orientiertes Ziel. Das ist alles.“

Nach Lenins Tod rechnete der langjährige Diktator der UdSSR, Josef Stalin, mit allen freien Gedanken ab und etablierte nur staatliche Journalisten. Alle sowjetischen Zeitungen wurden verpflichtet, in erster Linie ausschließlich die Politik der kommunistischen Partei zu erklären und nur das zu schreiben, was von der Partei gewünscht und gebilligt wurde.

Nur zwei Zeitungen gelang es, diese schweren Zeiten zu überleben, nämlich der „Prawda“ (Die Wahrheit) und der „Iswestija“ (Die Nachrichten). Obwohl es zwischen den zwei staatlichen Institutionen wie dem ZK der KPdSU (Herausgeber der „Prawda“) und dem Obersten Sowjet (Herausgeber der „Iswestija“) in der Tat keinen Unterschied gibt, vertreten die beiden quasi diese Organe.

Dabei ist es natürlich sehr amüsant, daß man inhaltlich überhaupt keinen Unterschied feststellen kann. Dafür sei aber — so scherzen die Menschen in der Sowjetunion — das Schriftbild jeweils unterschiedlich.

In den dreißiger bis fünfziger Jahren wurde im Lande ein ganzes System für die Tageszeitungen ausgearbeitet. Die Zentralzeitungen bekamen die Informationen direkt aus dem Gebäude auf dem Staraja Ploschtschadj (Alter Platz) in Moskau (das heißt dem Gebäude der KPdSU). Untergeordnete, das heißt regionale Zeitungen, entnahmen diese Informationen mit dem Recht, diese Texte etwas zu kürzen oder mit einem anderen Schriftbild zu setzen und sogar manchmal auf anderen Seiten drucken zu lassen.

Die zahlreichen Kreiszeitungen entnahmen ebenfalls diese Informationen aus regionalen Zeitungen und konnten, nur wenn noch genügend Platz blieb, noch Regionales bringen. Sehr interessant dabei ist, daß die Kreiszeitungen kein Recht hatten, etwas zu kürzen oder selbst den Platz für den Abdruck dieser Informationen zu bestimmen — sie bekamen entweder vorgefertigte Matrizen oder genaue Anweisungen durch den Rundfunk.

Die Auflage von sowjetischen Zeitungen ist außerordentlich hoch. Die beiden Zentralzeitungen haben eine Auflage von jeweils sieben bis acht Millionen. Der Leitartikel wiederholt jedesmal ständige Parolen der Partei über die guten Ergebnisse der WirtSchafts- und sonstigen Politik der Partei. Die aktuellen Anweisungen kommen anonym aus der Partei, die keine Fehler macht und immer recht hat.

Für die Millionen von Sowjetbürgern sind die Zeitungen beziehungsweise Rundfunk und Fernsehen, die mehr als die Zeitungen Unterhaltung anbieten, keine Informationsquelle. Tagtäglich versucht man, durch die Medien die Menschen in der UdSSR in Ungewißheit zu halten, damit uninfor-mierte Leute besser manipuliert werden können. Es kommt dabei sogar zu Kuriositäten.

Der verstorbene Staats- und Parteichef Andropow fragte nach einer Meldung aus den USA seine Berater: Wer erlaubt es eigentlich einem Journalisten, ein Buch gegen den Präsidenten Reagan zu schreiben? So weit gehen die Vorstellungen über die bürgerlichen Rechte sogar bei dem sowjetischen Führer.

Es gibt viele kuriose Beweise dafür, wie selbst die Kremlführer von der sowjetischen Presse nicht informiert werden. Nachdem Ni-kita Chruschtschow im Jahre 1964 von seinen Kollegen gestürzt worden war, hat er selbst in seinen „Memoiren“ die Sowjetmedien angeklagt: er hat die Nachrichten erst von ausländischen Rundfunkstationen, nämlich von „Voice of America“, in russischer Sprache erfahren müssen.

Karikatur Holz (Süddt. Ztg.)

Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der UNO, der sowjetische Diplomat Arkadij Schewt-schenko, bestätigte, nachdem er in den Westen übergelaufen war, daß er weder als Diplomat noch sogar als normaler Mensch die sowjetischen Nachrichten ernst nehmen wollte.

Was kann eigentlich jemand, der tagtäglich die sowjetische Presse liest, daraus entnehmen? Nur drei längst bekannte Dinge: Arbeit, die zum Guten und lediglich zum Kommunismus führen soll; der Kampf gegen böse Kapitalisten, um dadurch ebenfalls den Kommunismus in der ganzen Welt aufzubauen, und ewiges Lob dafür an die „geliebte Partei“. Dazu fallen einem die Worte von Lew Tolstoj ein, der, aus anderem Anlaß, gesagt hat: „Dies alles wäre einfach lächerlich, wenn es nicht so grausam wäre.“

Der Beitrag entstammt auszugsweise dem kürzlich erschienenen Buch POLITIK UND MASSENKOMMUNIKATION. Ansichten zu einem komplexen Verhältnis. Hrsg. Maximilian Gottschlich. Bühlau Verlag Wien 1986, 192 Seiten, öS 185,-.

Der Autor verbrachte mehr als 16 Jahre seines Lebens in Haft, davon vier Jahre im psychiatrischen Konzentrationslager „Syt-schewka“, nach Protesten aus dem Westen aber vorzeitig entlassen. Seit 1980 lebt Below als Journalist in der Bundesrepublik.

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