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Kirche, Kreml und Kontakte

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I. Der erste Streich

Wenn'auch der bekannten Ansprache Außenministers Gromyko an eine moskaufreundliche Delegation aus Italien mehrere sowjetische Versuche der Kontaktnahme mit dem Vatikan vorausgegangen sind, so ist doch der direkt und öffentlich ausgedrückte Wunsch eines führenden russischen Politikers nach Aufnahme von Beziehungen mit dem Vatikan ein erstmaliges historisches Ereignis. Nie in der Vergangenheit ist je von einem russischen Zaren oder russischen Minister öffentlich ein derartiges Begehren ausgesprochen worden. Chruschtschow hat denn auch diesen Wunsch damit begründet, daß in der Frage der Abrüstung und der Atomwaffen sich im Verlaufe der letzten Jahre in mancher, Hinsicht ein gleicher Standpunkt der Sowjetregierung und des Vatikans herausgestellt habe. Diese angebliche Gemeinsamkeit der Auffassung über einzelne lebenswichtige Probleme gäbe eine gute Grundlage für Verhandlungen. *

Es ist vollständig begreiflich, daß dem Kreml viel daran liegt, in seine in voller Entwicklung befindliche Friedens- und Abrüstungsoffensive auch den Heiligen Stuhl als eine Art von Bundesgenossen einzubeziehen. Wenn man sich aber daran erinnert, daß noch vor bloß etwas mehr als zehn Jahren die Religion und jede Glaubensgemeinschaft in Rußland furchtbaren Verfolgungen ausgesetzt war und daß auch nach Abschluß dieser Verfolgungen, als mit den in der Sowjetunion bestehenden Religionsgemeinschaften eine Art von Modus vivendi gefunden wurde, der Vatikan noch während Jahren das Objekt wütendster Beschimpfungen durch sowjetische Staatsmänner und die sowjetische Presse blieb, wirkt naturgemäß die Intensität der sowjetischen Anbiederungsbemühungen dem katholischen Kirchenoberhaupt gegenüber sehr verwunderlich. Als seinerzeit Stalin gegenüber von ausländischer Seite auf die Wichtigkeit guter Beziehungen zum Vatikan und auf die ungeheure Bedeutung dieser moralischen Macht hingewiesen wurde, antwortete der Diktator nur ironisch: „Wie viele Divisionen hat denn der-Vatikan?“ Diese Antwort-'war nur dir Ausdruck der allgemein in der Sowjetunion herrschenden Auffassung von der weltpolitischen Bedeutungslosigkeit moralischer Faktoren. Es scheint nun doch, daß im heutigen Kreml eine weitgehende Revision dieser Auffassung stattgefunden hat. Im Laufe des letzten Jahrzehntes hat sich der russisch-kommunistische Standpunkt, was die Religion betrifft, im allgemeinen und in den 'letzten Jahren auch betreff des Vatikans im besonderen nicht wenig\ geändert.

Bekanntlich ist der Kommunismus nicht nur passiv atheistisch. Vielmehr ist der kommunistische Atheismus aktive Bekämpfung jeder Religion und jeder Glaubensüberzeugung. Von besonders fanatischer Feindschaft gegen jeden Gottesglauben war Lenin persönlich erfüllt. „Selbst das Wort Religion ist mir ein Greuel“, hat er einmal geäußert. Zudem kann man wiederum nicht sagen, daß alle seine nächsten Mitarbeiter in dieser Hinsicht seine Anschauung geteilt haben. Sehr viele Bolschewiken standen dem Problem Revolution—Kirche eher gleichgültig gegenüber. Manche waren sogar durchaus nicht gottlos. Einer der führendsten Ideologen des frühen Bolschewismus, der spätere Kommissär für Volksaufklärung, Anatoli Luna-tscharski, einer der nächsten Freunde Lenins, war ausgesprochen1 gläubig und in früheren Jahren sogar schriftstellerisch für das religiöse Bedürfnis des Menschen eingetreten. Er fügte sich jedoch in der Folge der Parteidisziplin, blieb aber immer ein Feind allzu radikaler Maßnahmen gegen die Kirche. Von Stalin selbst, dem ehemaligen Zögling eines kaukasischen Priesterseminars, ist eigentlich kein einziger authentisch religionsfeindlicher Ausspruch bekannt. Anfänglich stellten sich die Bolschewiken das Verhältnis zur Kirche ungefähr so vor: Die Bolschewistische Partei ist atheistisch; als solche wird sie immer die Religion bekämpfen, insbesondere durch ihre angeblich wissenschaftliche Aufklärung über den religiösen Aberglauben; das bleibt jedoch Sache der Partei und hat weiter keinen Einfluß auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat; dieses Verhältnis ist dasjenige der absoluten Trennung von Kirche und Staat nach französischem Muster. Jedoch schon in den ersten Tagen nach der bolschewistischen Machtübernahme entbrannte ein bitterer und blutiger Kampf gegen die russisch-orthodoxe Kirche.

Peter der Große hatte bekanntlich das Patriarchat in Moskau abgeschafft und an dessen Stelle die Heilige Synode gesetzt, die von einem weltlichen Beamten, dem Oberprokurator, als dem direkten Vertreter des Zaren, präsidiert wurde. Damit wurde die Kirche Rußlands nichts anderes als ein zaristisches Staatsregal. Als der Zar im Februar 1917 gestürzt wurde, mußte sich die russisch-orthodoxe Kirche an seiner Stelle ein neues Oberhaupt setzen. So wurde das Moskauer Patriarchat wiederhergestellt. Der erste Patriarch war Tychon, ein sehr kluger und weltgewandter Mann (war er doch lange Jahre orthodoxer Erzbischof von New York), aber auch ein Mann von großer Energie und hartem Willen. Gleich am nächsten Tage nach dem

Sieg der bolschewistischen Revolution erklärte die russisch-orthodoxe Kirche der neuen Sowjetmacht den Krieg. Das Patriarchat weigerte sich, die bolschewistische Regierung als legales Regime Rußlands anzuerkennen. Beim Sturm auf den Moskauer Kreml sind auch die damals überall über den Toren eingelassenen Ikonen (Heiligenbilder) zerstört worden. Das Erlösertor am Roten Platz galt shon imm#£jalg giljg. Es ift das Haupttor in den Kreml undyj daher £ip$rn besonders intensiven Beschuß ausgesetzt. Trotzdem blieb die an ihm angebrachte Erlöserikone unbeschädigt. Nur ringsherum schlugen die Schüsse ein; “nicht ein einziger traf das Bild selbst. Das Patriarchat erklärte das nun als ein Wunder und ordnete eine große Prozession an. Tatsächlich bewegte sich in Moskau über den Roten Platz eine ungeheure Prozession mit goldenen Kirchenfahnen und Ikonen, die jedoch deutlich als politische Demonstration zu erkennen war. Patriarch Tychon demonstrierte auf diese Weise den Bolschewiken, daß er noch über eine ungeheure Masse von Anhängern verfüge. Dabei ist zu vermerken, daß unter der russischen Geistlichkeit ein wesentlicher Teil schon immer zaristisch gesinnt war. Unter dem Eindruck des Sieges des Bolschewismus und der beginnenden Hetze der antiklerikalen Elemente gingen auch viele liberal denkende Geistliche ins extrem rechte Lager der Zarenanhänger über. Das führte zu furchtbaren, blutigen Verfolgungen, zur Hinrichtung Tausender von Klerikern, zur bestialischen Ermordung durch den aufgeputschten Pöbel. Der Konflikt verschärfte sich, als die Sowjetregierung die Beschlagnahmung aller Kirchenschätze anordnete. Der Patriarch und mit ihm alle Hierarchen lehnten den Vorschlag der Sowjetregierung, gemeinsame Kommissionen zur Ueberwachung der beschlagnahmten Schätze zu bilden, ab. Desgleichen erschien ein Erlaß des Patriarchen, der in schärfster Form der Geistlichkeit untersagte, die Kirchenschätze auszuliefern. Nötigenfalls sollte bewaffneter Widerstand dagegen geleistet werden. Als Folge davon ging eine neue Blutwelle über die russische Geistlichkeit hin. Man sieht, die russische Geistlichkeit hatte durchaus die notwendige Widerstandskraft und wich dem Martyrium nicht aus. Das muß man immer vor Augen behalten, wenn heute behauptet wird, daß sich die russisch-orthodoxe Kirche nur dem Zwang des Sowjetregimes füge.

In der ersten Sowjetverfassung des Jahres 1918 war noch der alte Standpunkt der Sowjets festgehalten, der die, Freiheit der religiösen und der antireligiösen Propaganda gewährleistet. In der nächsten Verfassung des Jahres 1923 hatte der Kampf schon seine Spuren hinterlassen. Wie es noch heute gilt, wurde nur die Freiheit der antireligiösen Propaganda gewährleistet; für die Gläubigen blieb nur noch die Freiheit der Kultusausübung; dagegen ist religiöse Propaganda verboten. Im Zusammenhang damit gelten heute noch, allerdings zum Teil nur theoretisch, folgende Beschränkungen: Religionsunterricht ist nur für Erwachsene gestattet; wirtschaftliche Unternehmungen, und sei es nur die Herstellung von Kultusgegenständen, sind verboten; verboten ist die Aus-steUung religiöser Gegenstände, die Vornahme religiöser Handlungen an jedem öffentlichen Ort; das bedeutet, daß den Geistlichen aller Konfessionen als solchen das Betreten von Spitälern, Kasernen und Gefängnissen heute noch verboten ist; verboten ist natürlich auch jede karitative Tätigkeit und die Bildung entsprechender Vereine.

Es ist jedoch ausdrücklich zu vermerken, daß sich der gesamte Kampf zunächst ausschließlich nur zwischen der neuen Staatsmacht und der russisch-orthodoxen Kirche abspielte. Alle anderen Religionsgemeinschaften blieben beinahe davon unberührt. Sämtliche nichtrussischen Religionen profitierten damals davon, daß sie in der zaristischen Zeit mehr oder weniger verfolgt waren. Der Islam wurde vollständig in Ruhe gelassen. Selbst das Vakuüf-Vermögen und 4er Grundbesitz der Moscheen und Me-dressen (mohammedanischen Schulen) blieben unangetastet. Die Sekten, die in der zaristischen Zeit schweren Verfolgungen ausgesetzt waren, wurden von der neuen Staatsmacht geradezu bevorzugt.

1923, knapp vor seinem Tode, erließ Patriarch Tychon aus der Zelle des Donschen Klosters bei Moskau, in dem er interniert war, sein berühmtes Manifest. Der Patriarch und mit ihm die russische Kirche anerkannten darin die sowjetische Regierung. Patriarch Tychon persönlich zeihte sich der „schweren Sünde“ seiner bisherigen Politik, die ungezählte Todesopfer zur Folge hatte. Die Orthodoxe Kirche anerkannte die Autorität der neuen Regierung und der Patriarch befahl, die Mitglieder der Sowjetregierung in das Kirchengebet einzuschließen. Diesem Manifest waren keine Verhandlungen vorausgegangen. Es wird behauptet, daß die radikale Schwenkung des Patriarchen neben anderen folgende Tatsachen veranlaßt haben: die neue ökonomische Politik (NEP), die Lenin 1922 proklamiert hatte, zeigte die ersten Früchte, nämlich die wirtschaftliche Unabhängigkeit des Dorfes und neue Lebensmöglichkeiten für die Mittelschichten der Stadt, also für jene Bevölkerungselemente, aus denen sich die überwiegende Anhängerschaft der Orthodoxen Kirche zusammensetzte. Damit sah der Patriarch neue Möglichkeiten für die russische Kirche und wollte ihre Aktionsfähigkeit wiederherstellen. Noch entscheidender waren aber gewisse politische Manöver der Sowjetregierung. Die von ihr begünstigten Sekten, vor allem die Baptisten und die Altgläubigen, nahmen der offiziellen Kirche immer mehr Gläubige weg. Diese Tendenzen wurden noch verstärkt durch die Versuche der Gründung einer autokephalen ukrainischen Kirche, womit die gesamte Ukraine der Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats entzogen worden wäre. Am meisten habe, so wurde damals behauptet, auf den Patriarchen die Tatsache gewirkt, daß sich in Moskau eine offizielle päpstliche Mission mit diplomatischen Vorrechten befand. Es handelte sich dabei um eine Hilfsmission des Vatikans für die damaligen Hungergebiete, doch aus Kreisen der Sowjetregierung wurde planmäßig das Gerücht verbreitet, daß der Kreml die Gelegenheit benutzen werde, um weitergehende Verhandlungen mit dem päpstlichen Rom zu führen.

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Nach dem Manifest des Patriarchen trat so etwas wie ein Waffenstillstand zwischen Sowjetregierung und Kirche ein. Doch wurde der Keim zu einer neueren, viel gefährlicheren Kirchenverfolgung gelegt. Nach dem damaligen Religionsgesetz waren die Gotteshäuser sämtlicher Konfessionen zwar Staatseigentum, durften jedoch zu keinen anderen als religiösen Zwecken verwendet werden und mußten an die im Gesetz vorgesehenen Religionsgesellschaften ohne Gegenleistung verpachtet werden. Die Instandhaltung, eventuelle Reparaturen der Gebäude und die Instandhaltung der Kirchengeräte

gingen jedoch auf Kosten der betreffenden Religionsgesellschaften. Um eine solche Religionsgesellschaft zu gründen, mußten sich wenigstens 25 Personen zusammenfinden, die gegenüber der Staatsbehörde die finanziellen Verpflichtungen übernehmen. Dabei aber lehnten die Staatsbehörden die Unterschriften von Arbeitnehmern ab. Sie verlangten „solvente Garanten“. Das bedeutete, daß nur die in der Nepzeit zugelassenen Unternehmer, Händler und Großbauern im Dorfe als solche „Fünfundzwanzig“ zugelassen wurden, was die Geistlichkeit in direkte Abhängigkeit von dieser Bevölkerungsgruppe brachte. Als nun 1929 Stalin die Parole der Liquidierung der Nepleute und Kulaken, das heißt der Großbauern, herausgab, entstand beinahe automatisch eine ungeheure Kirchenverfolgung. Die Geistlichkeit aller Konfessionen wurde beschuldigt, auf der Seite der Ausbeuter zu stehen. Zugleich wurden die Unternehmer und Händler ebenso wie die wohlhabende Bauernschicht enteignet, teilweise getötet, in der Masse aber deportiert. So wurden in der Praxis die meisten Gemeinschaften von selbst aufgelöst.

Das war der Beginn einer ungeheuren und jetzt organisierten Kirchenverfolgung, die auf nichts anderes hinzielte als auf die Liquidierung aller Glaubensbekenntnisse in der Sowjetunion. Es würde zuweit führen, die damals vorgekommenen Einzelheiten zu schildern. Triumphierend meldeten es die Zeitungen aus ganzen Bezirken und Provinzen, daß bei ihnen auch das letzte Gotteshaus liquidiert worden sei. Für unsere Darstellung ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff „Opfer des Zarismus“, der zu Beginn der Revolution vielen Einzelpersonen, Völkerschaften und Religionsgemeinschaften soviel geholfen hatte, nun völlig verschwand. Jetzt waren alle Religionsgemeinschaften, christliche und nichtchristliche, dem Vernichtungssturm preisgegeben.

Der römisch-katholischen Kirche, die ja damals in Rußland nach der Abtrennung Polens und Litauens nur sehr schwach vertreten war, wurde noch besonders zum Vorwurf gemacht, daß sie ein Weltzentrum hat, das sich im „kapitalistischen Ausland“ befindet und als Zentrum des Antikommunismus anzusehen sei. In der damaligen Zeit wurden in Karikatur und im antireligiösen Schrifttum der Katholizismus durch die Jesuiten personifiziert, in jener Form, wie sie übrigens die russisch-orthodoxe Kirche seit jeher praktiziert hatte. Indessen stieß diese spezielle antikatholische Propaganda praktisch ins Leere, da in der damaligen Sowjetunion die Zahl der Katholiken äußerst gering war.

(Dieser Artikel wird in der nächsten Nummer vom Verfasser fortgesetzt.)

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