Orthodoxie - © Imago / Ukrinform    -    Erzbischof Epifanij (Autokephale ukrainisch-orthoxe Kirche, re.), Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk (griech.-kath. Kirche, 2.v.re.)

Auch Griff nach Kiews Kirchen?

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In der Ukraine ringen zwei orthodoxe Kirchen – die autokephalen Ukrainisch-Orthodoxen und die dem Moskauer Patriarchat unterstehenden Orthodoxen – sowie die Griechisch-Katholischen um die Gläubigen. Putins Einmarsch bringt auch die beiden nichtrussischen Kirchen in Gefahr.

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In der Ukraine ringen zwei orthodoxe Kirchen – die autokephalen Ukrainisch-Orthodoxen und die dem Moskauer Patriarchat unterstehenden Orthodoxen – sowie die Griechisch-Katholischen um die Gläubigen. Putins Einmarsch bringt auch die beiden nichtrussischen Kirchen in Gefahr.

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Krieg und Krise in der Ukraine sind nur mit der „Wende“ des europäischen und weltpolitischen Schicksalsjahres 1989 zu vergleichen, urteilt schon jetzt der französische Strategie- und Sicherheitsexperte François Heisbourg in einem Interview mit der führenden griechischen Tageszeitung Kathimerini: Die Ukraine sei nie den Russen richtig durch den damals zusammengebrochenen Eisernen Vorhang entschlüpft. Wladimir Putin hingegen habe von seiner lang unterschätzten stillen Machtergreifung 1999 an auf ein Wieder­erstehen des russischen Imperiums im Geist von Zarismus und orthodoxer Kirchenvormacht hingearbeitet. Heisbourg warnt daher den Westen auch davor,
Putins atomare Drohgebärden auf die leichte Schulter zu nehmen: Der Kremlchef sei genauso unberechenbar und messianisch überdreht wie am Golf die iranischen Ajatollahs mit ihren Nuklearbasteleien.

Inzwischen hat die erste Runde ukrainisch-russischer Verhandlungen auf dem Boden von Belarus nach dem Überfall von Wladimir Putin auf die ehemalige, seit 1991 nie ganz unabhängige Sowjetrepublik klar gezeigt, dass Moskau erneut Kiew zu seinem erklärten Satellitenstaat degradieren will. Das war schon gemeint, als die Russen bei Beginn ihres Angriffs am 24. Fe­bruar von einer Entnazifizierung des Landes am Dnjepr sprachen. Damit hat sich in Russlands postkommunistischer Sprachregelung nichts seit der sowjetischen
Nazi-Jagd von 1944/45 geändert, als alle ­ukrainischen Befürworter staatlicher und kirchlicher Unabhängigkeit vom Kreml unter dem Sammelbegriff „Nationalsozialisten“ verfolgt und liquidiert wurden.

Putins kirchenpolitisches Hauptziel

Dass ein wesentliches Ziel der jetzigen Invasion neben ihren militärischen und politisch-wirtschaftlichen Zielsetzungen auch neue Bevormundung der zwischen 1990 und 2019 frei gewordenen ukrainischen Kirchen durch das Moskauer Patriarchat darstellt, ging schon von Anfang an aus vertraulichen Informationen an das Ökumenische Patriarchat der Orthodoxie in Istanbul sowie – die ukrainische griechisch-katholische Kirche betreffend – an den Vatikan hervor. Erst jetzt hat aber ein Sprecher der moskaufreien „Autokephalen Orthodoxen Kirche der ­Ukraine“ in der ersten Märznummer der Wochenzeitung für die griechische US-Diaspora, Ethnikos Kiryx/National Herald, die russischen Pläne öffentlich aufgedeckt. Erzbischof Efstratij Zora von Tschernihiw (Tschernigow) bezeichnet den neuerlichen Anschluss der autokephalen Orthodoxen Kirche in der Ukra­ine, aber auch der ukrainischen Ostkatholiken – wie das von 1946 bis 1990 der Fall war – als kirchenpolitisches Hauptziel von Putins Expansion in die Ukraine. Er habe zwar nicht vorausgesehen, dass dort sein Einmarsch die bisher noch fast 40-prozentige Anhängerschaft der Moskauer Orthodoxie zusammenschrumpfen lässt, wie das jetzt der Fall ist. Doch auch in den 1950er bis 1980er Jahren sei die damals schon unpopuläre russische Orthodoxie mit Verhaftungen und Straflagern durchgesetzt worden. Dafür gebe es auch jetzt erste Anzeichen. So hätten es Putins Sonderkommandos und Geheimpolizei schon darauf abgesehen, den Oberhirten der autokephalen Kirche, Metropolit Epifanij Dumenko, in ihre Gewalt zu bekommen. Er befinde sich daher an einem geheimen, sicheren Ort.

In diesem Zusammenhang stand am letzten Februarsonntag ein Friedensgebet der russischen Urlauberseelsorge an der türkischen Riviera für das Ende des „Krieges der Ukraine mit Russland“. An die 10.000 Feriengäste, in der Türkei die harte russische Jahreszeit „überwinternde“ Pensionisten und „Soldaten auf Urlaub“, versammelten sich in der Kirche des Moskauer Patriarchats im Badeort Alanya. Bei den militärischen „Urlaubern“ soll es sich um russische Soldaten und Söldner der Oligarchenarmee „Gruppe Wagner“ handeln. Nach ukrainischen Erkenntnissen stehen sie am Mittelmeer in Bereitschaft, um bei einem Kommandounternehmen in Kiew mit Präsident Wladimir Selenski, Metropolit Epifanij und anderen unnachgiebigen Politikern oder Kirchenmännern aufzuräumen.

In seiner von den türkischen Medien weit verbreiteten Predigt bediente sich der Moskauer Touristenseelsorger Dmitri Bogatyr weitgehend der alten russischen Rhetorik aus der Zeit des kommunistischen Friedenskampfes: „Wir laden alle Seiten zum Frieden in diesem Krieg ein. Wir wollen nicht, dass Menschen sterben … Wir glauben, dass wir schließlich Frieden schließen werden, weil wir an den einen Gott glauben.“ Kyrill II., orthodoxer Patriarch von Moskau, ruft in allen Kirchen zum Gebet für den Frieden auf: „Möge Gott uns vor Kriegen bewahren und den Frieden in der Welt erhalten!“, so das russische Kirchenoberhaupt wörtlich.

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