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Die Kirchen in der Sowjetunion

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Ueber das religiöse Leben in der Sowjetunion ist nicht allzuviel bekannt. Auf jeden Fall hat sich die Lage der Kirchen und Religionen in der Sowjetunion, wenigstens soweit sie vom Staate anerkannt sind, stabilisiert. Wenn auch in einem begrenzten Wirkungsraume, hat die Religion jetzt immerhin Lebensmöglichkeiten. Die Geistlichkeit aller Konfessionen ist nicht mehr diskriminiert, der Beruf des Priesters und Geistlichen gilt als intellektueller Beruf und ist auch dementsprechend geschützt. Die materielle Lage der Geistlichkeit ist also relativ gut, um so mehr, als diese Geistlichkeit auch im Nebenberuf Stellungen in Staatsbetrieben bekleiden darf. So sind schon viele russische Dorfgeistliche auch gleichzeitig Buchhalter oder Kanzleibeamte in den Kolchosen. Die Prediger der „Freien Kirchen“, wie etwa der Baptisten, sind beinahe ausnahmlos hauptberuflich Staatsangestellte.

Womit sich die Kirchen und Religionen freilich abfinden müssen, ist das strenge .Gebot, nicht einen Schritt über das rein Religiöse und rein Kirchliche hinauszugehen. Das Gesetz verbietet den Religionsunterricht für Personen, die jünger als 16 Jahre alt sind. Ein geregelter Religionsunterricht für Personen über 16 Jahren ist hier wiederum sehr schwer zu organisieren, da den Kirchen und Religionen jede Art von Vereinstätigkeit außerhalb des rein Kirchlichen und des Gottesdienstes untersagt ist. Darin ist jetzt nur insoweit eine Lockerung eingetreten, daß eine geregelte Tätigkeit der Kirchenchöre wieder möglich ist. Auch das Klosterleben ist wieder legal gestattet.

Das Verbot des Religionsunterrichtes für Minderjährige berührt die russisch-orthodoxe Kirche allerdings nicht tief. Geregelten Religionsunterricht gab es nämlich für den größten Teil der Bevölkerung auch in der zaristischen Zeit nicht. Die allgemeine Schulpflicht ist erst in der sowjetischen Zeit in

Rußland eingeführt worden. Und in der zaristischen Zeit ist gerade für die überwiegende Mehrheit der russisch-orthodoxen Bevölkerung (etwa drei Viertel der Russen waren Analphabeten) äußerhalb der Schule keinerlei Religionsunterricht erteilt worden. Trotzdem hatte jeder Kenntnis von der Religion und wußte eingehend über religiöse Sitten und Gebräuche Bescheid. Es war das russische Leben selbst und das Elternhaus, das die Kinder Religion lehrte. Die Großmütter und Mütter waren die Religionslehrer. So blieb es auch in der sowjetischen Zeit. Schwerer trifft dieses Gesetz schon die anderen Kirchen. Und schließlich muß sich die Geistlichkeit ängstlich von den Schulen, Kasernen und Gefängnissen fernhalten. Trotzdem werden beinahe alle Konfessionen — vor allem die russische prawoslawe Kirche — in der sowjetischen Außenpolitik eingesetzt. Sie nahmen auch alle an der „Friedensbewegung“ teil. Der „Außenminister“ des russischen Patriarchates, Nikolaus, Metropolit von Krutizy und Kolomna (das ist der offizielle Titel des Erzbischofs von Moskau), ist sogar Mitglied des Weltfriedensrates. Bezeichnend ist, daß bestimmte außenpolitische Aufgaben grundsätzlich dem Moskauer Patriarchat anvertraut werden. Wenn es beispielsweise gilt, mit ausländischen Kirchen und Geistlichen in Verbindung zu treten, so ist es immer das russische Patriarchat, das die fremden Gäste einlädt. So war es auch, als anglikanische und andere protestantische Geistliche nach der Sowjetunion cingeladen wurden, obwohl drei Sowjetrepubliken, Lettland, Estland und Finno-Karelien, vorwiegend lutherisch sind, und es in der Sowjetunion zwei lutherische Erzbischöfe gibt. Die protestantischen Kirchen in der Sowjetunion blieben bei diesen Besuchen vollständig im Hintergrund. Es ist bezeichnend, daß der hessische Kirchenpräsident Niemöller vielleicht in aller Stille die evangelische Sankt- Peter-und-Paul-Kirche in Moskau besucht hat, offiziellen Kontakt aber nur mit der Baptistischen Gemeinde in Moskau nahm, deren Gottesdienst er auch offiziell besuchte. Eingeladen aber war er vom Patriarchen Alexius! Neben der russischen Kirche wird noch, vor allem für die arabischen Länder, die mohammedanische Geistlichkeit eingesetzt, damit sie um Sympathien für die Sowjetunion werbe.

Auch innenpolitisch werden die Kirchen und Religionen benützt. Man verlangt von ihnen nicht direkte kommunistische Propaganda, wohl aber „patriotische“. Darunter sind auch Predigten, die zu besserer Arbeitsleistung ermahnen, zu verstehen. Der Sowjetstaat hat als eine Art Gegenleistung die militante antireligiöse Propaganda eingestellt. Die atheistische Propaganda in der Sowjetunion macht sich heute in der Sowjetunion nicht viel mehr als in anderen Ländern bemerkbar. Die gegenwärtige Welle der antireligiösen Propaganda ist eine Routineangelegenheit.

Nach der Verfassung sind. Kirche und Staat getrennt. In Wirklichkeit freilich sind die Religionsgemeinschaften weitgehend vom Staat abhängig. Alle Kirchen, Gotteshäuser und sonstigen von den Religionsgemeinschaften benutzten Gebäude sind Eigentum des Staates, und die Religionsgesellschäften pachten diese Gebäude, zum Teil auch die zum Kultus notwendigen Gegenstände, vom Staat. Eben zur Verwaltung dieses Eigentums gibt es offiziell eine Behörde, die dem Ministerrate untersteht, eine Art „Ministerium der Religionen“. Das „Komitee für Religionsangelegenheiten beim Ministerrate der Sowjetunion“, das eigentlich nur eine Verwaltung der gottesdienstlichen Gebäude und Geräte sein soll, ist in Wirklichkeit ein sehr politisches Ministerium, das die Kirchen und Religionsgemeinschaften politisch überwacht und leitet. Im Grunde genommen ist es aber nur die Verbindungsstelle zwischen den Religionsgemeinschaften und der Partei, die eine Reihe heikler Aufgaben hat: Die Religions- gemeinschaften müssen immerhin so vorsichtig behandelt werden, daß das erreichte „Gleichgewicht“ nicht erschüttert wird. Anderseits muß jeder Versuch von Kirche und Religion, über die Grenzen, welche die Partei gezogen hat, vorzudringen, zurückgewiesen werden.

Die gottesdienstlichen Gebäude sind, wie schon gesagt, nach dem Gesetz Staatseigentum. Allerdings kann, nach dem Wortlaut der Gesetzes, der Staat über diese Gebäude nicht willkürlich verfügen. Sie sind an eine Religionsgemeinschaft zu verpachten. Gebäude der einen Religion dürfen nicht an eine fremde Religionsgemeinschaft verpachtet werden. Bleibt ein gottesdienstliches Gebäude unbenutzt, so ist der Staat verpflichtet, durch Anschlag an der Türe des Gebäudes dieses den Gläubigen anzubieten. Erst wenn sich nach einer bestimmten Zeit kein Pächter meldet, darf der Staat das Gebäude profanen Zwecken zuführen oder abreißen. Die Vergangenheit hat aber gezeigt, daß die Behörden mit diesen Schutzbestimmungen des Gesetzes mit Leichtigkeit fertig werden.

In jeder Beziehung sind die Kirchen- und Religionsgemeinschaften vom Wohlwollen des Staates abhängig. Er gibt die Gebäude, Baumaterialien und Arbeiter, wenn gebaut werden soll, er leiht oder verkauft die Gegenstände des Kultes, er liefert Papier und das sonstige Material für die kirchlichen Publikationen. Vom Meßgewand bis zur Kerze, von der Kirche bis zur Wohnung des Geistlichen, in allem sind die Kirchen- und Religionsgemeinschaften vom Staate abhängig: und über alles das verfügt das „Religionskomitee". Die einzelnen Kirchen und Religionen dürfen jetzt auch Lehranstalten, welche Geistliche heranbilden, unterhalten. Staatliche theologische Lehranstalten gibt es nicht. Die großen Religionsgemeinschaften haben auch das Recht erhalten, je ein periodisches Mitteilungsblatt herauszugeben. In beschränktem Maße dürfen sie auch Bücher, die für den Gottesdienst notwendig sind, verlegen. Das bedeutet jedoch eine neue Abhängigkeit vom Staat. Denn Papier und alles sonstige Material müssen sie vom Staate geliefert bekommen. Oft werden diese Publikationen auch in staatlichen Druckereien hergestellt.

Wenn nach außen hin die Oberhäupter mancher Kirchen die kanonischen Titel wie „Patriarch“ oder „Erzbischof“ führen, so ist ihre wirkliche Stellung nach dem sowjetischen Religionsgesetz juristisch doch eine andere. Das sowjetische Religionsgesetz sieht als Grundlage jeder religiösen Organisation die „Gesellschaft der Gläubigen“ oder eine „Gruppe der Gläubigen“ vor. Eine Gesellschaft der Gläubigen muß gebildet werden, um ein Kultusgebäude vom Staate zu pachten. Die „Gesellschaft der Gläubigen“ muß aus mindestens 25 Personen bestehen, die dem Staat persönlich für die Gebühren haften. Eine solche Gesellschaft erhält dann das Gebäude in dauernde Pacht. „Gruppen der Gläubigen“ können aus nur fünf Personen bestehen. Sie können aber dann für ihre Gottesdienste nur periodisch einen Gebetsraum mieten. Nach dem Religionsgesetz können die Gläubigen „Kongresse“ einberufen für bestimmte Gebiete, für das Gebiet einer Bundesrepublik oder auch für die gesamte Sowjetunion. Jeder solcher „Kongreß“ kann ein ständiges Vollzugskomitee mit einem Vorsitzenden wählen, das zwischen diesen Kongressen die Beschlüsse der Tagung durchzuführen hat. Jedoch muß die Staatsbehörde die Einberufung solcher Kongresse genehmigen. Im Sinne des Gesetzes ist also ein Bischof nichts anderes als der Vorsitzende des Vollzugsausschusses der Gläubigen seiner Diözese und etwa der Patriarch von ganz Rußland, Alexis, der Vorsitzende des Vollzugsausschusses des Kongresses der Gläubigen der russisch-orthodoxen Kirche für die gesamte Sowjetunion. Dieser Vollzugsausschuß heißt nun kirchlich „Heilige Synode“.

Die Jurisdiktion des Patriarchen Alexius erstreckt sich beinahe auf alle pravoslaven Gläubigen, nicht nur auf die Russen, sondern auch auf die Ukrainer, Weißruthenen, die Moldauer und die finnischen Völkerschaften, nicht aber auf die Georgier. Die Ukrainer haben versucht, eine eigene selbständige autokephale Kirche zu schaffen. Ebenso aber, wie der Sowjetstaat zugunsten des Patriarchen in Moskau die dem Papst in Rom unterstehende griechisch-katholische Kirche in Galizien und der Bukowina liquidierte, verhinderte die Sowjetregierung auch die Entstehung einer autokephalen ukraini- nisch-pravoslaven Kirche, in der Besorgnis, daß sie zu einem Bollwerk des ukrainischen Separatismus werden könnte. So ist das Moskauer Patriarchat, das mit Ausnahme Georgiens über die pravoslaven Kirchen der gesamten Sowjetunion herrscht, auch ein wirkungsvolles Instrument in der Hand des Kremls, um den Selbständigkeitswillen der einzelnen Völker unter Kontrolle» zu halten.

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