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Die Entwestlichung Rumäniens

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Für die als Sieger in Rumänien einziehenden Sowjets war es ein besonderer Glücksfall, daß an der Spitze der rumänisch-orthodoxen Staatskirche ein russischen Kultureinflüssen grundsätzlich zugänglicher Mann stand. Der Patriarch Nikodim, vom Erzbischof der Moldau als Nachfolger des noch dem alten österreichisch-ungarischen Kulturkreis entstammenden ersten national- rumänischen Patriarchen Miron Criste a (t 1939) zur obersten kirchlichen Würde des Landes befördert, hatte seine höheren theologischen Studien in Kiew absolviert. Aus dieser Zeit stammte seine Zuneigung zur slawisch-russischen Orthodoxie. Man darf nicht vergessen, daß im Kampf gegen den Halbmond das moldauische Bojarentum nach dem Abfall des Woiwoden Dimitrie Cantemir von seinem türkischen Großherrn zur Zeit Peters des Großen rund zwei Jahrhunderte hindurch grundsätzlich nach Rußland hin orientiert war ...

Seiner Zuneigung hat Patriarch Nikodim durch die Übersetzung und Drucklegung nicht nur Hunderter von russischen Traktätchen und Broschüren, sondern auch ernster theologischer Werke, so der mehrbändigen biblischen Gesdiichte von Lapuchin, Ausdruck verliehen. Durch einen Besuch in Moskau knüpfte er die während der bolschewistischen Kirchenverfolgung zwischen den beiden Weltkriegen gelockerten Verbindungsfäden der rumänischen zur russischen Orthodoxie wieder an und brachte die in der Ostkirche nie verstummte Devise „Ex Oriente lux“ in Rumänien neu zu Ehren.

Als Nikodim, dieser bedeutsame Schrittmacher der Hinwendung zum Osten, im Frühjahr 1948, über 81jährig, starb, konnte seinem Nachfolger, dem jungen und energischen Justinian, mit Hilfe der Besatzungsmacht die volle Umstellung seiner Kirche nach dem Osten unschwer gelingen. Sie begann mit der üblichen „Säuberung“ und „Umschulung“ des orthodoxen Klerus. Sie setzte sich fort in tatkräftiger Schützenhilfe für die Zerstörung der katholischen Schwesterkirche.

Es ist ein nicht nur aus der geschichtlichen Rivalität der schismatischen Kirche gegen Rom verständliches Schauspiel, daß dieser „orthodoxe Materialismus“ in seinem Vor haben der Zerreißung nicht nur mit Hilfe der Druckmittel des volksdemokratischen Staates geschieht. Äußere Handhaben bieten die (auf dem Papier höchst liberalen) Bestimmungen der nach der Vertreibung König Mihais 1948 oktroyierten volksdemokratischen Verfassung, eine ad hoc geschaffene Kultus- und Schulgesetzgebung und die Kündigung des Konkordats mit dem römischen Stuhl. Das den unsichtbaren politischen Lenkern vorschwebende Fernziel, nämlich die Bekämpfung jeder christlichen Glaubenshaltung in allen Erscheinungsformen, wird vorläufig hinter lockenden Nahzielen getarnt. Ein solches ist für Justinian und die Orthodoxie die Rückgewinnung von zwei Millionen uniert-katholischen Rumänen für die Ostkirche; für das politische Regime die Abriegelung des Volkes von allen westlichen Einflüssen, die in großzügiger Weise mit „Kapitalismus“ und „Reaktion“ gleichgesetzt werden. Auf dem im Juni vorigen Jahres abgehaltenen zweiten Großparteitag des PMR (= Par- tidul Muncitoresc Roman, das heißt der kommunistischen Arbeitereinheitspartei Rumäniens) wurde als Staats- und Klassenfeind Nr. 1 die katholische Kirche herausgesetllt und ihr der Kampf bis aufs Messer angesagt.

Betroffen werden, wie in Ungarn, der

Tschechoslowakei, Kroatien und überall dort, wo Volksdemokratien aufgerichtet sind, die Katholiken, neben den römischen die „unierten“, dies sind gerade die volksmäßig ältesten, für uransässig gehaltenen

Elemente des gesamten Rumänentums:

Nord- und Westsiebenbürger,

denen die Nation ihre geistige Auferstehung und ihr völkisches Bewußtsein schuldet. Man wird die innere Erregung, die durch den Kampf um diese Seelen im rumänischen Volk ausgelöst wurde, unter diesen Umständen verstehen. Nach dem Frieden von Passarowitz, durch den Österreich im Jahre 1699 in den Besitz Siebenbürgens gelangte, wurde ein Großteil des schismatischen Rumänentums in Siebenbürgen für eine Union mit Rom gewonnen, eine Entscheidung, die für das Rumänentum von höchster Bedeutung geworden ist. Denn entgegen der slawischen und griechischen geistlichen Ausrichtung der Ostkirche und der damaligen politischen Rechtlosigkeit und kulturellen Rückständigkeit des Rumänentums, wurden die Priester der unierten Kirche in vollwertigen Bildungsanstalten herangezogen (das siebenbürgische Blasendorf als uniertes Bildungszentrum erhielt schon im Jahre 1768 höhere rumänische Schulen, Druckerei, Priesterseminar); die höhere Geistlichkeit empfing ihre Ausbildung im Wiener Augusti- neum und in Rom. Bei den „Unierten“ erwachte der Begriff der rumänischen Latini- tät, und die sogenannte „Siebenbürgische Schule" der rumänischen Literatur steht am Beginn der abendländischen Kulturentwicklung des gesamten Rumänentums.

Es war eine selbstverständliche und natürliche Entwicklung, daß die dem Westen an- geschiossene „unierte Kirche“ ihr geistig und kulturell zu höchsten Leistungen befähigtes, aber in der geschichtlichen Ungunst von Jahrhunderten verkümmertes Volk aus seiner Rückständigkeit erlöste und es jener abendländischen Kulturgemeinschaft zuführte, der es nach Abstammung und Sprache zugehörte.

Diese Entwicklung soll nun rückgängig gemacht werden. Wie die anderen Ostblockstaaten, so roll auch Rumänien dem östlichen Kulturkreis zurückgewonnen werden. Der gegen die unierte Kirche vorgetragene Angriff schien im vergangenen Herbst siegreich zu sein, rechtlich und formal haben die „Unierten“ ihre Existenzgrundlagen damals verloren. Ihre Bischöfe sind abgesetzt, ihre Priester mundtot gemacht oder interniert, ihre Gläubigen in die Listen der Schismatiker eingetragen. Die Frage, wie es im Herzen dieser Menschen aussieht und ob man Seelenfang durch Unterdrückung treiben kann, bleibt offen. Betrachten wir die Lage einmal im Lichte der Zahlen. 12 Millionen Orthodoxen stehen in Rumänien 3 Millionen Katholiken gegenüber (1,2 römisch- katholische, 1,8 unierte). Es hieß, 423 unierte Priester hätten durch 38 Delegierte, die in Cluj zusammenkamen und

— unter polizeilicher Assistenz — in Bukarest anschließend dem Patriarchen Justinian als Bürgen der Sinnesänderung vorgeführt wurden, die „Rückkehr“ ihrer Kirche in den Schoß der Orthodoxie beschlossen. Gesetzt den Fall, die 38 hätten freiwillig und aus Überzeugung gehandelt, so zählt die unierte Kirche doch an die 2500 Priester (der letzte Schematismus wies 2348 nach). Selbst die 423, die niemand gesehen und gezählt hat, wären also nur eine kleine Minderheit. Doch haben sich, wenn die damalige Meldung zutraf, dem Druck im allgemeinen nur niedere Kleriker gebeugt. Die höheren Kirchenführer und Bischöfe mußten suspendiert, verhaftet, abgesetzt, wegen Devisenvergehen (!) unter Anklage gestellt werden: man kennt die Vorwände und Mittel, deren sich „autoritäre“ Staatsführungen nicht allein in Rumänien bedienen!

Man kennt aber letztlich auch die Erfolglosigkeit dieser Eingriffe, soferne sie sich nicht Generationen hindurch auswirken. Aus diesem Grund ist die „Bereinigung“ auf dem kirchlichen Sektor mit einer Reform des Schul- und Erziehungswesens gekoppelt worden, die dem rumänischen Kulturkampf eine außergewöhnliche Schärfe verleiht. In der Tat gab es in den dreißiger Jahren neben 741 öffentlichen höheren Schulen 211 meist von kirchlichen Stellen unterhaltene „Privatschulen“ (im Volkschulunterricht rund 1500 private und konfessionelle Schulen). Sie betreuten rund 35.000 höhere Schüler (die staatlichen Sekundärschulen rund 160.000). Alle diese Schulen sind samt den ihnen angeschlossenen Internaten, Bibliotheken, Lehrmittelsammlungen usw. entschädigungslos enteignet und in Staatsbesitz übergeführt worden.

Hand in Hand damit ging eine Umstellung des gesamten Schulwesens auf das Sowjetsystem: auf der für alle Volksschichten und Kinder verpflichtenden siebenjährigen Grundschule baut ein vierjähriges Fachschulwesen als Mittelschule auf, dessen einzelne Zweige nach Fächern so weit spezialisiert sind, daß die Absolventen zu einer vielleicht gediegenen Fachbildung einen völligen Mangel an Allgemeinbildung (und damit weltanschaulicher Orientierungsfähigkeit) in Kauf nehmen müssen. So gibt es nun Fachschulen für Handel, Verkehr, Verwaltung, Technik, Handwerk, Landwirtschaft usw. in einer in Rumänien nie dagewesenen Zahl. Die „theoretischen

Lyzeen“ hingegen sind bis auf ein Mindestmaß abgebaut worden. Nun werden bereits in die Fachschulen Kinder nichtpröletari- scher Eltern nur zu einem kleinen Prozentsatz aufgenommen. Noch mehr behindert wird ihr Aufsteigen in die sogenannten „Institute“, da sind hochsdiulmäßige Lehranstalten, die aber wiederum nach einzelnen Spezialfächern. auf gegliedert und nur für die Vermittlung von Fachbildung bestimmt sind. Daß den Universitäten, deren Aufgabe die Heranbildung des gelehrten und Forschernachwuchses geblieben ist, nur herkunftsmäßig und weltanschaulich „sicheres" Studentenmaterial zugewiesen, dort aber durch Stipendien und Vergünstigungen sowie marxistisch-leninistisch fundierten Gesinnungsunterricht erst recht nicht zu freien Persönlichkeiten, sondern zu Werkzeugen des Systems herangezogen wird, versteht sich am Rande. Das Entscheidende aber an dieser Schulreform ist, daß sie mit größter Konsequenz auf die Slawisierung des rumänischen, von drei slawischen Nachbarn, östlich, südlich und westlich, begrenzten Volkstums gerichtet ist: in den Volksschulen gibt es von der ersten Klasse an nur mehr russischen Sprachunterricht, keinen rumänischen mehr, und in der Folge nur russisch-bolschewistische Geschichte und Geographie.

Der Kulturkampf in Rumänien läuft auf hohen Touren. So zielbewußt und radikal das Regime durchgreift, indem es sich die anderwärts gesammelten Erfahrungen der Sowjets zunutze macht, und so zwiespältig das Verhalten vieler zu geistiger und geistlicher Führerschaft berufenen Persönlichkeiten und Institutionen auch sein mag: die letzte Entscheidung ist nicht gefallen und ist im Lauf einer Generation auch nicht zu erwarten. Die eigentliche Gefahr liegt weniger in äußeren Gewaltmaßnahmen als in dem eben angedeuteten Verhalten einzelner Quislinge und „Fripturisten“, wie die käuflichen Opportunisten in Rumänien genannt werden. Das rumänische Volk kämpft heute einen stummen Kampf nicht nur um seine Freiheit, sondern um seine nationale Existenz.

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