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Die Kirche der Märtyrer

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Jan Hirka ist das Oberhaupt einer Kirche, die in der vierzigjährigen kommunistischen Unterdrückung in der seinerzeitigen CSSR unendlich viel zu leiden hatte: der griechischkatholischen Kirche, die hauptsächlich in der Ostslowakei (Diözese Presov) vertreten ist. Sie war seit 1950 verboten, wurde während des Prager Frühlings zugelassen, um danach wieder in den Würgegriff des Staates genommen zu werden. Sie war die Untergrundkirche par excellence.

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Jan Hirka ist das Oberhaupt einer Kirche, die in der vierzigjährigen kommunistischen Unterdrückung in der seinerzeitigen CSSR unendlich viel zu leiden hatte: der griechischkatholischen Kirche, die hauptsächlich in der Ostslowakei (Diözese Presov) vertreten ist. Sie war seit 1950 verboten, wurde während des Prager Frühlings zugelassen, um danach wieder in den Würgegriff des Staates genommen zu werden. Sie war die Untergrundkirche par excellence.

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FURCHE: Herr Bischof, die griechisch-katholische Kirche in der Slowakei war in der kommunistischen Ära eine Kirche der Verfolgung und der Märtyrer. Wie ist die heutige Lage?

BISCHOF JAN HIRKA: Es ist einmal erforderlich, hier gründlich darüber zu informieren: Unsere Kirche wurde 1950 verboten, ja die damaligen Machthaber versuchten sie total zu liquidieren. Nachdem man die Union von Ushgorod des Jahres 1583 (mit Rom, Anm.d.Red.) unter Druck aufgehoben hatte, zwang uns der Staat zur Rückkehr zur russischorthodoxen Kirche. Die Gläubigen jedoch und auch die Priester blieben unserer Kirche treu.

Nach dem Prager Frühling von 1968 wurde uns die staatliche Genehmigung, wieder öffentlich wirken zu können, erteilt. Damals ernannte mich der Heilige Vater (Paul VI., Anm.d.Red.) zum Apostolischen Administrator der Diözese Preäov mit den Rechten eines Diözesanbischofs. Die Verhandlungen mit Rom nahmen Zeit in Anspruch und für die Erteilung der Bischofsweihe war die Genehmigung des damaligen tschechoslowakischen Staates erforderlich. Unterdessen änderten sich die politische Konstellationen (Invasion des Warschauer Paktes am 20721. August 1968, Anm.d. Red., Seite 7). Ich blieb in meiner Funktion, aber erst 1989 nach der Wende erhielt ich dann die Bischofsweihe.

Von 1968 bis 1989 erlebten wir schwere Jahre. Alle unsere Pfarrhäuser und Kirchen waren, beziehungsweise blieben seit 1986 unter Verfügung beziehungsweise in Besitz der russischorthodoxen Kirche. Weiterhin standen wir unter einer strengeren Kontrolle des Staates als die anderen Kirchen. Es wurde uns nur eine äußerst bescheidene Anzahl von Theologiestudenten gewährt, durchschnittlich waren es vier pro Studienjahr. Es gab aber Jahre, in denen kein einziger griechisch-katholischer Theologiestudent im Zentralseminar in Bratislava aufgenommen wurde. Es war äußerst schwierig, allen seelsorgerischen Aufgaben nachzukommen, denn wir hatten damals 210 Pfarren zu betreuen; die alten Priester starben und es fehlte an Nachwuchs.

FURCHE: Wie ist Ihre Lage seit der Wende von 1989?

HIRKA: Unsere erste Forderung nach der gesellschaftlichen Wende 1989 war die Rückgabe aller Kirchen und Pfarrhäuser und sonstigen Kirchenvermögens, denn gerade unsere Diözese besaß ein Priesterseminar sowie andere Liegenschaften und Grundstücke. Darauf reagierte die russisch-orthodoxe Kirche in der Slowakei äußerst aggressiv. Sie lehnte schroff das demokratische Gesetz des slowakischen Nationalrates über die Rückgabe des Kircheneigentums ab.

Nach einer alten, nicht mehr aktuellen Statistik zählt unsere Kirche 200.000 Mitglieder, dies entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Es ist ein Faktum in der Ostslowakei, daß viele Menschen es vermeiden, sich öffentlich zur Kirche ihrer Väter zu bekennen, die alten Strukturen sind bei uns noch aktiv. Momentan kämpfen wir um die Rückgabe von 50 Kirchen und Pfarrhäusern, die sich widerrechtlich noch im Besitz der Orthodoxen befinden.

Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich sagen, daß sich heute rund 400.000 Menschen zur griechisch-katholischen Kirche in der Slowakei bekennen. Ich verheimliche auch nicht, daß viele von uns beim lateinischen Ritus blieben, denn sie hatten diesen in den Jahren der Verfolgung angenommen (siehe .Jeder war ein Papst” von Franz Gansrigier, Otto Müller Verlag, Salzburg 1991, mit Aussagen über die Funktion des sogenannten Biritualismus im katholischen Untergrund der seinerzeitigen CSSR).

FURCHE: Wie ist die Jurisdiktion der Diözese Presov heute geregelt?

HIRKA: Seit 1920 erstreckte sich die Jurisdiktion für den griechischkatholischen Ritus - praktisch seit der Gründung der 1. Republik - auf das gesamte Staatsgebiet mit Ausnahme der Karpato-Ukraine. Damals wurde uns in Prag die Kirche des heiligen Klemens übergeben. Mit Ausnahme von Prag war es uns jedoch in der kommunistischen Zeit untersagt - auch nach 1968 - die Jurisdiktion in der

Tschechischen Republik auszuüben. Erst 1990 wurde ein Dekanat in Mähren gegründet, es entstanden wieder griechisch-katholische Pfarren in Liberec (Reichenberg) in Nordböhmen, die bereits seit 1945 existierten, in Pilsen und anderen größeren Städten Nordböhmens. Leider sind wir nicht in der Lage, diese Pfarren zu besetzen. Weitere Neuregelungen hat sich der Heilige Stuhl vorbehalten.

FURCHE: Wie stehen Sie zum Zölibat?

HIRKA: In unserer Ostkirche und nach unserem Ostkirchenrecht ist der Zölibat eine persönliche Entscheidung. Diese Tradition wird respektiert, jedoch achten wir streng darauf, daß die Hälfte der Priester unverheiratet bleibt. Nur aus diesen Kreisen können wir Vorschläge für die Bischofsnachfolge entsprechend dem Kirchenrecht unterbreiten und unsere höheren kirchlichen Ämter besetzen (in den Ostkirchen ist der Zölibat nicht verpflichtend, außer für Mönche und Bischöfe, Anm.d.Red.). In unseren Klöstern ist der Zölibat eine Selbstverständlichkeit. Meine persönliche Meinung: der unverheiratete Priester kann sich voll und ganz der Gemeinde widmen.

FURCHE: Ihre Kirche hat verheiratete Priester aus der tschechischen Untergrundkirche übernommen.

HIRKA: Ja. Hier zeigten wir unseren guten Willen. Es ist eine Tragödie der Untergrundkirche, daß dort verheiratete Priester tätig sind; wie es dazu kam, darüber möchte ich nicht urteilen. Wir übernahmen acht, sie waren theologisch und spirituell zu wenig gebildet und ihnen fehlte die innere Einstellung zur Ostkirche (sie waren im Untergrund ja für die lateinische Kirche geweiht und tätig, der Biritualismus war Tarnung, Anm.d.Red.) Vier verheiratete Männer habe ich dann nochmals zu Priestern geweiht (es handelt sich um die sogenannte Weihe sub conditione, zum Problem siehe .Jeder war ein Papst”, Anm. d.Red.) - unter der Voraussetzung einer theologischen und spirituellen Qualifikation. Heute wirken sie in Böhmen als Biritualisten.

Dies ist auch ein Novum, daß eine kleine Ortskirche wie die unsere der großen Mutterkirche, der Römischen, eine Hilfestellung leistet. Es war immer so, daß Kleriker aus dem lateinischen Ritus zum Ostritus wechselten, es waren überwiegend Ordenspriester.

Alle Schritte waren konkret abgestimmt mit der tschechoslowakischen Bischofskonferenz. Besonders Bischof Karel Otöenasek von König-grätz bemühte sich um eine Lösung des Problems. Ich gehöre dieser Konferenz an.

FURCHE: Die Karpatoukraine war einst Teil des alten tschechoslowakischen Staates. Haben Sie dorthin Kontakte?

HIRKA: Ja, sehr gute. Wir leisten dort seelsorgliche Hilfe soweit es uns möglich ist. Intensive Kontakte mit der ru-thenischen Kirche haben wir jedoch nicht. Wir sind eine „ecclesia sui generis”, nur dem Heiligen Stuhl verpflichtet.

FURCHE: Welche ökumenischen Kontakte pflegt Ihre Kirche?

HIRKA: Die Ökumene mit der russisch-orthodoxen Kirche ist sehr schwer. Sie ist vom Dialog zum Monolog übergegangen. Der Dialog erfordert das Hören des anderen, Respekt vor seiner Meinung und eine sachliche Diskussion. Mit der russisch-orthodoxen Kirche ist das alles leiderunmöglich. Sie fühlt sich als Mutterkirche aller slawischen Ostkirchen.

FURCHE: Ihre Kirche war eine Kirche der Verfolgung, wie gehen Sie mit den Persönlichkeiten der Vergangenheit um?

HIRKA: Für unseren Bischof Goj-dic, der 1956 im Zuchthaus Leopol-dov starb, weil er sich weigerte, die Würde des orthodoxen Patriarchen in der Tschechoslowakei anzunehmen und somit Schismatiker zu werden, und für Weihbischof Vasil Hopko, der 1961 in der Verbannung starb, sind Seligsprechungsprozesse auf Diözesanebene im Laufen. Der Prozeß für Bischof Gojdic ist weit fortgeschritten, sodaß die Akten bald nach Rom gereicht werden können.

Auch unsere benachbarte rutheni-sche Kirche hat ihre Märtyrer. Zwei Bischöfe, einer starb in einem sibirischen Lager, der zweite Bischof Ramscha wurde 1948 vom KGB im Krankenhaus ermordet. Vorher war ein Verkehrsunfall inszeniert worden.

FURCHE: Wie steht es um den Priesternachwuchs in Ihrer Kirche?

HIRKA: Zur Zeit studieren an der griechisch-katholischen Fakultät der Safarik-Universität in Presov 150 Priesteramtskandidaten, des weiteren studieren dort auch 250 Laien, die wir für den Dienst als Katecheten oder für andere kirchliche Dienste vorbereiten; dies ist neu in unserer Kirche, aber es ist eine Forderung, die die Zeit mit sich bringt und der wir uns stellen müssen. In diesem Jahr meldeten sich 37 Priesteramtskandidaten neu zum Studium.

Das Gespräch führte Christian Buck aus Dresden.

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