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Christus in den Katakomben der Ukraine

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Es ist nun schon geraume Zeit her, daß Radio Moskau die triumphierende Nachricht der TASS-Agentur ausgab, „ab 1. Jänner 1948 habe die griechisch-katholische Kirche in der Ukrainischen Sozialistischen Räterepublik formal aufgehört zu existieren, nachdem sie der russischen orthodoxen Kirche einverleibt wurde“. Diese kurze Meldung betrifft eine erschütternde Tragödie, deren Tragweite der christlichen Welt noch nicht völlig zum Bewußtsein kam. Erst in Zusammenhang mit den Wirkungen der kommunistischen Aktion in den anderen Ländern (Kroatien, Ungarn, Rumänien) wendet man gelegentlich den Blick auch nach der Ukraine. Sie war der haltende Stützpfeiler der katholischen Weltkirche im Osten Europas.

Die griechisch-katholische Kirche zählte in der Ukraine ungefähr fünf Millionen Gläubige, die geschlossen in Galizien, Bukowina, Sakarpatja (Karpathenukraine) einschließlich des Prjaschiwgebietes, in der Tschechoslowakei sowie in den Diasporen von Cholm- land, Wolhynien, Pidlascha und anderen Gebieten der Ostukraine siedelte.

Ihre kirchlich-administrative Einteilung umfaßte das Erzbischoftum in Lemberg, Bisthoftümer in Przemysl, Stanislau, Mun- kacz mit dem bischöflichen Sitz in Usch- horod, Prjaschiw, sowie die Apostolischen Administratoren für das Lemkenland. für die nordwestukrainische Provinz und Bukowina.

Auf diesem umfangreichen Gebiet waren über 3600 Weltpriester tätig und daneben drei Orden: der uralte der Basilianer mit

800 Mitgliedern, dann die Studiten und seit 30 Jahren die Redemptoristen. Auch sechs Frauenorden entfalteten ihre rege Tätigkeit, davon die Basilianerinnen, die das katholische Mädchenschulwesen und Kindererziehungswerk mit großem Erfolg aufgebaut haben. Vier Priesterseminare und eine Theologische Akademie sorgten für den Priesternachwuchs. Die hochstehenden katholischen Privatschulen genossen einen ausgezeichneten Ruf. Eine gutfundierte katholische Presse, die schöngeistige und wissenschaftliche Literatur vertieften das religiöse Leben. Kirchliche Gemeinschaften, Kongregationen, Standes- und Berufsvereine faßten zweckmäßig die ukranischen Katholiken zusammen.

Den Ausdruck ihrer tiefen Religiosität gaben die Ukrainer vor diesem Weltkrieg durch imposante Feierlichkeiten kund. Die erste war zu Ehren des 950jährigen Jubiläums der Einführung des Christentums in der Ukraine durdi den heiligen Fürsten Wolodymyr Weläkyj. Das Gedächtnisfest an das Jahr 1037, in welchem sich der ukrainische Staat unter den Schutz seiner himmlischen Königin, der Mutter Gottes stellte, und der Huldigungstag „Die ukrainisdie Jugend dem Christus“. An diesen religiösen Kundgebungen nahmen Hunderttausende von Ukrainern aktiven Anteil, um ihre fromme Gesinnung und Treue zum Heiligen Vater als Oberhaupt der katholischen Kirche zu manifestieren.

Während der ersten sowjetischen Besetzung der Westukraine im Jahre 1939—41 wagten es die Sieger noch nicht, die griechisch-katholische Kirche direkt anzugreifen. Sie versuchten zwar schon, eine von Rom „unabhängige“ Kirche in Galizien zu gründen, aber die Versuche mißlangen. Die unantastbare Autorität des großen Metropoliten Erzbischof A. v. Scheptyzkyj, des geistigen Führers sämtlicher Ukrainer, xtand wie ein Granitfels im Wege. Aus politisch-taktischen Erwägungen hielten damals die Angreifer mit Gewalt noch zurück. Sie beschränkten sich auf Verwaltungsmaßnahmen, schlossen die Priesterseminare und Klöster, verboten die katholische und überhaupt nichtkom- munistische Presse ausnahmslos und beschlagnahmten jegliches Kircheneigentum. Die Pfarrgemeinden belastete man mit schweren Steuern. In vielen Dörfern wurden infolgedessen die Kirchen mit dem höhnischen „Ausdruck des Bedauerns" behördlich versiegelt und als Kultstätte liquidiert, weil die Pfarr-

gemeinden die ihnen auferlegten enormen Steuerlasten (10.000 Rubel und mehr) nicht imstande waren zu entrichten.

Beim Rückzug der Roten Armee aus der Westukraine im Sommer 1941 wurden viele ukrainische Priester von der Sowjetpolizei (NKWD) verschlepp . Einzelne wurden an den Gefängnismauern gekreuzigt aufgefunden.

Noch bevor der zweite Weltkrieg zu Ende ging, ereigneten sich zwei folgenschwere Begebenheiten: die neuerliche Besetzung der westukrainischen Provinzen und der Tod des Erzbischofs A. v. Scheptyzkyj am 1. November 1944 in Lemberg. Der Chef der sowjetukrainischen Regierung, Chruschtschow, hielt beim Begräbnis eine Gedenkrede und pries den Verstorbenen als wahren Freund der Werktätigen. Bald nachher beschimpfte den Toten die bolschewistische Propaganda als „faschistischen Agenten Roms“. Zu seinem Nachfolger wurde Erzbischof Dr. Josef

Slipyj vom Heiligen Vater ernannt. Hatte man gegenüber dem greisen Glaubenshelden kerne Hoffnung gehabt — seinen Nachfolger glaubte man gewinnen zu können. Man lud ihn nach Moskau ein, stellte ihm sogar ein Flugzeug zur Verfügung, um über die „Regelung der gegenseitigen administrativen Beziehungen zwischen Kirche und Staat" Verhandlungen herbeizuführen. In Wirklichkeit mutete man dem Erzbischof Dr. J. Slipyj die Abtrennung der griechisch-katholischen Kirche von Rom zu. Der Versuch ging fehl. Man versuchte es nun von der Seite her bei den anderen westukrainischen Bischöfen und im Klerus. Die ganze ukrainische Priesterschaft blieb unerschrocken Rom treu.

Nun griffen die Sowjetbehörden am 11. April 1945 zu: der Erzbischof Dr. Josef Slipyj sowie die Bischöfe Nykyta Budka, Dr. Grygorij Chomyschyn, Iwan Laty- sebeskyj, Dr. Mykola Tscharnezkyj und später auch die von der polnischen Polizei ausgelieferten Bischöfe Dr. Josefat Kozy- lowskyj und Dr. Grygorij Lakota wurden von der NKWD verhaftet und ins Gefängnis nach Kiew gebracht. Und dann kam die große Verhaftungswelle in der ganzen Westukraine. Hunderte von ukrainischen Priestern und Tausende von Intellektuellen wurden in die Gefängnisse und KZ eingeliefert. Audi sehr viele Bauern, Arbeiter und Handwerker.

Die Vorarbeit war damit getan. Jetzt folgte die stufenweise Verwirklichung des Programms, Orthodoxie an Stelle der mit Rom uniertenKirche zu setzen. Die Kommunistische Partei nahm die

Initiative in ihre Hände. Ihr zur Seite stand der Verwaltungs- und Polizeiapparat. Man gründete am 28. Mai 1945 in der westukrainischen Landeshauptstadt Lemberg ein „Vorbereitungskomitee zur Vereinigung der griechisch-katholischen Kirche mit der orthodoxen". Dem Komitee gehörte kein einziger aktiver Katholik an. Niemand hatte es bevollmächtigt. Von 3600 ukrainischen Priestern haben sich nur drei zu diesem politischen Possenspiel verleiten lassen. Aber auch die drei abtrünnigen Priester (Kostelnyk, Melnyk und P e 1 w e z k y j) waren bloß Statisten. Die wirkliche Führung hatten dazu kommandierte und gut getarnte Kommunisten, die in der Maske biederer Kirchenbeschützer gegen die „römischen Papisten" loszogen und geschickt das Schiff der Gläubigen dem Moskauer sowjethörigen Patriarchen zusteuerten. Das kaum verhohlene Staatsinteresse der Sowjetunion war, ihre Völker innerhalb der orthodoxen Staatskirche hermetisch von der Außenwelt abzuschließen. Diesem politischen Zweck mußte als erste in Europa die katholische Kirche in der Ukraine zum Opfer fallen.

Die achtunggebietende Protestkundgebung am 5. Juli 1945 der 300 Delegierten des ukrainischen Klerus in dem St.-Jurij- Dom in Lemberg gegen die Umtriebe des genannten Vorbereitungskomitees hatte zwar die Katholiken seelisch gestärkt, doch alle Mittel der Regierungsgewalt setzten jetzt mechanisch ein, um alle Merkmale der Eigenständigkeit der unierten Kirche zu vernichten. Das usurpatorische Vorbereitungskomitee wurde von der sowjetischen Regierung als offizielles Organ mit administrativen Befugnissen über Kirchengüter und Klöster sowie mit der Jurisdiktion über alle griechisch- katholischen Pfarreien in der Westukraine eingerichtet und sanktioniert.

Im dritten Punkt des Dekrets vom 18. Juni 1945 trug der Vorstand des Amtes für die Angelegenheit der russischen orthodoxen Kirche beim Präsidium des Ministerrates der Sowjetukraine dem Vorbereitungskomitee auf:

„Die Verzeichnisse der Dechanten, Pfarrer und Klosteroberen, welche die Jurisdiktion des Vorbereitungskomitees zur Vereinigung der griechisch-katholischen Kirche mit der russischorthodoxen Kirche ablehnen, sind diesem Amt vorzulegen.“

Diese vielsagende Klausel war das Signal zu Denunziationen und persönlichen Verfolgungen am laufenden Band. Eine ohrenbetäubende Hetz- und Verleumdungskam pagne gegen den Heiligen Stuhl, gegen die ukrainischen Bischöfe und gegen unbeugsame Priester hub an. Man bezeiebnete sie als „Volksfeinde“ im Dienste des faschistischen Auslandes. Der russische orthodoxe Patriarch Alexe j in Moskau hielt in einem Aufruf an die griechisch-katholischen Ukrainer es nicht unter seiner Würde, den verstorbenen Erzbischof Andrej v. Scheptyzkyj und selbst den Papst Pius XII. als „Agenten des Faschismus“ anzugreifen. Lo 6ung war die „nationale Kirche“ in Gestalt der „slawischen Orthodoxie“.

Den Feldzug krönte am 6. März -1946 eine nach Lemberg einberufene „Synode“; anwesend waren genau 216 Personen. Das Präsidium bildeten die drei genannten abtrünnigen Priester. Diese vön der Kommunistischen Partei improvisierte Synode, selbstverständlich ohne Anwesenheit eines einzigen Bischofs, proklamierte „die Wiedervereinigung der griechisch- katholischen Kirche mit der russischen orthodoxen Kirche“ und bat die Staatsführung, diesen Anschluß zu genehmigen.

Alsbald kam nach Lemberg der sowjet- russische orthodoxe Bischof M a k a r i j und mit Assistenz der NKWD bemächtigte er sich der erzbischöflichen Kathedrale und Residenz. Die zwei abtrünnigen Priester Melnyk und Pelwezkyj wurden für ihre Verdienste im „Vorbereitungskomitee“ vom Moskauer Patriarchen Alexij zu „Bischöfen" ernannt. Für den dritten. Kostelnyk, war kein Bischofstuhl mehr übrig geblieben. Der Unzufriedene, unbequem Gewordene wurde drei Jahre später „liquidiert".

Jetzt begann die rege Tätigkeit der neuen „H i e r a r c h i e“. Mit Hilfe der NKWD entrollte sich ein Kesseltreiben gegen die katholischen Priester. Man sparte nicht an Betrug und Erpressung. Die ukrainischen Priester wurden einzeln zu den sowjetischen Polizeikommissaren vorgeladen. Man gab jedem einen Fragebogen zur Unterschrift. Auszufüllen waren die bloßen Personaldaten, unter sie hatte jeder die Unterschrift zu setzen. In Abwesenheit des Unterschriebenen wurde dann zwischen Text und Unterschrift ein kurzer Satz eingefügt. Er lautete: „Ich schließe mich der russischen orthodoxen Kirche an." Mit dieser simplen Fälschung bereicherte man die Liste der zur Orthodoxie Bekehrten. Das genügte. Berufungen wurden nicht zugelassen.

Wer von den Priestern sich trotzdem als katholischer Seelsorger offen bekundete, dem wurde das Betreten der Kirche polizeilich verboten. Wenn er außerhalb des Gotteshauses seine seelsorgliche Tätigkeit weiter fortsetzte, wurde er ve-haftet. Die Zahl der ukrainischen Priester, die so in die Konzentrationslager kamen, wuchs im Laufe der Jahre 1946 und 1947 so schnell, daß die Sowjetbehörden Sonder-KZ-Lager für die Priester in Horodok bei Lemberg, Sambor, Lauriw und Krechiew (Krakau) errichteten. Sie wurden einer äußerst strengen Umerziehung unterworfen, mit schwersten Arbeiten, Hungerrationen, und grausamer Behandlung bedacht. Auch diese Erziehungsmittel haben sich als ergebnislos erwiesen — von den 3600 sind bloß 42 schwach geworden und haben sich schließlich als Orthodoxe erklärt. Viele kamen zu Zwangsarbeit ten nach dem arktischen Norden Rußlands und nach Sibirien usw. Von dort geht der Weg nur in die Ewigkeit.

Die Ordenspriester und Ordensschwestern wurden fast ausnahmslos deportiert, weil sie besonders gefährlich für die Bolschewiken erschienen. Die Klöster und Klosterkirchen in großen Wallfahrtsorten werden bis in die letzte Zeit dem Erdboden gleichgemacht, wie es zuletzt in Hoschiw geschah.

Mit härtesten Mitteln wurde die Bevölkerung zur Orthodoxie gezwungen. Die Familien, die den Glaubensübertritt ablehnep, werden auseinandergerissen und getrennt in die Verbannung geschickt; ihre Kinder kommen in die kommunistischen Erziehungsanstalten. Es ereignen sich blutige Dramen, wie zum Beispiel im Bezirk R o h a t y n, wo der Dorfpfarrer Tetisch- tschuk gemeinsam mit dreißig angesehenen Bauern von der NKWD auf der Stelle erschossen wurde, weil alle sich weigerten, sich zur Orthodoxie zu bekennen.

Ein zweiter Aufsatz, die heroische bisherige Geschichte der unierten Kirche der Ukrainer abschließend, folgt.

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