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Zwei Monate nach Wyszyriski

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Wie wenig auch die Warschauer Machthaber vom Westen wissen wollen, sie wenden dennoch im Kampf gegen die Katholische Kirche die Methode der sogenannten schottischen Dusche an, bald warm, bald kalt. Oder, wenn man den Vergleich vorzieht, sie verabreichen abwechselnd Zucker und Peitschenhiebe. Wobei die Dosierung von Süßigkeit und bitteren Schlägen etwa in dem Quantitätsverhältnis steht, wie in der Anekdote vom Fabrikanten der Lerchenpastete., der sein Produkt als wohlfeiles Mischerzeugnis rühmt, halb und halb, je ein Pferd, eine Lerche...

Zuckerbrot: dem Bischof von Wtoctawek, Msgr. Pawtowski, ist zwei Jahre nach seiner Ernennung durch den Heiligen Vater endlich erlaubt worden, seinen feierlichen Einzug zu halten und die Verwaltung der Diözese zu übernehmen. Diese Episode hat übrigens Anlaß zu einem tragikomischen Mißverständnis geboten. Die in katholischen Dingen begreiflicherweise nicht sehr versierte Zeitung „Zycie Warszawy“ vermengte miteinander Wtoctawek und Wroclaw (der polnische Name für Breslau) und berichtete von der Ernennung eines Bischofs von Breslau-Wroclaw. Angelsächsische Korrespondenten, die noch weniger Bescheid wußten, kombinierten daraus einen neuen Anschlag auf die Kirche. Als ob man nicht an wirklichen Uebergriffen der marxistischen Machthaber Polens gerade genug hätte! Es hieß also, die Regierung habe eigenmächtig einen Oberhirten der . schlesischen Diözese ernannt, während es sich in Wahrheit diesmal um eine winzige Konzession handelte, daß der vom Papst designierte Bischof von Wtoctawek sein Amt ausüben konnte. Niemand hatte so nebenbei bedacht, daß Breslau kein Bistum, sondern ein Erzbistum sei...

Ins Kapitel des Zuckerbrots gehören ferner: ein Empfang der drei Delegierten des Episkopats, der Bischöfe Klepacz von Lodz, Zakrzenski von • Plock und Choromanski, Sekretär der Hierarchie, durch den Ministerpräsidenten Bierut, bei welchem Anlaß an die Prälaten beschwichtigende Zusicherungen gegeben wurden, ferner die offiziös inspirierte Hüsterpropaganda im Lande selbst und jenseits der Grenzen, wonach die polnische Regierung nur gegen ihren Willen, unter heftigstem Druck Moskaus einen Schritt getan habe, dem sie lange Zeit widerstrebte, endlich die Erlaubnis an Publizisten der mit dem Regime Hand in Hand gehenden Gruppe des „Dzis i Jutro“, in Artikeln ihrer Zeitungen und Wochenblätter ausdrücklich den Gehorsam an den Papst in religiösen Dingen zu betonen, dabei sogar leise gegen die maßlosen kommunistischen Verdächtigungen zu protestieren und vor allem die Absicht nach Errichtung einer schismatischen Nationalkirche scharf abzuleugnen. (Bezeichnend dafür der im „Dzis i Jutro“ vom 15. November erschienene Artikel des führenden Ideologen der „fortschrittlichen Katholiken“ Wojciech Ketrzynski).

Gegenüber den bisher erwähnten kleinen Aufmerksamkeiten, durch die Polens Katholiken über das Wesentliche des in unverminderter Härte fortdauernden Kulturkampfes hinweggetäuscht werden sollen, sind die weiteren Symptome des schweren staatlichen Drucks zu verzeichnen, der auf der Kirche lastet. Man kennt jetzt alle Einzelheiten der denkwürdigen fünf Tage zwischen dem 24. und dem 29. September, während deren sich die Tragödie um den Primas abspielte. Den Auftakt hat ein nun bekannt gewordenes Schreiben des Kardinals an Bierut geboten, das am 24. September gegen die haltlosen Verdächtigungen und gegen die zügellosen Angriffe des Staatsanwalts im Prozeß gegen Bischof Kaczmarek von Kielce protestierte. Das Oberhaupt der polnischen Hierarchie stellte in diesem Brief insbesondere fest, daß die Anklagen gegen ihn und seine Mitbrüder, sie seien schlechte Patrioten und sie seien der Regierung bei deren Kampf um die Oder-Neiße-Grenze in den Rücken gefallen, der Wahrheit ins Gesicht schlagen; daß dieser Tatbestand den Warschauer Macht-habcrn bekannt ist und daß diese bewußt lügen, wenn sie in einer Haßkampagne, für die Wyszynski mehr die marxistische Grundhaltung als deren ihr sklavisch ergebenen Vertreter verantwortlich macht, das Gegenteil des wirklichen Ablaufs der Dinge behaupten. Der Primas erinnert daran, daß er selbst in einer Unterredung mit Bierut, um die Maimitte 1951, nach der Rückkehr aus Rom, dem damaligen Staatspräsidenten mitgeteilt habe, der Papst sei bereit, für die Vielaus den von Deutschland abgetrennten Dekanaten der Breslauer Erzdiözese gebildeten Diözesen Breslau, Oppeln, Alienstein und Landsberg Bischöfe zu ernennen, die nach einem völkerrechtlichen Friedensschluß, freilich nur dann, als regelrechte Oberhäupter neuzuerrichtender Diözesen fungiert hätten, woferne und insoweit die betreffenden Gebiete endgültig polnisch blieben. Diese weitgehende Konzession, die zugleich dartut, wie wenig der Heilige Stuhl polenfeindlich ist, wurde in Warschau sorgsam der Ocffentlich-keit verschwiegen. Dagegen ernannte die Regierung, beziehungsweise sie ließ durch die eingeschüchterten Kapitel wählen, Kapitel-vikare, denen Wyszynski des lieben Friedens halber nachträglich die kanonische Investitur gewährte. Außer der Klarlegung dieses Geschehens enthielt der Brief Wyszvnskis noch die überzeugende Aufzählung der Verstöße des weltlichen Arms gegen den Modus vivendi vom April 1950 und eine Versicherung der nationalen Gesinnung, des Willens zur Mitarbeit am Aufbau seitens des Episkopats. Beides war den kommunistischen Staatslenkern gleich unangenehm. So kam es zur Verhaftung, zur Absetzung und Internierung Wyszynskis, dann zu einem bewegten Gespräch zwischen Cyrankiewicz und den drei führenden Bischöfen Klepacz, Zakrzewski, Choromanski, zur Tagung des Episkopats am 28. September und zu dessen eigenartig stilisierten, ihm aufgezwungenen Erklärung.

Da dieses Dokument infolge seines wenig kirchlichen Stils in der Oeffentlichkeit mit größtem Mißtrauen aufgenommen wurde, drängte Cyrankiewicz den Bischöfen eine nochmalige, kürzere Deklaration auf, die diesmal im echten Kurialstil abgefaßt war. Darin heißt es: „Der polnische Episkopat ist nach allseitiger Erwägung der gegebenen Lage zur Folgerung gelangt, man müsse gewisse Richtlinien für die ferneren Beziehungen zwischen Staat und Kirche aufstellen. Zu diesem Zweck veröffentlichte der Episkopit eine Erklärung, die zusammen mit einer Erklärung der Regierung über die Normalisierung der Beziehungen auf Grund des Modus vivendi den inneren Frieden zum Ziel hat, der unserem Vaterland so sehr nottut. Deshalb müssen sich Geistlichkeit und Gläubige von den Richtlinien des polnischen Episkopats leiten lassen. Der Episkopat lädt die Gläubigen zum Gebet auf die Meinung der Kirche, ihrer Hierarchie und der Polnischen Volksrepublik ein.“ Diese Deklaration ist auf Weisung der Bischofskonferenz, unterschrieben von Bischof Choromanski, am 4. Oktober von allen Kanzeln Polens verlesen worden. Gleichzeitig erteilte der Episkopat dem Klerus den Auftrag: „Allen Versuchen entgegenzuwirken, die Unruhe säen, dabei das gemeinsame Wohl der Kirche und des Staates bedrohen; sodann im Geiste der Verständigung, der Erklärung des Episkopats und der Regierung die Lage zu erläutern“.

Einige Tage gab es nun Entspannung. Doch schon am 16. Oktober druckte das Regierungsorgan „Trybuna Ludu“ vierzehn Spalten einer Anklage wider Kardinal Wyszynski: „Die Tatsachen mögen sprechen“. Die Kommission geistlicher und weltlicher Aktivisten bei der „Nationalen Front“, die sielt als katholisch, bezeichnete, setzte ihre Agitation im Lande fort. Ueberau wurden Versammlungen veranstaltet, zu denen man Priester und Laien trieb. Nach heftigen Attacken gegen die reaktionären Bischöfe und die ähnlich gesinnten Geistlichen niederen Ranges wurden die obligaten Entschließungen einstimmig genehmigt, die der Regierung Vertrauen und Anhänglichkeit ausdrückten. In den Zeitungen waren Erklärungen von Katholiken zu lesen, und zwar am laufenden Band; darin entrüsteten sich so kompetente, allseits unterrichtete Sachkundige der Theologie und der

Weltpolitik wie Arbeiter, Mittelbauern, doch auch der ausgezeichnete Historiker Universitätsprofessor Gieysztor, Aerzte, „fortschrittliche“ Pfarrer über den Vatikan und die bisherige falsche Haltung des Episkopats; alle geben pflichtschuldig der Zuversicht Raum, daß fortab die Bischöfe brav sein und nicht mit den amerikanisch-westdeutschen Satanen Pakte eingehen würden. Worauf dann, Anfang November, wieder ein Ordinarius, Msgr. Zink von Allcnstein, durch die Geheimpolizei abgeholt und eingesperrt wurde. Nach der Gleichschaltung des letzten wirklich katholischen Organs, des „Tygodnik Pow-szechny“ im Juli 1953, gibt es keine nicht-kollaboricrende Presse mehr. Man hat die Kirche mundtot gemacht, ihr die Hände gebunden, doch Herz und Hirn sind nicht so leicht zum Schweigen zu bringen.

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