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Kulturkampf in Polen?

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Seit dem fast drei Jahre zurückliegenden Oktoberumbruch ist in Polen manches von den damaligen Zugeständnissen verwässert worden; ihr Wesentliches aber blieb erhalten. Diese beiden unbestreitbaren Tatsachen bilden den Schlüssel zum Verständnis der heutigen inneren Situation Polens. Seine auswärtige läßt sich ohne welterschütternde Katastrophen nicht ändern: die Volksdemokratie, die mit friedlichen Mitteln nicht zu beseitigen ist, muß im sowjetischen Bannkreis verharren. Wider derlei Verhängnis mit, notwendigerweise untauglichen Mitteln anzukämpfen, hieße jene heroischen Torheiten erneuern, die im 19. und 20. Jahrhundert dem polnischen Volk zwar die Rolle eines Winkelried der Nationen, ja die eines leidenden Messias zugedacht haben, zugleich aber Unheil und Verderben gesät und kostbarste Werte vergeudet haben.

Gegen derlei Romantik wenden sich die beiden Hauptströmungen des heutigen Katholizismus in Polen; eine mit der Hierarchie im Einklang befindliche, deren führende Laien den „Tygodnik Powszechny" und die Monatsschrift „Znak“ als Sprachrohr besitzen — eine Tageszeitung ist ihnen, trotz grundsätzlicher Zusage und langen Pourparlers nicht zugebilligt worden —, und eine zweite, die sich offen und eindeutig sozialistisch neikit, ein weitverbreitetes Tagblatt „Slowo Powaszechne“ und eine, allerdings auf einen engeren Leserkreis der Gebildeten beschränkte Wochenschrift „Kierunki“ veröffentlicht. Die vom Episkopat bevorzugte Gruppe des „Znak“ verfügt über fast alle Sejm-Mandate, die vom Regime bei der Wahl vom Winter 1957 den Katholiken auf der Einheitsliste gewährt worden sind. Sie hat deutlich die entschiedene Mehrheit der Inteligencja hinter sich. Die andere Gruppe aber, geschart um den Verlag „Pax" samt den ihm angegliederten einträglichen Unternehmungen, erfreut sich der Gunst der kommunistischen Partei. Sie zwingt, ohne irgendwelche polizeiliche oder moralische Druckmittel, die katholischen Schriftsteller, ja sogar die Geistlichen, die etWa'i iMfte Bibelübersetzung, ein für eine zahlreiche Leserschaft berechnetes theologisches Werk publizieren wollen, sich an die „Pax" zu halten, weil nur dieser Verlag die Mittel zum Druck und zur wirksamen Verbreitung eines Buches sein eigen nennt. Die privilegierte Stellung der „Pax“ ist den Bischöfen sehr unangenehm; sie haben vergebens getrachtet, nach dem Oktober 1956 dagegen anzukämpfen. Heute sitzen die „sozialfortschrittlichen Katholiken" fester im Sattel denn je. Ihr Führer, der organisatorisch hochbegabte, herrische und, nach „faschistischen“ Anfängen, vor 1939 nun fanatisch dem Sozialismus (lies: Kommunismus) ergebene Piasecki wurde geraume Zeit hindurch von Gomulka übel angesehen, der sich zunächst lieber mit der Hierarchie, voran dem Primas, verständigte. In den letzten Monaten aber ist es Piasecki dank seinen Freunden in der kommunistischen Partei gelungen, direkten Zugang zu Gomulka zu finden. Ein langes Gespräch, daß der „Pax“- Gewaltige vor etwas über einen Monat mit Gomulka hatte, wurde in Warschau zwar offiziell nicht gemeldet, doch allen Eingeweihten bekannt und als Auftakt zu einer völligen Koordinierung des Verhaltens der „fortschrittlichen Katholiken“ mit Gomulka betrachtet.

Wären es nun einzig diese Kollaboranten, die sich, wie in Piaseckis neuem Werk „Polnischer Patriotismus“, für die Außenpolitik der heutigen polnischen Volksdemokratie und für Zusammenarbeit auch im Innern einsetzten, dann dürfte man von Verrat an der wahren Meinung der katholischen Volksmehrheit sprechen. Nun ist aber auch der „Znak“, zweifellos unter Zustimmung Kardinal Wyszynskis, für eine umgrenzte Koöperation mit den jetzt Herrschenden hervorgetreten. In einem Leitartikel des dem Primas nahestehenden „Tygodnik Powszechny vom 21. Juni schreibt Professor Stomma, der Führer des „Znak im Warschauer Reichstag, unter anderem: für immer größere Massen der Nation ist eine falsche romantische Politik zur psychologischen Unmöglichkeit geworden. „Der Schatten Winkelrieds“ ist in Polen vom politischen Horizont verschwunden. „Wir stellen mit aller Entschiedenheit fest, daß eine Politik der Verschärfung innerer Konflikte den nationalen Interessen zuwiderläuft und daß sie auf weitere Zukunft sich vom katholischen Standpunkt aus als selbstmörderisch erweisen muß. Das Wohl der Nation erfordert möglichste Milderung der inneren Gegensätze. In dieser Auffassung trachten wir ein die Zusammenstöße milderndes Element zu sein. Dieser Versuch, Extremes auszuscheiden und einen Modus vivendi zwischen Menschen von einander verschiedener Ueberzeugungen zu schaffen, das stellt ein spezifisch polnisches Experiment dar.“ Stomma leugnet keineswegs den „unbestreitbaren ideologischen Widerspruch zwischen Kommunismus und Katholizismus", bestreitet jedoch, daß daraus ein politischer Konflikt entstehen müsse. Gegenüber der Behauptung, die Hoffnung auf Entspannung und auf Duldung des Katholizismus in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung sei utopisch, und eine versöhnlerische Haltung entwaffne die Katholiken seelisch, unter Verringerung der Widerstandskraft im Angesicht der kommunistischen Offensive, gegenüber dieser außerhalb der Sowjeteinflußzone weitverbreiteten Ansicht, erklären die Männer vom „Znak“ — wir betonen: in klarer Uebereinstimmung mit dem polnischen Episkopat —: „Wir haben die drückenden Erfahrungen der verflossenen Jahre des sogenannten .Personenkults“ (des Stalinismus) hinter uns, und auch jetzt fehlt es nicht an Schwierigkeiten. Trotz allem hat die Verständigungspolitik manche beträchtliche Errungenschaft zu buchen." Mehr zu erreichen, sei im Hinblick auf die für absehbare Zeit unabänderlichen Gegebenheiten nicht möglich. „Die Leute wollen leben, ihre Existenz verbessern. Dazu brauchen sie eine reale und schöpferische Konzeption. Dieser Gedanke eines vernünftigen Kompromisses ist von mehreren Seiten her torpediert worden; er bleibt dennoch der einzig logische.“

Wir haben diese autoritative Stimme des längeren zitiert, weil sie die Ansichten korrigiert, die — im Zusammenhang mit den, von Stomma zart „Schwierigkeiten“ geheißenen Vorstößen rabiat antiklerikaler Sphären — westlich der polnischen Grenzen über die derzeitige Lage der Kirche Polens herrschen. Der politische Berater des Primas gießt besänftigend Oel auf die hochgehenden Wogen. Der Kardinal selbst darf es sich leisten, die „Schwierigkeiten“ beim rechten (oder linken) Namen zu nennen. Er hat es in seiner Fronleichnamspredigt kräftig getan und widerwärtiger. Schikanen, hingewiesen„ das Warschauer „Aufklärer“ geboten haben. Man entsinnt sich der umfänglicheren Bosheit, die im Verweigern der Radioübertragung der Predigt des Erzbischofs lag.

Daß der Primas bei aller Versöhnlichkeit sehr energisch die Sache der Kirche verteidigt, weckt begreiflicherweise den grimmigen Zorn der Antiklerikalen jeder Abschattung; wie man schon öfter beobachten konnte, vielleicht noch mehr den der sonst „liberalen“ Intellektuellen, die gemeinhin des Revisionismus verdächtig sind, als den des kommunistischen Parteivolks. Darüber geben ein paar Fakten genügend zu denken. Bei einer Enquete, die von einer kommunistischen Wochenschrift veranstaltet wurde, erscheint der Priester mitten unter den geachtet- sten Berufen, hinter den Hochschulprofessoren, den Aerzten, den Facharbeitern, weit vor den Offizieren oder den Staatsbeamten und schon gar den Parteifunktionären. Man findet, daß er entsprechend bezahlt werden soll, während die Leute des „Apparats“ als überzahlt bezeichnet werden. Als die verbreitete Wochenschrift „Przekröj“ — übrigens eine der besten ihrer Art, die Zeugnis vom hohen Grad des polnischen Zeitungswesens inmitten der sonstigen publizistischen Wüste der Volksdemokratien gibt — einen Aufsatz über die im „Who’s Who?"erwähnten berühmten Polen brachte und dabei — versehentlich? — den Namen Kardinal WyszyAskis fortließ, regnete es Proteste und die Redaktion entschuldigte sich für die, wie sie selbst sagte, „gaffe“. Die Kirchen sind voll von Gläubigen (und Halbgläubigen, die durch ihre Anwesenheit sich vom Kommunismus distanzieren wollen). Außerhalb des engsten Führergremiums der PZPR ereignet es sich fast nie, daß jemand zivil begraben wird oder seine Kinder nicht in den Religionsunterricht schickt.

Vergebens sind die Zeitungsattacken, von der parteioffiziösen „Trybuna Ludu“ bis zum liberalisierenden „Zycie Warszawy“, die Angriffe auf Primas und Episkopat Vergebens dürfte auch der Wunsch sei, den der Vorsitzende des kollektiven Staatsoberhauptes Zawadzki an die bei ihm zur Audienz erschienenen Vorstandsmitglieder der polnischen Gottlosenbewegung gerichtet hat, sie mögen Erfolg haben. Weder ist der polnische Katholizismus zu erschüttern noch wird er sich in einen — zweifellos von der Mehrheit auch der polnischen Kommunistenpartei nicht gesuchten — Konflikt hineinmanövrieren lassen: die größte Errungenschaft des Oktober 1956 ist nach wie vor unangetastet.

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