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Polen poliert für Johannes Paul

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Bleibt Religion auch im Licht von „glasnost“ das große Schreckgespenst für kommunistische Ideologen? Diese Frage begleitet die dritte Polenreise des Papstes.

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Bleibt Religion auch im Licht von „glasnost“ das große Schreckgespenst für kommunistische Ideologen? Diese Frage begleitet die dritte Polenreise des Papstes.

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Seine Worte waren nicht in den Wind gesprochen; auch Stürme, die darauf folgten, haben ihren Sinn nicht verweht: Ein „Akt des Mutes beider Seiten“ , unerläßlich für die Annäherung der Systeme, sei seine Reise gewesen — so hatte Johannes Paul II. sich selbst und seinen kommunistischen Gastgebern bescheinigt, als er 1979 seine Heimat zum erstenmal besuchte.

Damals schien er noch fast berauscht vom messianischen Selbstgefühl, der erste „Slawe und Pole als Papst“ zu sein. Vier Jahre später vermochte er angesichts der verwelkten Solidar- nošč-Hoffnungen, die ohne ihn nie aufgeblüht wären, kaum mehr als den Trost eines „moralischen Sieges“ zu hinterlassen.

Und jetzt? Wenn er am Pfingstmontag seine dritte Polen-Reise beginnt, will er seinen Landsleuten vor allem Moral und Nüchternheit - in jedem Sinne - predigen; aber auch Wege zur Verständigung ebnen, auf denen sich kirchliche, zumal vatikanische Ostdiplomatie immer schon behutsam bewegte. Dabei kommt ihm etwas zugute, was heute einen „Akt des Mutes“ weniger riskant als vor acht Jahren erscheinen läßt:

Auch die regierenden Atheisten des Sowjetimperiums, die er 1979 ungewollt das Gruseln lehrte

(„Der slawische Papst enthüllt die geistige Einheit Europas … “, schwärmte er damals), beginnen nüchterner zu werden. Noch ist sehr ungewiß, ob sich im Licht von Michail Gorbatschows „glasnost“ auch das Schreckgespenst auflöst, das kommunistische Ideologen in jeglicher Religion zu erkennen meinen.

Jedes Anzeichen einer Besinnung oder gar Wende wird im Vatikan sorgsam registriert. Und eines der seltsamsten war wohl die Entdeckungsreise, die ein Sonderkorrespondent der Moskauer „Literaturnaja Gazeta“ nicht auf den Mond, sondern - nach Polen unternahm. Wie aus allen gottlosen Wolken gefallen, schilderte er am 4. Februar zum erstenmal, was einen scheinbar ahnungslosen Sowjetmenschen bei der Fahrt über die Grenze am Bug erwartet: „Ich bin in ein katholisches Land gekommen. Polen ist ein sozialistisches Land, gleichzeitig eines der katholischsten dieser Erde.“

Nicht nur Kirchtürme in jedem Dorf und die Bibel im Hotel- Nachttisch fand er vor, sondern einen freundlichen Kardinal-Primas Josef Glemp, „den Millionen Polen für ihren geistlichen Vater halten“ . Der gab dem Moskauer Journalisten sogar ein langes Interview, und es wurde gedruckt, obschon da nicht nur von Frieden und Abrüstung die Rede war, sondern auch von der Quelle eines christlichen Optimismus: „Wir glauben, daß Gott die Welt führt.“ Anlaß für ironische Fragezeichen? Keineswegs. Die Leser der „Literaturnaja Gazeta“ erfuhren, daß 82 Prozent aller Polen gläubig sind und dennoch „überhaupt nicht fanatisch“ , daß die Mehrheit auch nicht auf Konflikte mit dem Regime erpicht ist - so belehrte der Oberst Stanislaw Kwi- atkowski vom Warschauer Meinungsforschungs-Institut seinen sowjetischen Besucher. Sogar ein „beträchtlicher Teil“ der Parteimitglieder sei gläubig.

Die genaue Zahl (52 Prozent) ersparte der sowjetische Korrespondent seinen Lesern; ohnehin sei das alles „unbegreiflich’ und paradox“ für jeden, der einmal gelernt habe, daß Religiosität nur Ausdruck von Rückständigkeit sei. „Und hier bezeichnen sich sogar Kommunisten als Gläubige! Aber in Polen ist das die Wirklichkeit, mit der man rechnen muß. Es bedarf dazu jenes neuen politischen Denkens, zu dem wir auch andere einladen möchten.“

Sogar Sowjetdiplomaten von Rang, die in Rom Kontakte zum Vatikan pflegen, zeigten sich über den Artikel verblüfft - als ob sie nicht nur mit einer neuen Betrachtungsweise, sondern mit bislang unbekannten Fakten konfrontiert worden wären. Nun müßte ihnen die dritte Polenreise des Papstes erst recht unfromme Schauer über den Rücken jagen. Doch gelassener als früher sehen sie dem Ereignis entgegen - ebenso wie die Warschauer Führung.

Diese hatte 1983 wie 1979 noch Bedenken, den Pontifex nach Lublin, 70 Kilometer nahe an die sowjetische Grenze fahren zu lassen; jetzt wird er in dieser Stadt mit der einzigen katholischen Universität Osteuropas drei Ansprachen halten, von denen auch Signalwirkungen nach Osten ausgehen könnten — falls eine „Enthüllung“ wie die der „Literaturnaja Gazeta“ mehr als nur journalistischer Einfall war.

Kleine Gesten, die wachsendes Interesse Moskaus am Vatikan zu verraten scheinen, sollte man allerdings nicht überschätzen — so am 10. März die Sonderaudienz, die der Papst (wie schon vor zwei Jahren) Moskauer Zirkus-Artisten gab oder den Besuch prominenter sowjetischer Journalisten im Vatikan, mit denen der Papst am 19. April ohne dialektische Akrobatik über Tolstoj und Dostojewski plauderte. „So haben wir ihn uns nicht vorgestellt“ , ließen sie später verlauten. Ohne

Folgen blieb bislang eine Ankündigung des sowjetischen Botschafters in Italien, der Ende April Kardinal Agostino Casaroli aufsuchte: ein vatikanischer Diplomat könnte bald nach Moskau reisen, um zum sowjetischen Kultusamt Arbeitskontakte aufzunehmen. Mehr Gewicht haben Nachrichten von der Freilassung einiger der in sowjetische Straflager verbannten religiösen Bürgerrechtler und Priester - so jüngst auch eines Polen, des katholischen Pfarrers von Nowosibirsk.

In Polen scheinen nach der eher problemlosen Einigung über den Papstbesuch verkrampfte Zweifel darüber aufzutreten, wie es zwischen Kirche und Staat weitergehen soll. Wieder einmal stockt die Arbeit am nahezu vollendeten Rechtsstatut der Kirche und anderen Problemen. Kurz vor dem Besuch des Papstes hat man den bisherigen Kirchenminister Adam Lopatka durch einen Funk-

tionär ersetzt, dem der Ruf eines „militanten Atheisten“ vorausgeht: Wladyslaw Loranc. Dieser leitete bislang die ideologische Abteilung des Zentralkomitees, die gleichzeitig aufgelöst wurde.

„Glasnost“ auf polnisch?

Polens Krise, längst mehr eine seelische als politisch-wirtschaftliche, zeigt heute mehr chronische als akute Symptome. Auch diesmal wird der Papst am Krankenbett seiner Nation keine Wunder wirken können. Doch wenn er ihr und ihren Regierenden wiederum glaubhaft macht, daß religiöse „Medizin“ nicht nur romantisch betäubt, sondern moralischpraktisch zu aktivieren vermag, dann könnte das heute mehr denn je über Polen hinauswirken: nämlich Parteiideologen und Polizisten des Sowjetimperiums Mut zu der Einsicht machen, daß sie von Gott, seinen Popen, Pastoren und Päpsten, nichts, jedenfalls viel weniger zu befürchten haben als von ihren eigenen Torheiten.

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