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Gegner und Partner

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Kaum mehr als ein Jahr war vergangen, seit sich Papst Johannes Paul II. auf seinem Triumphzug durch Polen als „slawischer Papst" als Sprecher der „oft vergessenen Völker des Ostens" und der „geistigen Einheit Europas" dem Bewußtsein von Millionen eingeprägt hatte. Und eben daran erinnerte Kardinal-Primas Wyschinski, als er am 15. August vor Hunderttausenden in Tschenstochau predigte:

Während sich die Streikwellen schon den Fundamenten des Regimes näherten, forderte der Primas die Gläubigen auf, für die Freiheit und nationale Selbstbestimmung „aller slawischen Länder" zu beten - auch jener Russen, gegen deren Rote Armee sich Polen vor genau sechzig Jahren in letzter Stunde behauptet hatte.

Jenem „Wunder an der Weichsel", an das Wyschinski erinnerte, war freilich 1920 eine mißlungene militärische Intervention Polens in der Ukraine und in Weißrußland vorausgegangen - auch eine Art „brüderliche Hilfe", die damals Lenins Revolution eindämmen sollte.

Selbst der wählerische Umgang mit derlei geschichtlichen Erinnerungen vermindert nicht ihre aktuelle politische Sprengkraft. Die polnische Kirche hat es jedoch immer verstanden, den nationalen Gefühlswert solcher historischen Bezüge nicht nur zu kultivieren, sondern zugleich für einen ernüchternden Realismus fruchtbar zu machen.

Als 1956 und wieder 1970 der Machtwechsel in der kommunistischen Führungsspitze die einzige Alternative zum Zusammenbruch des Regimes und zur sowjetischen Intervention geworden war, hat die Kirche beide Male die Rettung des ungeliebten Regimes begünstigt und sich eben damit auch als nationale Führungskraft behauptet.

Dazu gehörte stets eine doppelte Strategie: die Stimme zu erheben und in den entscheidenden Augenblicken zu schweigen; oppositioneller Stachel zu sein, aber sich immer auch als Partner bereit zu halten.

So hat sich Papst Wojtyla 1979 in Polen nicht gescheut, die Kommunisten mit einer national-messianisch getönten christlichen Herausforderung zu konfrontieren, sie aber auch zugleich freundlich und dialogbereit als gottgegebene Obrigkeit zu legitimieren.

Während Wyschinski jetzt, wie immer in der Stunde der Gefahr, zum eigentlichen Sprecher der Nation wurde, indem er missionarisch die Geschichte beschwor, versuchte er zugleich die politische Brisanz der Krise herunterzuspielen.

Sobald sich jedoch Anfang letzter Woche herausstellte, daß es der Hunger auch nach politischer Freiheit war, der die Streikenden zu immer weitergehenden Forderungen trieb, schwieg Wyschinski ebenso wie der Papst vorerst beharrlich. Nicht nur, weil nun jedes Wort, zumal ein polnisches aus Rom, Unberechenbares auslösen konnte, sondern weil es nun galt, die Kraft solcher Worte für berechenbare Schärfen und Momente zu sparen.

Abgewogen und behutsam waren die Worte der polnischen Kirchenführung und des Papstes denn auch, als sie sich am Wochenende schließlich doch zu Wort meldeten: Nachdem der Danzi-ger Bischof Lech Kaczmarek den Primas über die Lage im Streikzentrum an der Ostsee-Küste unterrichtet hatte, wurde in Warschau eine Stellungnahme veröffentlicht, in der die Kirche zwar Verständnis für die Streikenden äußerte, gleichzeitig aber zur Mäßigung aufforderte.

Und in einem Brief des Papstes an den polnischen Primas, der am 24. August auch den Streikenden vorgelesen wurde, hieß es: „Ich bete, daß der pol-

nische Episkopat... auch diesmal imstande ist, dieser Nation zu helfen im schweren Kampf ums tägliche Brot, um soziale Gerechtigkeit und Sicherung ihres unantastbaren Rechtes auf eigenes Leben und eigene Entwicklung."

Der Augenblick macht deutlich, wie der katholischen Kirche in einem Land des Sowjetblocks eine politische Schlüsselfunktion zugewachsen ist, die in keiner freiheitlichen Demokratie denkbar oder gar wünschbar wäre, aber auch einem so „unklerikal" gesinnten Papst wie Johannes Paul 11. keineswegs normal erscheint.

Um wieviel unerträglicher müßte dieser Zustand für überzeugte Kommunisten sein - es sei denn, sie sind nur noch patriotische (oder zynische) Verwalter einer Konkursmasse. Dann verblaßt der ideologische Monopolanspruch, aller Atheismus und Anti-Klerikalismus, ja sogar das ohnehin nicht ganz echte Bekenntnis zur Trennung von Kirche und Staat, neben der Entschlossenheit, zu überleben. Da mag dann die Drohung des „Großen Bruders" der Kompromißbereitschaft zu Systemreformen Grenzen setzen, wie Edward Gierek in seinem Fernsehappell vom 18. August zugab, doch in der Not geht man „beten":

Von den Nichtkommunisten und Katholiken erwarte er eine „breitere Beteiligung am politischen Leben", sage Gierek - als Ob es je an der Neigung der Gläubigen gelegen hätte, einen voll gleichberechtigten Platz im öffentlichen Leben des Landes zu finden.

Seit zehn Jahren gebe es doch ein „Klima der Toleranz" in dem sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche „günstig entwickelten", gab der Parteichef zu bedenken - als ob dieses tolerantere Klima das Ergebnis einer klaren kirchenpolitischen Konzeption gewesen wäre und nicht Ausdruck einer Schwäche und Orientierungsstörung, in der die polnische Parteiführung nur klug genug blieb, biegsam zu manövrieren und von Fall zu Fall zu improvisieren.

Die Schwäche ist systembedingt. „Analphabeten müssen diktieren", formulierte der Satiriker Lee - „wenn sie es können", wäre zu ergänzen. Wenn eine Diktatur aber so schlecht und so menschlich in jedem Sinne funktioniert wie die polnische, ist sie um so mehr auf gewisse Spielregeln angewiesen. Diese auf kirchenpolitischem Gebiet zu formulieren, bestand eine Chance, nach dem auch in den Augen Moskaus reibungslos verlaufenen Polenbesuch des Papstes.

Was aber ist seitdem geschehen? Einzelne Konfliktherde wie etwa der Streit um einen Straßenbau im Wallfahrtsort Tschenstochau wurden bereinigt, einige Wünsche erfüllt wie der Neubau eines Warschauer Priesterseminars und die Aufnahme des Klerus in die Sozialversicherung. Andere Forderungen wie die nach Zugang zu den staatlichen Massenmedien oder nach Auflagenerhöhung katholischer Zeitungen sind abgelehnt oder verschleppt. Zuweilen wird ein Problem nach diskreter Bitte „unseres Papstes" plötzlich gelöst.

Selbst ein wortreiches Telegramm Giereks zum 60. Geburtstag des Papstes im Mai wurde zur Klimaverbesserung genutzt: Es gebe eine „erhebliche Annäherung der Gedanken und Aktivitäten".

Gewiß, viele Drähte spielen zwischen Rom und Warschau - kirchliche, staatliche, private, touristische. Nur diplomatisch normalisieren will man sie nicht. Und schon gar nicht will Warschau ernsthaft über das reden, was bei allen Polenreisen des päpstlichen Son-der-Nuntius Poggy an erster Stelle der Tagesordnung stand: der rechtliche Status der Kirche.

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