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Arzneien für das „kr anke tterland"

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Polens ranghöchste Bischöfe und der Papst suchten letzte Woche in Rom nach Auswegen aus der Krise in ihrer Heimat. Ihr Rezept: eine Wiederbelebung der „Solidarität".

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Polens ranghöchste Bischöfe und der Papst suchten letzte Woche in Rom nach Auswegen aus der Krise in ihrer Heimat. Ihr Rezept: eine Wiederbelebung der „Solidarität".

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Nicht aus dem Fenster des Vatikan sprach Polens Stimme am letzten Sonntag, auch nicht mit jenem verzweifelten Aufschrei, den der Papst zuletzt im Gedanken an seine ferne Heimat nicht mehr unterdrücken konnte. Jetzt, nach Tagen genauer Information und gründlicher Erwägung, ließ er das Wort zunächst dem Warschauer Primas zu einem neuen, wohlabgewogenen Versöhnungsappell.

Erst am Dienstag letzter Woche setzte er sich dann selbst, mit der Autorität seines Amtes, für jenen Ausweg aus Polens Krise ein, der

seit zwei Monaten oft postuliert, doch selten konkretisiert worden war: eine Lösung mit Hilfe der legalen, auf Politik ,4m Sinne politischer Machtambitionen" verzichtenden Gewerkschaft Soli-darnoii, die „noch immer eine echte, von den Staatsorganen anerkannte und bestätigte Vertretung der Arbeiter ist".

Ein utopischer Vorstoß? Entstanden nur aus der gleichzeitigen Begegnung des Papstes mit polnischen Bischöfen und mit zwölf Gewerkschaftsführern, die letzten Herbst am Danziger Solidar-nosc'-Kongreß teilgenommen hatten? Wohl nicht nur der Zufall führte dabei Regie; auch die kleinste Chance für eine solche Lösung hängt davon ab, ob sich der Teufelskreis von Haß und Unterdrückung in Polen noch durchbrechen läßt.

Und Polens Primas Jozef Glemp war es, der dazu in Rom einen bedeutsamen Anlauf nahm.

„Unser Vaterland ist krank", diagnostizierte Erzbischof

Glemp. Nicht ein einziges Mal erhob er die Stimme, während er hinter dem Altar von St. Stanislaw, der Nationalkirche in Rom, seine Predigt vom handgeschriebenen Manuskript las. Und doch war es, als hörte man aus dem so unscheinbar wirkenden Primas die Stimme und den Geist seines großen Vorgängers Kardinal Wys-zynski sprechen, der stets vom Kämpfer zum Moderator geworden war, wenn die Ohnmacht des Gegners in schiere Ubermacht umzuschlagen drohte - wie es am 13. Dezember 1981 in Polen geschah.

Nach zwei Monaten Kriegsrecht, die das Land krank machten, „beherrscht vom Zorn", wagte es Glemp, das Übel gleichsam zu sezieren, es aus dem Freund-Feind- und Schwarz-Weiß-Schema herauszulösen und mit dem Propheten Jeremias (5,28) allen Seiten zuzurufen:

„Sie wetteifern im Unrecht... Abscheu und Schrecken herrschen im Lande, die Propheten lügen. Die Priester lehren auf eigene Faust, und den Leuten gefällt es. Aber was werdet ihr tun, wenn das Ende kommt?" Im aktuellen Klartext: „Die anfangs genau gezogene Grenze zwischen .ihnen4, die Unrecht tun, und ,uns', die Unrecht leiden, beginnt sich zu verzerren, sie geht durch die Menschen, auch die einfachen Gläubigen, die einander anklagen, sich in Mißtrauen vermauern... Vergel-tungs- und Rachsucht entsteht..

Doch Glemp scheute sich auch nicht, das Übel, seine Proportionen aus einer weltweiten Sicht bewußt zu realisieren: Auch anderswo gebe es kranke Nationen, sei es aus Gewinnsucht und Konsumgier, sei es, weil Haß auch Mordlust erzeuge. Wie in El Salvador: Dort seien 35.000 Menschen getötet worden, während die sieben toten Bergarbeiter in Schlesien ein schmerzlicher „Einzelfall" gewesen seien.

Dann die Warnung, nach innen wie außen gerichtet: Niemand darf unseren Zorn anstacheln, manövrieren, manipulieren... Eineinhalb Jahre lang haben wir ihn beherrschen können, und wir werden seine Ursachen im Dialog klären, Polen darf keine blutige Arena werden..."

Wie aber kann die Kirche das Stimmungsbarometer verändern? Im Vatikan hatte man aus unterschiedlichen Nuancen in den Predigten Glemps, des Krakauer Kardinals Macharski und der gemeinsamen Hirtenbriefe „gewisse Unklarheiten der Linie" entnommen. Die Bischöfe wissen jedoch, daß sie mehr denn je mit einer einziqen Stimme reden müssen — auch in Rom.

Verschieden getönte Äußerungen waren in den letzten Wochen nur deshalb zu hören, weil jeder Appell die Gefahr in sich birgt, das kirchliche Prestige im Volk oder aber die kirchliche Existenz im Staat aufs Spiel zu setzen.

Selbst ein so angesehener Verteidiger von Solidarnosc und persönlicher Freund des Papstes wie der Krakauer Professor Jozef Tyszner, der in einem Predigt-

zyklus den Haß zu dämpfen versucht, fand jetzt seine Haustür beschmiert: „Tyszner ruft zur Feigheit auf."

Primas Glemp, der am 24. Jänner den Priestern die Teilnahme an den vom Militärrat geförderten zivilen „Komitees der nationalen Rettung" untersagte, sie den Laien jedoch freistellte, bekam empörte Proteste zu hören.

Während Glemp mit der großen Mehrheit der Bischöfe überzeugt ist, daß westliche Wirtschaftssanktionen Polen nur tiefer in die Misere und in die Arme der Sowjets stoßen, aber auch (wie die gemeinsame Kommission von Staat und Kirche am 18. Jänner feststellte) eine Rückkehr zum Reformkurs erschweren, brodelt in der Bevölkerung eine selbstaufopfernde Kamikazestimmung und die trügerische Hoffnung, Reagans „Amerika" werde das unverbesserliche Regime endlich ganz aus den Angeln heben.

Ruf in die Wüste

In dieser Atmosphäre, die dem General Jaruzelski keinerlei Chance läßt, seiner politischen Sackgasse zu entkommen, aber seine innerparteilichen Konkurrenten in ihrer Scharfmacherei bestärkt, hat Glemp jetzt eine behutsame Korrektur seiner Lageeinschätzung vorgenommen:

Er hat erkannt, daß die Aufhebung des Kriegsrechts und die Freüassung der Internierten erst die Folge, nicht die Voraussetzung eines Abbaus der Haßgefühle sein kann. Daher will er die Kirche - „deren Aufgabe nicht die Politik ist" — auf ihrem ureigensten Feld wirksam werden lassen, nämlich „die Gewissen zu bilden" im Sinne des schwierigsten aller, christlichen Moralgebote: die Feinde zu lieben.

Glemp zögerte nicht, die praktischen Konsequenzen bis zu jenem Punkt zu ziehen, wo eine schlichte Moral in handfeste Politik umzusetzen wäre: „Wir dürfen uns keinem vorgefaßten Schema verschreiben: Es gibt keine ganz guten oder ganz schlechten Menschen. Also kann man von der Kirche nicht verlangen, daß sie verurteilt. In Polen muß ein Friede auf dieser Basis des Evangeliums herrschen. In solchem Vaterland findet sich Platz für die Kirche, für die Solidarnoic, für

selbstverwaltete Gewerkschaften, denn das alles hängt von uns ab, von unserer christlichen Haltung ..."

Ist das mehr als ein Ruf in jene Wüste, auf deren Sand die Warschauer Generäle kommunistische Kartenhäuser bauen müssen? Sie wissen, daß sie ohne oder gar gegen die Kirche noch hilfloser wären, nicht zuletzt auch, weil deren Einfluß selbst in die Armee reicht.

Derlei knüpft unsichtbare Fäden über die offiziellen Barrikaden. Kann der Glaube aber auch die Berge von Bitterkeit versetzen oder neue Einsichten wecken bei den Männern von Solidarnoiö, die jetzt verfemt in Lagern oder im Untergrund vegetieren?

Papst und Episkopat halten daran fest, daß ohne autonome Gewerkschaft kein Ausweg zu finden ist; und intern geben das auch die Militärs zu. Unglaubwürdige Partner, die sie gewinnen könnten, nützen nichts; unverbrauchte und glaubwürdige wären nur um einen Preis zu haben, der ihnen zu riskant erscheint.

Doch der Papst, der zusammen mit den zwölf europäischen Gewerkschaftern auch den in Rom gebliebenen Soltdarnoid-Funk-tionär Cywinski empfing, bietet eine loyale Gewerkschaft als Partner an und machte sich selbst gleichsam zum Garanten eines neuen Kompromisses. Der müßte sich auf jene Grundsätze stützen, die Kardinal Wyszynski am 10. November 1980 Lech Walesa und seinen Freunden vergebens eingeschärft hatte: „Obwohl ihr manchen politischen Versuchungen unterliegt, denkt daran, daß eure eigentliche Aufgabe eine gewerkschaftlich-soziale ist... das wichtigste ist, die Nation und die Familien zu retten—im gegenwärtigen System."

Wenn überhaupt, so könnte Glemps römischer Appell dazu eine Möglichkeit öffnen.

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