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Kein Ersate-König

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Polens Primas Jözef Glemp hat viele Kritiker. Hierein Porträt des umstrittenen Kirchenfürsten und ein Interview, das Hansjakob Stehle mit dem Kardinal nach dessen Rückkehr von einer Südamerika-Reise in Rom führte.

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Polens Primas Jözef Glemp hat viele Kritiker. Hierein Porträt des umstrittenen Kirchenfürsten und ein Interview, das Hansjakob Stehle mit dem Kardinal nach dessen Rückkehr von einer Südamerika-Reise in Rom führte.

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Er ist kein Kirchenfürst wie jene, die mit unnahbarer Würde aus alten Rahmen blicken. Kein Inquisitor und kein Patriarch. Seine Rede ist nicht ausgewogen wie die eines Diplomaten. Sein Lachen, das — zumal in ernsten Augenblicken — mißverstanden werden kann, ist oft mechanischer Reflex von Sorge und Verlegenheit, manchmal auch Schutz vor zudringlichen Fragen. Es bietet, wie die ganze äußere Erscheinung, ein Bild von Jözef Glemp, das nicht dem majestätischen Image eines Primas von Polen zu entsprechen scheint.

Und dies erschwert das Amt, setzt ihn kritischen, oft hämischen Bemerkungen aus, die hinter vorgehaltener Hand von polnischen Pfarrersküchen bis in vatikanische Amtsstuben und, unverhohlen, vom Warschauer Parteiblatt bis in die Pariser Emigranten-Zeitschriften weitergegeben werden.

Und doch ist es eben dieser scheinbar unscheinbare Mann, der seit bald drei dramatischen Jahren in Polen den wichtigsten (weü unprätentiösen) Faktor der letzten noch möglichen Balance verkörpert: zwischen sinnloser Rebellion und hoffnungsloser Resignation. Hinter sich hat er heute den Papst, der noch letzten Sommer während seiner Polen-Reise wenig tat, um Glemp den Rücken zu stärken.

Dann aber, nachdem er selbst mit dem ohnmächtig herrschenden General geredet hatte, begann er zu verstehen, was Glemp in bislang acht viel stündigen, sehr unsystematischen, aber menschlichen Gesprächen mit Jaruzelski zustandegebracht — und verhindert — hat. Seither schweigt Johannes Paul II. zur Lage in seiner Heimat.

Zu einer Ersatz-Königsrolle, die in Polens Geschichte zuweilen bedeutsam war und in der viele Intellektuelle auch heute den Primas sehen wollen, eignet sich weder Glemp noch die Lage des Landes. Und nicht nur, wie manche meinen, weil Glemp nicht in die Fußstapfen seines Vorgängers Wyszynski treten kann. Auch wenn diese nicht zu groß für ihn wären, Glemp müßte doch mit eigenen Schritten weitergehen — so wie es auch Wyszynski selbst tat, als er 1948 das Amt des Primas übernahm und 1950 gegen größte Bedenken der meisten Polen, auch vieler Bischöfe, ja des Vatikans, eine Verständigung mit dem (damals sogar stalinistischen) Regime zustande brachte.

Sie scheiterte zeitweilig immer wieder, doch ihre Grundlinie einer „gegenseitigen Sicherheitsgarantie" (Wyszynski) blieb die eines jeden nationalen wie kirchlichen Uberlebens. Dies ist das Vermächtnis, dem sich Jözef Glemp um so mehr verpflichtet weiß, als ihn Wyszynski selbst zum Nachfolger herangebildet und dem Papst empfohlen hat.

Zwölf Jahre lang konnte Glemp im Sekretariat des Primas unmittelbar die kirchendiplomatische Kunst Wyszynskis beobachten — aber auch erlernen? Der Primas pflegte niemanden als „Kronprinzen" zu behandeln. Aber es entging ihm wohl nicht, daß Glemps Eigenart, diese Mischung aus nüchterner Klugheit und leutseliger Frische, eine „Modernität" darstellte.

Empfand es Wyszynski nicht als störend, daß Glemp schon damals weit weniger als er selbst national-religiös gestimmt war? Kirchenpolitisch war das nur von relativer Bedeutung, denn „die Kirche hat keine politischen Ambitionen, ihre Rolle im politischen Leben der Nation ergibt sich nur aus der Lage des Landes, falls die Staatsmacht keine gemeinsame Sprache mit der Gesellschaft findet ... ", so sagt Glemp selbst, ganz im Geiste seines Vorgängers.

Eben diese Lage aber hat sich, anders als Wyszynski hoffte, seit Glemps Amtsantritt nur zugespitzt, nicht entspannt. Sie hat bei den meisten Polen, zumindest unbewußt, das Bedürfnis nach „visionären" Antworten der Kirche, 'nicht nach pragmatisch-politischen verstärkt.

Der Papst kann es aus der Ferne kaum befriedigen. Er tut sich aber auch schwer mit Glemp, der schon im April 1982 das Thesenpapier seines Laienrates vergebens mit dem Grundsatz empfahl: „Pri-mum vivere, deinde philosophari — zuerst die Existenz, dann erst die Schaffung des Uberbaus und der Streit um die Einzelheiten", wie Glemp übersetzte. Nicht nur in jenen „Details" steckt freilich in Polen der Teufel, mehr noch in der Versuchung, sich aus der Misere durch utopisches „Philosophieren" zu retten. Und eben dazu würden sich viele Polen als Primas eine Sakralfigur wünschen, die Glemp weder darstellen kann noch will.

Hat er aber so unrecht? Was ihm dabei als Schwäche angekreidet wird, könnte sogar zur Stärke werden, wenn große Teile der katholischen Intelligenz, von Krakau bis Danzig, nicht nur still naserümpfend beiseite stehen, sondern mit ihrem Primas gehen, sich von ihm führen lassen — und ihn führen würden. Einen Chomeini kann sich Polen ohnehin weder wünschen noch leisten.

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