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Wem gehört Auschwitz?

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Der Streit um die Verlegung des Karmels von Auschwitz eskaliert. Unsensible Wortmeldungen polnischer Bischöfe erschweren eine Lösung. Der katholisch-jüdische Dialog stagniert.

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Der Streit um die Verlegung des Karmels von Auschwitz eskaliert. Unsensible Wortmeldungen polnischer Bischöfe erschweren eine Lösung. Der katholisch-jüdische Dialog stagniert.

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Wessen Holokaust?“ fragt das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ in seiner neuesten Ausgabe vom 11. September und setzt sich mit der „bitteren Debatte“ um das Karmehterinnen-Kloster in einem ehemaligen Lagergeb äude des Konzentrationslagers Auschwitz auseinander.

Und der Londoner „Economist“ wandelt eine Vater-unser-Bitte „Leadusnotinto temptation“ (führe uns nicht in Versuchving) in „Lead us not into Glemptation“ ab. Die Zeitschrift schießt sich auf den polnischen Primas Jozef Glemp ein, der am 26. August Vor hunderttausend Gläubigen in Tschenstochau „die Juden“ gebeten hatte, mit Polen in der Angelegenheit der AuschwitzNonnen „nicht von der Warte eines über alle Nationen stehenden Volkes zu verhandeln“.

Glemp hatte den Juden, die die vereinbarte Absiedlung des Karmels vom Auschwitz-Gelände fordern, vor Augen gestellt, daß sie mit ihrem apodiktischen Verlangen die Gefühle aller Polen verletzten, desgleichen „unsere hart errungene Souveränität“. Schließlich hatte er - Grund eines globalen Aufschreis des Entsetzens - die Juden aufgefordert, ihre mediale Macht nicht zur Verbreitung eines „Anti-Polo-nismus“ (FURCHE 35/1989, Seite 1) zu nutzen: „Laßt uns unterscheiden zwischen Auschwitz, wo hauptsächlich Polen und andere Leute umgekommen sind, und Birkenau, einige Kilometer entfernt, wo in erster Linie Juden ermordet wurden...Wenn es keinen Anti-Po-lonismus gibt, wird es bei uns auch keinen Antisemitismus geben.“

Besonders der letzte Satz, als eine Art Drohung interpretiert, hat zu einer hitzigen Auseinandersetzung um die Frage geführt, ob und in welchem Ausmaß Polen noch von antisemitischen Tendenzen geprägt ist, und ob vor allem die katholische Kirche noch immer von diesem Virus befallen sei, die im Dekret „Nostra Aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils „Haßausbrüchen, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus eine unmißverständliche Absage erteilt hatte. Zumindest gespalten sei die katholische Kirche heute in dieser Angelegenheit, war die Antwort von „Le Monde“ in einem Leitartikel dieser Tage.

Längst hat der Streit um die Verlegung des Karmel-Klosters in Auschwitz die Form einer Nagelprobe für das katholisch-jüdische Verhältnis angenommen. Aussagen nach der Holzhammermethode werfen den katholisch-jüdischen Dialog, der vor allem von Johannes Paul II. forciert wird, um Jahre zurück. Die Ernsthaftigkeit dieses Gesprächs seitens der katholischen Kirche wird wieder in Frage gestellt. Mißverständnisse beherrschen die aufgeheizte Atmosphäre. Das gegenseitige Verstehen-Wollen ist einer harten Belastung ausgesetzt.

Dabei hätte man das Abkommen zur Verlegung des Auschwitzer Karmels nur einhalten müssen. Vor zwei Jahren war es auf Betreiben jüdischer Organisationen zu diesem Vertrag in Genf gekommen, den von katholischer Seite die Kardinäle Lustiger von Paris, Danneels von Brüssel, Decourtray von Lyon und Ma-charski von Krakau, in dessen Diözese Auschwitz liegt, unterzeichnet hatten. Aber off ensichtlich hat man den Plan zur Errichtung eines interreligiösen Gebetszentrums, in das der Karmel integriert werden sollte, nicht auf alle Schwierigkeiten hin untersucht, die sich auf dem Wege zu seiner Durchführung ergeben könnten. Der Vorwurf trifft in erster Linie Kardinal Francziszek Ma-charski. Er hat die stark emotiona-lisierte Situation dafür verantwortlich gemacht, daß vorläufig das Gebetszentrum nicht gebaut werden könne. Bis Februar dieses Jahres hätte der Karmel abgesiedelt sein sollen, nach einer Verlängerung der Frist, die nicht genützt wurde, protestierten am 14. Juli sieben New Yorker Juden unter Führung des Rabbi Avraham Weiss in Krakau gegen die Verzögerung und drangen auch in das Kloster ein, wobei sie von polnischen Arbeitern mit Wasser überschüttet wurden.

Damit begann die Situation vollends verfahren zu werden. Polnische Katholiken stehen dem jüdischen Wunsch nach einer Verlegung des Karmels verständnislos gegenüber. Sie begreifen kaum, daß Auschwitz für Juden Symbol der Schoah ist -wie dies unlängst der frühere Großrabbi von Frankreich, Rene Samuel Sirat, beschrieb: „Man darf Auschwitz nicht in einen Ort des Gebetes verwandeln. Auschwitz, wo der schrecklichste Götzendienst stattgefunden hat, indem man den Tod Gottes proklamierte, den Menschen an die Stelle Gottes setzte und andere Menschen zu Objekten, NichtPersonen degradierte. Gebete an diesem Platz könnten zu dem werden, was man biblisch mit Greuel umschreibt. Auschwitz muß ein Ort absoluter Stille werden, ein Ort des Nicht-Betens, des Nicht-Bezeugens, der Verwüstung und des Paroxysmus. Machen wir uns alle die Worte des Psalmisten zu eigen: Für dich, Herr, ist Schweigen allein Gebet.“

Mittlerweile wurde aber eine weitere Stufe der Eskalation erreicht. Kardinal Glemp hat in einem in vier italienischen Zeitungen publizierten Interview von der Unzuständigkeit jener Kardinäle gesprochen, die 1987 das Genfer Abkommen zur Absiedlung des Karmels von Auschwitz - für Glemp ein „Skandal“ - unterzeichnet hatten. Dem Krakauer Erzbischof Ma-charski, der - so Glemp - „die Situation der Leute nicht begriffen“ habe, warf er Inkompetenz vor.

Die Mitunterzeichner des Genfer Vertrages befinden sich in einer schwierigen Lage. Sie haben aber -trotz des Stimmungsumschwunges in der polnischen Hierarchie - keinen Zweifel darangelassen, daß die Kirche zu ihrem gegebenen Wort steht. In einem gemeinsamen Kommunique machten Danneels, Decourtray und Lustiger darauf aufmerksam, daß sich das Lager von Auschwitz in der Diözese Krakau befinde und gemäß Kirchenrecht Kardinal Macharski zuständig sei. Ein Mitarbeiter Kardinal Glemps bestritt gegenüber der FURCHE diese Auffassung, weil das Kloster exemt, also der direkten Zuständigkeit des Ortsbischofs entzogen sei. Im Kommunique wird außerdem betont, daß die Kardinäle, die mit Macharski gemeinsam den Vertrag unterzeichnet hatten, aus Nationen stammen, „die die hauptsächlichen Opfer der Hitler-Barbarei waren“.

Jetzt steht die polnische, ja die ganze katholische Kirche im Zwielicht. Johannes Paul IL hat sich in dieser Angelegenheit noch nicht geäußert. Die Polen trifft wieder einmal der Vorwurf des Antisemitismus und des völligen Unverständnisses dafür, daß Polen und Juden vor 50 Jahren gemeinsam Opfer waren (siehe Seite 1).

Der Wiener Alterzbischof Kardinal Franz König hat unlängst bei einem Seminar der internationalen katholischen Friedensbewegung „Pax Christi“ in Berlin die Wichtigkeit der Versöhnung und des Dialogs zwischen Katholiken und Juden unterstrichen und es als „zutiefst beschämend“ bezeichnet, daß die Opfer von Auschwitz Anlaß zu einer solchen Diskussiongeben sollten. „Wir verstehen die Gefühle so vieler unserer jüdischen Freunde, für die Auschwitz ein Ort stiller Trauer, ein Ort der Besinnung vor dem unaussprechlichen Terror der Schoah oder des Holokausts ist. Gleichzeitig verstehen wir die Gefühle vieler unserer polnischen katholischen Freunde. Auch für sie ist Auschwitz ein Symbolort, ein Symbol für das schreckliche Leiden des polnischen Volkes unter der grausamen Tyrannei des Nazi-Regimes.“

Jetzt müssen Fehler einbekannt werden. Das ist die Meinung des Giern p-Beraters und Publizisten Andrzej Micewski. Man habe seinerzeit „zu viel theoretisch geplant“, kritisiert er den Genf er Vertrag und sich kaum Gedanken um die Finanzierung des interreligiösen Zentrums gemacht. Aber „alle Menschen machen Fehler, auch die Kirche, auch Bischöfe“. Das gelte auch für den „Zwist“ zwischen den Kardinälen Glemp und Macharski in dieser Causa. Allerdings weist Micewski den Vorwurf des Antisemitismus für das heutige Polen entschieden zurück: „Das ist bei uns endgültig vorbei I“

Aus der unmittelbaren Umgebung Primas Glemps erfuhr die FURCHE, daß man mit Glemps Äußerungen nicht gerade glücklich sei. „Vielleicht hat der Primas doch zu viel gesagt“, so ein enger Mitarbeiter zur FURCHE.

Es sei bedauernswert, daß die ganze Diskussion Polen gerade zu einem Zeitpunkt treffe, da sich das Land ohnehin in einer äußerst kritischen Lage befinde. Vielleicht hat Glemp deswegen so empfindlich und unsensibel auf die jüdischen Vorstellungen reagiert?

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