Zwischen den Stühlen der polnischen Gesellschaft

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Politik hat er nie gemocht. Doch die Lebensgeschichte hat den letzte Woche verstorbenen polnischen Altprimas Józef Glemp dazu verurteilt, ein Politiker wider Willen zu werden.

Die Fußstapfen, in die Józef Glemp treten musste, waren von Anfang groß. Im Juli 1981 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Nachfolger von Kardinal Stanislaw Wysz´nski, dem legendären "großen Primas Polens“. Wyszy´nski hatte mit viel persönlichem Mut und politischem Geschick Polens Kirche weitgehend unbeschadet durch die dunkle Zeit des Stalinismus geführt.

Schon fünf Monat nach seinem Amtsantritt stellte das Schicksal den "kleinen Primas“, wie Glemp sich selbst gern nannte, vor eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens. Als General Wojciech Jaruzelski am 13. Dezember 1981 in Polen das Kriegsrecht einführte und die Opposition zerschlug, musste Glemp reagieren. Millionen von Polen wollten ihn an der Spitze des antikommunistischen Widerstands sehen. Zugleich machten Gefolgsleute des Generals harten psychischen Druck auf Glemp. In einer dramatischen Unterredung im Morgengrauen des 13. Dezember warnte der für Glaubensfragen zuständige Minister den Primas: "Wenn es zum Widerstand gegen das Kriegsrecht kommt und Blut fließt, wird die Kirche die Verantwortung dafür tragen.“

Das Image des Zauderers

In dieser Situation entschied sich der Kardinal zu einer Predigt, die seinem Wesen entsprach, ihm aber für Jahre das Etikett eines ängstlichen Mannes eintragen sollte. "Selbst wenn ich euch barfuß und auf den Knien darum anflehen müsste, bitte ich euch: Beginnt keinen Krieg, in dem Polen gegen Polen kämpfen“, sagte er zu den Gläubigen.

Die kommunistische Regierung jubelte. Über Stunden sendete das staatliche Fernsehen abwechselnd eine Ansprache von Jaruzelski, in der dieser das Kriegsrecht ankündigte, und die beschwichtigende Predigt des Primas. Millionen, die bereit waren, passiven Widerstand gegen das Regime zu leisten, fühlten sich von der Kirche in Stich gelassen.

Später war es allerdings derselbe Glemp, der mit seiner Autorität, die er bei Jaruzelski genoss, dafür sorgte, dass inhaftierte Regimegegner freikamen, ihre Familien unterstützt wurden und ihre Kinder auf Ferienlager fahren konnten.

Zugleich blieb er aber bei der politischen Unterstützung der im Untergrund kämpfenden Opposition zauderhaft. Gemeinsam mit Jaruzelski versuchte er die Idee zu lancieren, dass die elf wichtigsten Oppositionsführer im Sinne einer nationalen Versöhnung auf jede politische Tätigkeit verzichten sollten. Eine Idee, die grandios am Widerstand der Betroffenen selbst scheiterte.

Aus Glemps Bemühen um Frieden, für den er fast jeden Preis zu zahlen bereit war, resultierte auch eine seiner größten persönlichen Tragödien: der Streit mit dem später von der Staatssicherheit ermordeten Pfarrer Jerzy Popieluszko. Glemp hatte immer wieder gegen Popieluszko und seine Predigten interveniert, die unzählige Menschen anzogen und in denen Popieluszko die Staatsmacht frontal angriff. "Die Agenten der Staatssicherheit haben mir bei ihren Verhören mehr Respekt gezollt als der Primas“, hat Popieluszko einmal voll Bitterkeit über seine zahlreichen Auseinandersetzungen mit dem Primas gesagt.

Nach einem gescheiterten Versuch drei Tage zuvor wurde Popieluszko am 16. Oktober 1984 von Offizieren der Staatssicherheit entführt und ermordet. Primas Glemp sollten von da an zwei Fragen quälen: Hätte er Popieluszko noch dem ersten Attentatsversuch noch stärker dazu drängen sollen, nach Rom zu fliehen? Und: Hätte die Staatssicherheit den Mord gewagt, wenn sich Glemp von Anfang an mit seinem ganzen Gewicht hinter den rebellischen Pfarrer gestellt hätte? Im Jahr 2000 bekannte Glemp vor Gläubigen: "Es belastet mein Gewissen, dass ich es nicht schaffte, das Leben von Pfarrer Jerzy Popieluszko zu schützen, auch wenn ich es versucht habe. Möge mir Gott verzeihen.“

Spät zum Europäer geworden

Auch im demokratischen Polen nach der Wende tat sich Glemp mit der Politik schwer. Liberale Kritiker des konservativen Katholizismus, für den er stand, beschimpfte er einmal öffentlich als "kleine, kläffende Straßenköter“. Noch mehr Unmut von liberalen Kreisen brachte ihm allerdings seine nachsichtige Haltung gegenüber antisemitischen Ausfällen im kirchlichen Umfeld ein. Besonders übel nahm man ihm, dass er lange Zeit jene radikal-katholischen Aktivisten verteidigte, die mit Kreuzen vor den Toren des Konzentrationslagers Auschwitz gegen eine angebliche Vereinnahmung des Ortes durch das Judentum protestierten.

Auch in der Diskussion um Polens EU-Beitritt brauchte Glemp lange, bis er zu einer endgültigen Position fand. 1995 als Polen schon die Beitrittsverhandlungen führte, warnte er davor, beim EU-Beitritt könnte es darum gehen "den Menschen zu animalisieren, indem man ihm bloß leichte Arbeit, gutes Essen, Unterhaltung und Sex sichert.“ Erst 2003 stellte er sich eindeutig auf die Seite der Beitrittsbefürworter und erklärte: "Ich glaube, dass es Gottes Wille ist und dass Gott will, dass wir dem gemeinsamen Europa beitreten.“ Damit hatte er einen nicht unwesentlichen Anteil daran, dass sich die Polen im gleichen Jahr mehrheitlich für einen Beitritt aussprachen.

* Der Autor ist freier Journalist und lebt in Graz

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