6969540-1985_25_06.jpg
Digital In Arbeit

„Polen braucht Ruhe ....”

Werbung
Werbung
Werbung

• Uber die nationale Funktion, die die katholische Kirche Polens beim Integrationsprozeß in den früher deutschen Oder-Neiße-Gebieten übernommen hat: PRIMAS KARDINAL JOZEF GLEMP: Nach dem Krieg kam es zu der großen Völkerwanderung unter dem Diktat der Siegermächte. Nicht die Kirche und nicht der polnische Staat haben sie gewollt und ausgelöst. Deutsche und Polen wurden von Osten nach Westen umgesiedelt.

Mit den Menschen aus Ostpolen kamen ihre Priester, viele mit ihren ganzen Pfarreien. Die Menschen versammelten sich um die Priester, die zu einer Art gesellschaftlichem und geistigem Mittelpunkt der Neuansiedlung wurden (etwas anderes war es in Schlesien, wo einige hundert Priester deutscher oder polnischer Herkunft zurückgeblieben waren). Die Umsiedler begannen überall, ihr Leben einzurichten, auch ihr religiöses — oft in halbzerstörten Kirchen, die sie wieder aufbauten...

• Uber Vergebung und Vergessen:

GLEMP: Die Vergebung ist geschehen, wir hegen keinen Groll — und das ist, glaube ich, auch auf deutscher Seite so, abgesehen von fanatischen Revisionisten. Doch vergessen kann und darf man nicht. Nur die geschichtliche Analyse, die Aufarbeitung dessen, was geschah, kann den Weg in die Zukunft bahnen. Diese Voraussetzung von Vergebung wurde manchmal mißverstanden, auch damals, als die polnischen Bischöfe ihren Versöhnungsbrief schrieben und deshalb von der

Staatsmacht in Polen scharf kritisiert wurden.

• Uber das in jüngster Zeit in der Bundesrepublik Deutschland wiederholte Aufwerfen der Grenzfrage:

GLEMP: Das hängt mit dem wieder anwachsenden politischen Einfluß der Landsmannschaften, der Aussiedlerorganisationen in der BRD zusammen.

Ich weiß nicht, ob es jemanden in Polen gibt, der noch stärker als ich eine tiefe und wirkliche Verständigung mit den Deutschen wünscht. Doch sollte diese nicht auf einer Fiktion beruhen, sondern auf Tatsachen.

Wenn man die nationalen und psychologischen Voraussetzungen berücksichtigt, so ist, meine ich, auf polnischer Seite ein günstigeres 'Verständigungsklima festzustellen als auf deutscher Seite, wo es stark revisionistische Stimmen gibt. Man schickt mir manchmal Landkarten, auf denen man die polnisch-deutsche Grenze von 1937 zeigt und die Gebiete östlich von Oder und Neiße nur „zur Zeit unter polnischer Verwaltung”. Das macht keine gute Atmosphäre. Wir müssen gerade von kirchlicher Seite alles tun, um über solchen politischen Emotionen zu stehen und uns an den Tatsachen zu orientieren.

# Uber die Landsmannschaften: GLEMP: Ich meine, daß diese Organisationen der Aussiedler, indem sie auf ziemlich künstliche Weise das Heimweh aufrechterhalten, wahrhafte Verständigung behindern. Wenn sich die polnischen Umsiedler in Polen integriert haben, warum können sich dann Deutsche nicht in Deutschland integrieren? Das fragen wir uns.

• Uber die umstrittene Frage einer deutschen Seelsorge in Polen: GLEMP: Man kann nicht, wie es geschah, einen Vergleich ziehen zwischen der Lage von Deutschen in Polen und von Polen in der Bundesrepublik, wo deren Integration durch nichts behindert wird, auch nicht durch unsere Seelsorge. Hier hingegen - so verlangt man — soll die Kirche zur Erhaltung und Pflege deutscher Sprache und Kultur bei Menschen beitragen, deren Eltern nach dem Krieg erklärten, hierbleiben zu wollen und die jetzt polnische Bürger sind. Der Faktor, der bei ihnen deutsches nationales Bewußtsein weckt, entsteht aus Ablehnung des kommunistischen Systems, aus dem Problem der Freiheit und des Wohlstandes...

Es ist, dabei bleibe ich, ein künstliches Problem, das von außen erzeugt wird. Übrigens gibt es in Schlesien an vier oder fünf Orten und auch in einer Kirche in Warschau deutsche Messen; und wo der Pfarrer deutsch versteht, kann auch auf deutsch gebeichtet werden. Das Hochspielen einer deutschen Minderheit in Polen und revisionistisches Gerede — das richtet nur Schaden an, stiftet Unruhe. Was wir in Polen brauchen, ist Ruhe, innere und äußere (die oft einander bedingen), christlichen Frieden mit Deutschen wie Ukrainern, Russen, Litauern, mit allen unseren Nachbarvölkern ...

Auszüge aus einem Interview, das FURCHE-Mitarbeiter Hansjakob Stehle mit dem polnischen Primas führte und das am 14. Juni vollständig in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit” (Nr. 25) erschienen ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung