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Polnisch sein -katholisch sein

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Kein Volk in Europa wurde von der Kirche so tief geformt wie das polnische. Sein Staatswesen und sein geschichtliches Vberleben sind mit der Kirche organisch und untrennbar verbunden. Die romisch-katholische Kirche war es, die Po-lens Kultur- und Geistesgeschichte im Laufe der Jahrhun-derte inspiriert und gepragt hat. So kam es zur engen Ver-bindung religioser und patriotischer Elemente, ja sogar zur Identitatsumschreibung: polnisch sein heifit katholisch sein.

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Kein Volk in Europa wurde von der Kirche so tief geformt wie das polnische. Sein Staatswesen und sein geschichtliches Vberleben sind mit der Kirche organisch und untrennbar verbunden. Die romisch-katholische Kirche war es, die Po-lens Kultur- und Geistesgeschichte im Laufe der Jahrhun-derte inspiriert und gepragt hat. So kam es zur engen Ver-bindung religioser und patriotischer Elemente, ja sogar zur Identitatsumschreibung: polnisch sein heifit katholisch sein.

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Die katholische Kirche stand Pate, als Polen aus dem Dunkel der Ge-schichte auftauchte und durch die 966 erfolgte Taufe des Fursten sein Staatswesen fundierte. Der religiose Akt der unter der Fiihrung des Pia-stenfiirsten Mieszko I. vollzogenen Taufe hatte zugleich die Bedeutung eines politischen Faktums; durch die Taufe wurde der junge Staat in die abendlandische Kultur und die in-ternationale politische Gemeinschaft integriert.

Es ist bemerkenswert, daB an der Schwelle der Christianisierung Po-lens ein in der Geschichte Europas prazedenzloser Akt stand: Der Herr-scher Polens - Mieszko I. - unter-stellte in der feierlichen Schen-kungsurkunde „Daqome iudex“ sein Land direkt dem Heiligen Stuhl. Seitdem sind die engen und herzli-chen Beziehungen zwischen Polen und Rom nie mehr abgerissen.

Wie ein goldener Faden zieht sich durch die tausendjahrige Geschichte Polens die Treue zur Kirche und Papst. Rom fixierte das in der lapida-renFormel: „Polonia semper fidelis“. Die katholische Kirche wurde fiir das Volk in der Zeit der nationalen Kata-strophen zum kraft- und hoffnungs-spendenden Refugium, zum Zu-fluchtsort, an dem das Volk seine na-tionale Identitat wiederfinden und bewahren konnte. '

Das groBe Prestige und die maB-gebliche Rolle der Kirche im offentli-chen Leben Polens verdeutlicht sich in der Institution des Interrex, die seit dem 16. Jahrhundert durch den Primas von Polen verkorpert wurde. Wahrend der Thronvakanzen der damaligen polnischen Wahlmonar-chie stand dem Primas als Interrex das Recht zu, den Staat zu reprasen-tieren, bis ein neuer Konig gewahlt worden war.

In der Zeit, in der es keinen polnischen Staat gab, fiel der Kirche die stellvertretende Funktion des Interrex zu. Dies gait insbesondere nach 1772, als Polen unter RuBland, Preu-Ben und Osterreich aufgeteilt wurde. Fur die folgenden 146 unfreien Jahre war die Kirche ein' Symbol der Ein-heit des geteilten Landes, ein leben-diger Beweis der Kontinuitat und Homogenitat der nationalen Existenz und Lebensart.

Infolge des in standigen Kampfen mit Tataren, Tiirken und Russen ver-gossenen Blutes gait Polen als Boll-werk des abendlandischen Christen-tums. Diese Situation, wie auch die ostliche, emotionale Pragung der polnischen Seele trugen bei zur Ent-stehung eines einzigartigen Phano-mens, der polnischen, patriotisch-re-ligiosen Mystik. Sie driickte sich in dem BewuBtsein aus, eine besondere Mission gegeniiber dem ganzen christlichen Europa zu haben.

In der Epoche der Romantik wei-tete sich dieses BewuBtsein messia-nisch aus, indem die mit der polnischen Unfreiheit verbundenen Leiden als eine geschichtliche Rolle in bezug auf das ganze Christentum ge-deutet wurden. Diese Ideen wurden erneut in unseren Tagen lebendig durch die Wahl des Kardinal Karol

Wojtyla, des ersten Polen in der Kir-chengeschichte, zum Papst.

Nationale Elemente, besonders im Kontext des Katholizismus, provo-zieren eher zu negativen Assoziatio-nen, und daher erwecken die nationalen Merkmale der katholischen Kirche Polens verstandliche Bedenken.

Es laBt sich jedoch nicht uberse-hen, daB bei dieser eigenartigen Ver-schmelzung von katholischen und nationalen Elementen Polen trotzdem kein intolerantes Land ist In der Verfassung von 1573 wurde voile Re-ligionsfreiheit garantiert. Dank seiner Toleranz erwarb sich Polen in der Vergangenheit nicht nur den Namen eines „Asylum Judeorum“, sondern im 16. und 17. Jahrhundert auch noch den eines „Asylum haereticorum“.

Auch dadurch erlebte Polen keine tiefgreifende konfessionelle Spal-tung. Das polnische Volk ging ohne blutige Verfolgungen und Religionskriege durch die Reformationszeit und blieb im Grunde konfessionell einheitlich.

Das tragende Element der lebendi-gen religiosen Werte in Polen ist das einfache Volk. Es ubernahm und halt an der Tradition des religiosen Le-bensstils und Kirchenkults der ver-gangenen Jahrhunderte fest. Eben dieses einfache, traditionsbezogene Volk bildet gegenwartig in der welt-anschaulichen Konfrontation der geistigen Machte Polens den „harten Kern“ des polnischen Katholizismus. Ein klassisches und weit bekanntes Beispiel hierfiir ist die junge, iiber 200.000 Einwohner zahlende Indu-striestadt Nowa Huta bei Krakau.

Das geschichtlich bedingte und in den breiten Volksmassen tief veran-kerte BewuBtsein der Identitat des Nationalen und Religiosen fiihrt dazu, daB man antikatholische, kir-chenfeindliche Politik instinktiv als Bedrohung der nationalen und pa-triotischen Werte ansieht. Deswegen empfindet das Volk auch den offiziell propagierten Atheismus als fremdes und der Nationalkultur Polens nicht entsprechendes Gedankengut.

Die Kirche in Polen weiB sich der Geschichte und der Tradition verbunden und verpflichtet. Geschichte hat fiir sie immer wieder eine schbp-ferische und formende Bedeutung. Die Kirche holt sich aus den histori-schen Erfahrungen und Ideen, aus den Gestalten ihrer Helden und Mar-tyrer immer neue Inspirationen und

Krafte, um die Gegenwart und Zukunft zu gestalten.

Einmal war es die 300-Jahr-Feier der Proklamation der Muttergottes zur Konigin Polens 1956, dann wieder, 1966, die groBen Millenniumsfei-erlichkeit. Heuer holt die Kirche in Polen die Gestalt des heiligen Bi-schofs Stanislaw, der vor 900 Jahren durch den polnischen Konig Boles-law ermordet wurde, aus der Vergangenheit hervor. Die Kirche in Polen will ihn als Symbol eines moralisch gerechtfertigten Widerstandes gegen die Obrigkeit und als Fursprecher von Menschenrechten und Men-schenwurde preisen.

Die Traditionsgebundenheit der polnischen Kirche und ihr nationales Engagement haben sie nicht daran gehindert, sich in Dimensionen der universalen Kirche zu sehen. Es ist bemerkenswert, daB eben diese national gepragte Kirche einen seiner Sonne mit derartigen iibernationalen und universalen Werten ausstattete, die ihn dazu pradestinierten, zum Oberhaupt der ganzen katholischen Kirche gewahlt zu werden.

Im Horizont des Phanomens des polnischen Katholizismus ist Papst Johannes Paul II. als ein neuer inte-grierender Faktor in der Symbiose des Religiosen mit dem Nationalen, aber auch der Kirche in Polen mit der universalen Kirche anzusehen. Seine Polen-Reise wird zweifellos auch diese Aspekte des polnischen Katholizismus auf besondere Weise zur Geltung bringen und ihnen neue Impulse verleihen.

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