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POLENS KUNST FÄHRT WESTWÄRTS

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“Wie soll man die Friedensliebe, den Haß gegen den Faschismus verbildlichen, wie mit dem Pinsel zur Gründung landwirtschaftlicher Gemeinschaften aufrufen? ... O heilige Einfalt der Propagandisten und Maleri Glaubt ihr denn wirklich, der Bauer braucht nur eure gemalten Traktoren zu sehen und tritt gleich in die Produktionsgenossenschaft ein?" So schrieb Julian Przybos bereits im August vorigen Jahres in der Zeitschrift „POLEN", die außer in polnischer auch in deutscher, englischer, französischer, russischer und spanischer Sprache erscheint.

Das war also noch, bevor Gomulkas psycho- politischer Coup d’ėtat gelang. Den gleichen Stoßseufzer konnte man schon 1946 in den Ateliers polnischer Künstler in Krakau oder Warschau hören. Denn er war Ausdruck einer Entwicklung, die unaufhaltsam bereits nach dem ersten Weltkrieg eingesetzt und auch vom stalinistischen Regime im Lande nicht hatte zum Schweigen gebracht werden können.

Um die heutige Kunstsituation Polens zu verstehen gilt es, ihre Ursprünge mit den geistigen Grundlagen der Gegenwart zusammenzuschauen. Auf dem Boden einer bis heute erhaltenen reich strömenden folkloristischen Naivkumt stand das polnische Kultvfrgebiet zu allen Zeltiffi'iri 'fruchtbaren'Atistäürth' hift dėti ‘ärö ' päischen Geisteszentren. Dabei war vielfach das jeweilige politische Schicksal maßgebend, ob die Tore dem nahen oder ferneren Westen oder dem Süden, ob sie dem deutschen, französischen oder italienischen Raum geöffnet waren.

Im Mittelalter und in der Renaissance waren vor allem Deutsche in Polen am Werk, jeder Gebildete weiß um die Rolle eines Veit Stoß, eines Peter Vischer. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts waren es florentinische Meister, die die Kunstsituation bestimmten. Weitere Italiener brachte wie fast überall in Europa das Barock herauf. 1689 bis 1693 arbeitete ein Andreas Schlüter in Warschau, ein Jahrhundert später starb Canaletto d. J. dort, nachdem er zahlreiche dekorative Landschaften und Stadtbilder gemalt hatte. 18 30 errichtete der Klassizist Thorwaldsen das Warschauer Kopernikus-Denk- mal. Damit ist Polen in das 19. Jahrhundert gekommen, in dessen Perfektion und lauem Naturalismus kaum ein nennenswerter Name mehr gedeiht. Nebenher, von der Kunstgeschichte bis vor kurzem kaum beachtet, wurden immer noch ruthenische Holzkirchen in Galizien und in vielen Teilen des Landes Holzsynagogen mit maurischen Arabesken gebaut oder restauriert.

Aus dem nahezu hundertjährigen künstlerischen Schlaf, in den Polen wie manche andere europäische Länder mit dem Eintritt in den Klassizismus gesunken war, erwachte es gleich diesen erst im Gebrüll der Geschütze des ersten Weltkrieges. Von Thorwaldsen bis zur Zwischenkriegszeit gedieh der langweiligste Akademismus, dem jegliche Spontaneität ermangelte, wucherten literarisch überladene historische oder sittengeschichtliche Gemälde, die zu besitzen in ganz Europa zum guten Ton gehörte.

Nun jedoch, nach 1918, war es gewiß nicht allein die Ententepolitik, die Polens geistige Elite nach Paris blicken ließ. Die Jugend vor allem, selbst in Gärung geraten, spürte und erkannte, daß in Frankreich entscheidende Kämpfe ausgefochten worden waren und wurden. Aus dem Erlebnis des Impressionismus wurde der Farbjubel des polnischen Neoimpressionismus geboren, der bei aller Hinneigung zu den großen französischen Meistern doch respektable eigene Züge trug. Und über den Kubismus ging für viele der Weg zu kraftvollen Abstraktionen.

Doch, genau wie anderwärts, sträubte sich die Gesellschaft, diese Strömungen anzuerkennen Dem eigens gegründeten „Institut für Propaganda der Kunst“, das die Moderne fördern sollte, waren entscheidende öffentliche Erfolge versagt, das Mäzenatentum war den Jungen mit wenigen Ausnahmen verschlossen — offiziell blieb alles beim alten, beim überladenen Schinken in der Malerei und seiner geistigen Entsprechung in den anderen bildenden Künsten.

Jene Künstler, die vom Einbruch des Kommunismus trotz ihrer nationalen Ressentiments gegen Moskau eine revolutionäre Aenderung der Kunstsituation erwartet haben mochten, wurden grausam enttäuscht. Wohl trat der Staat, traten die Partei und ihre Organisationen bald als mächtige Auftraggeber auf den Plan, doch was sie forderten war dunkelstes 19. Jahrhundert, war dem lebendigen Kunststreben genau entgegengesetzt. „O heilige Einfalt der Propagandisten...“

Volkspolen, wie das Staatsgebilde in der stalinistischen Aera getauft ward, verlangte Kunst als ideologische Reklame, es verlangte sie in demselben Stil wie Hitler, Mussolini und Stalin. „Man wollte jene Malerei wiedererwecken, die im vergangenen Jahrhundert eines natürlichen Todes gestorben war“, schrieb ein Marcin Czer- winski in der zitierten Nummer der Zeitschrift „POLEN“ dazu und setzte fort: „ ... wurde die Malerei der Literatur, vielleicht gar der Presse gleichgestellt — als Vermittlerin von Ereignissen, die im allgemeinen historischer oder festlicher Natur waren.. Die autonome Entwicklung der Malerei, ihre Verbindung zu dem durch die moderne Technik bestimmten Lebensstil gerieten in Vergessenheit."

Dennoch wurden, meist in kleinen Salons, alljährlich Werke von Malern wie Jan Cybis, Eugeniusz Eibisch, Hanna Rudzka-Cybisowa, Stanislaw Szczepanski, Jerzy Fedkowicz u. a. gezeigt, die als Nachimpressionisten um die farblich-malerischen Grundlagen der polnischen Malerei überhaupt kämpfen. Mit heftigeren

Kunst immer schon eine vergleichsweise freiere Atmosphäre geherrscht hätte als in anderen Volksdemokratien. Und das ist nicht einmal ganz unrichtig.

Die Uebergangszeit vom Stalinismus zu Gomulka war durch rührende oder berechnende Versuche gekennzeichnet, alles, was heute mit dem verwaschenen Sammelbegriff der „modernen Kunst“ gekennzeichnet wird, als im höchsten Sinne besonders brauchbar für den geistigen

Przybos, das freilich erst nach Stalins Tod erscheinen konnte. Wie rasch die Unabhängigkeit von der stalinistischen Linie gedeihen konnte, zeigte z. B. die in der „Furche“ Nr. 5 vom

2. Februar 1957 besprochene Ausstellung polnischer Plakate, die ebensogut aus Paris oder Zürich hätten stammen können, keinesfalls jedoch aus Moskau. „Die Kunst muß vorauseilen“, überschrieb K. T. Toeplitz einen gleichzeitig mit Przybos veröffentlichten Kampfartikel, in dem er mit einigen Bocksprüngen zu beweisen versucht, daß die neue künstlerische Avantgarde die Massen im Sinne der Kunst ebenso wie die kommunistische Partei im Sinne der Politik für den sozialistischen Aufbau begeistern werde ...

Jetzt, unter Gomulka, wird offener gesprochen. Jetzt wird bereits in offiziellen Publikationen der Selbstwert der Kunst herausgestrichen. „Wiedererstanden ist die Kunst, die sich entfernter Assoziationen, der Metapher und des Abstrakten bedient... auch die junge intellek- tualistische Malerei, die sich in einem philosophischen Raum bewegt, kommt zu Wort... auch die erotische Lyrik findet (in der Malerei) wieder ihren Ausdruck..." jubelt nun ein Alexander Wojclechöwski und stellt .niveauvolle. Gemälde, Graphiken und Plastiken vor, die zwischen Kubismus und Surrealismus, zwischen Picasso, Matisse, Lehmbruck, Dali liegen.

Wer die Freudenrufe der polnischen Künstler über die wiedergewonnene Freiheit zum zeitgemäßen Ausdruck vernimmt, mag beschämt einräumen, daß wir in Oesterreich trotz unserer zwölfjährigen Freiheit von der Kunstdiktatur Hitlers kaum sehr viel weiter gekommen sind als die Polen, zumindest nicht, was die öffentliche Anerkennung und das von der Elite zu formende Kulturbewußtsein des Volkes betrifft.

Das vorige Jahrhundert entließ die Kunst aus dem Dienst übergeordneter Lebensmächte. Der Einbruch der Wissenschaften lähmte und verwirrte die Geister jener, die Jahrhunderte hindurch berufen waren, der Kunst Sinn und Ziel zu geben. So kam es, daß die Künstler, wqllten sie ihr Talent nicht vermodern lassen, gezwungen wurden, Sinn und Ziel in ihrer Kunst selbst zu suchen. Während die Philosophen, Wissenschaftler und Theologen miteinander im Streit lagen, konnte der Künstler nicht warten. Er schuf, nervöser vielleicht als seine Vorfahren, Gebilde, jedes als ein Gleichnis für den Gehalt und das Gefüge der Welt.

Je zweifelhafter für ihn die Wirklichkeit der Außenwelt, das heißt die Uebereinstimmung zwischen ihrem Schein und Sein wurde, um so mehr hatte er die Wirklichkeit der Welt in da von ihm zu schaffende Werk zu verlegen. So gelangen Picasso. Kandinsky, Cezanne, Braque, Van Gogh, Mondrian, Klee — um nur einige zu nennen — Werke von einmaliger Reinheit, Wahrhaftigkeit und Vornehmheit.

Das Gros des Volkes und der Gesellschaft wußte mit diesen Arbeiten nichts anzufangen. Auch im katholischen Raum kostete es harte Kämpfe, bis die entscheidenden Durchbrüche gelangen, bis man erkannte, daß gerade in jenen redlichen Künstlern, die kompromißlos dem 19. Jahrhundert absagten, die anima Christiana naturaliter am reinsten wirksam war und ist.

Das lehrt uns Polen: jene „Kunst“, die von der materialistischen Diktatur gefördert wurde, kann nicht die unsere sein, sofern wir uns nicht zu solchem Materialismus bekennen wollen. Der Jubel der polnischen Künstler, die so viele Jahre lang durchgehalten haben, muß auch unser Jubel sein — auch dann, wenn mancher unter uns nicht alles gleich begreift, was uns unsere Zeit in reicher Fülle beschert.

Widerständen der roten Kleinbürger als die Nachimpressionisten hatten jene Maler zu kämpfen, die wie Tadeusz Kantor, Jonasz Stern oder Maria Jarema sehr selbständig in geistigen Räumen operieren, die dem Kubismus oder der modernen Abstraktion nahe sind. Auch Nachklänge der großen deutschen Expressionistenära sind spürbar.

Doch nur jene, die den Farbphotographen Konkurrenz machten, wurden offiziell anerkannt und mit Aufträgen belohnt. Die anderen wurden zwar nicht verfolgt, doch sie konnten praktisch verhungern oder mußten ihr tägliches Brot durch Nebenbeschäftigungen verdienen. Sie haben sich nicht gebeugt, sie sind auch nicht zerbrochen. Sie waren geistige Vorläufer der sanften Revolution Gomulkas, sie wittern heute Morgenluft. Sie haben unbeirrt nicht nach Moskau, sondern nach dem Westen geschaut. Sie wurden und werden recht geschickt als Alibi verwendet, als Aushängeschild, als Beweismittel dafür, daß in Polen in Sachen der

Weg zum Kommunismus zu kennzeichnen. „Das Leben pocht an die Türen der Kunsthistoriker und Theoretiker, und die Türen müssen wohl , weit r geöfjftiet werden, wenn wir nicht wieder im Elfenbeinturm methodologischer Betrachtungen über die Theorie des sozialistischen Realismus Sitzenbleiben wollen", schrieb Jerzy Cwiertnia schon im vergangenen Herbst, denn: „... eines Tages könnte sich heraussteilen, auch die kubistische Deformierung in Picassos .Massaker in Korea' gehöre zur künstlerischen Gestaltungssphäre des sozialistischen Realismus. Und was dann . .. ?“

Diese Betrachtungen gipfelten in der schärfsten Ablehnung der Tendenz, die blinde Nachahmung der Natur als „Realismus“ zu werten, die Suche nach höheren seelischen und geistigen Wahrheiten aber, die alle Strebungen der modernen Künstler als Hauptmotiv durchzieht, als entartet oder staatsfeindlich zu brandmarken.

„Kunstmonopol führt zur Erstarrung" heißt der Titel eines kurzen Manifests von Julian

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