6699108-1963_20_14.jpg
Digital In Arbeit

DIE GALERIE DER STRASSE

Werbung
Werbung
Werbung

Das polnische Plakat ist die Antithese der dekorativen Kunst und beruht auf der intellektuellen Metapher. Dies ist ein charakteristischer Zug unserer Schule“, sagt Jan Lenica, einer der hervorragendsten Schöpfer des polnischen Plakats. Das hohe künstlerische Niveau, genauer gesagt: der hohe Durchschnitt des künstlerischen Niveaus, charakterisiert die polnische Plakatkunst. Die heute in der ganzen Welt bekannte „polnische Plakatschule“ ist durchaus kein einheitliches Gebilde. Sie besteht us einer beträchtlichen Zahl von Künstlern, von denen jeder eine eigene künstlerische Konzeption hat, über das ihm eigene Temperament verfügt und — was am wichtigsten ist — eine eigene Individualität besitzt. Frst die Summe aller Individualitäten schuf dieses farbenfreudige Mosaik — das polnische zeitgenössische Plakat.

Obwohl außerhalb der Grenzen des Landes erst seit wenigen Jahren bekannt, kann die polnische Plakatkunst auf eine langjährige Tradition zurückblicken. Die historisch erste Manifestation des Plakats in Polen ist mit einer Ausstellung im Technischen Industriemuseum in Krakau verbunden, die im Jahre 1898 Stattfand. Als interessant mag die Tatsache gelten, daß sich unter den Schöpfern der geringen Zahl der dort ausgestellten Plakate einige bekannte Maler wie Kossak und Axentowicz befanden. Im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung stand die polnische Plakatkunst in enger Beziehung zur Buchillustration; sie spiegelt die Richtungen und Strömungen der ganzen damaligen Kunst in der Welt wider, also Jugendstil und „Art nouveau“, deren literarisch-künstlerisch gleichbedeutender Ausdruck bei uns die Bezeichnung „Junges Polen“ trug. Die hervorragendste Gestalt des „Jungen Polens“, der Dichter, Dramatiker und Maler Stanislaw Wyspianski beeinflußte in entscheidender Weise die Gestaltung der polnischen Gebrauchsgraphik der Zeitperiode vor dem ersten Weltkrieg.

*

Itn Jahre 1926 erschien auf den Litfaßsäulen Warschaus ein Plakat mit dem Slogan „Radion wäscht selbst“. Auf ihm war ein Bottich mit Seifenschaum und eine schwarze Katze zu sehen, die in diesen hineinspringt und als weiße herauskommt. Dieses von Tadeusz Gronowski entworfene Plakat war der Vorläufer eines Umwandlungsprozesses der polnischen Plakatkunst. Bis zu den dreißiger Jahren überwog der geometrische Stil in Verbindung mit folkloristischen Motiven. Die Entwürfe waren mit Details überladen, man bediente sich sorgfältig gezeichneter Licht- und Schatteneffekte.

Gronowski, ein ausgebildeter Architekt, revolutionierte die Sprache des Plakats. Das Plakat wurde zu einer Fläche und begann mit Flächen reiner Farbe anzusprechen und mit witzigen Einfällen an die Intelligenz des Betrachters zu appellieren. Bezeichnend ist, daß neben Gronowski auch die anderen Schöpfer des neuen Plakatstils im überwiegenden Maße junge Architekturabsolventen der Warschauer Technischen Hochschule waren. Neben ihnen wirkte eine Gruppe von Studenten der Akademie der bildenden Künste in Warschau. Sie waren es, die die Frische der Einfälle brachten, die sich gerne der Photomontage bedienten und überraschende, oft surrealistische Assoziationen anwendeten. Sie schufen eine einfache, moderne und gleichzeitig ausdrucksvolle Sprache des Plakats. Damals bereits kristallisierten sich die Eigenschaften heraus, die heute über den Welterfolg des polnischen Plakats entscheiden: Der unerschöpfliche Einfallsreichtum mit der Metaphorik zur Grundlage, die Verbindung des emotionellen, expressiven Elements mit dem Intellekt.

*

Zahlreiche der hervorragendsten polnischen Plakatkünstler fanden während des zweiten Weltkrieges und der Okkupation den Tod. Mit der Befreiung Polens wurde die Plakatkunst vor neue Aufgaben gestellt. In den Jahren 1944 bis 1945 entstanden bereits die ersten Plakate, die, obschon technisch primitiv, den Betrachter in ihrer lapidaren künstlerischen Form durch ihre kühnen Metapher zu packen verstanden. Dies waren die ersten

Plakate von Tadeusz Trepkowski, der vor dem Kriege an der Spitze der Warschauer Plakatkünstler stand. Das Plakat „Die Rückkehr nach Warschau“, das die Ruine eines abgebrannten Hauses mit einem einzigen verglasten Fenster und einem improvisierten rauchenden Rauchfang darstellte, sagte den Polen, daß die Hauptstadt, obwohl sie in Trümmern lag, noch lebte, wenn die Menschen in sie zurückkehren. Ein anderes Plakat, dessen Schöpfer ebenfalls Trepkowski war, und das die Aufschrift „Nach dem Kampf — die Arbeit“ trug, zeigte gegen den Hintergrund des Schattens eines Gewehres einen Hammer und eine Ähre, die Frieden und Wiederaufbau des Landes verkündeten.

Die künstlerischen Mittel jener Zeit waren häufig die Photomontage (Mieczystaw Berman), das Schriftbild — eine Domäne, die Henryk Tomaszewski zu seltener Perfektion entwickelte — sowie die surreale Verbindung von Symbolen (Tadeusz Trepkowski).

*

In den fünfziger Jahren, den Jahren des Wiederaufbaues und der allgemeinen Stabilisierung, verbesserten sich die technischen Voraussetzungen für die Herstellung von Plakaten. Papier, Druck, Farbe usw. gewannen an Qualität. Neben dem Propagandaplakat erschienen Plakate mit kultureller Thematik. Künstlerische Veranstaltungen, Theater, Oper und vor allem der Film wurden zum Thema des Plakats. Beim politischen Plakat, das bis dahin selbst anläßlich der Feiertage todernst und manchmal sogar bombastisch war, beginnen Leichtigkeit und Charme (hauptsächlich dank der Entwürfe von Henryk Tomaszewäki) ihren Einzug zu halten, ohne welchen die volle Blüte des polnischen Plakats unvorstellbar wäre.

Neben Tadeusz Trepkowski und Henryk Tomaszewski, den Erneuerern des Nachkriegsplakats, formierte sich ein größerer Stab von Entwerfern. Teilweise rekrutierten sie eich aus Vorkriegskünstlern, aber es begann auch schon eine junge Generation von Künstlern heranzuwachsen — und mit ihnen neue Individualitäten.

*

Während sich in den Zwischenkriegsjahren und in der ersten Zeit nach der Befreiung Polens die Plakatkunst die Errungenschaften des Kubismus, der geometrischen Abstraktion und des Surrealimus zunutze machte, gewannen Mitte der fünfziger Jahre die stärkeren Einflüsse der expressiven Abstraktion an Bedeutung. Es war dies, insbesondere bei zahlreichen jungen Künstlern, die Periode der gerissenen Papiere als ausdrucksbetonte Kompositionselemente und gleichzeitig auch die Zeit eines überschwenglichen Ausbruchs der Malerei auf den Plakaten. Die verbesserten Bedingungen der Drucktechnik und das bessere Papier hatten zur Folge, daß sich die Künstler der Möglichkeit der Übertragung sämtlicher Techniken und einer schwierigen, zusammengesetzten Farbenskala auf das Plakat bedienten, ja sich an ihr geradezu berauschten. In dieser Zeit wurde das Plakat zum Bild, zu einem Kunstwerk der Malerei. Nicht selten geschah es aber, daß solche Bildplakate, obwohl sie großen künstlerischen Wert hatten, für den Betrachter „unleserlich“ waren. Im Zuge der Gewöhnung der Künstler an die freie Verwendung der ihnen zu Gebote stehenden technischen Mittel wich der Farbenrausch, und das Plakat verzichtete nicht mehr auf die prinzipielle Funktion der Gedankenübermdttlung. Unter anderem verschwanden langsam die gerissenen Papiere, und eine geschlossene Kompositionsdisziplin kehrte zurück.

Der vollständige Mangel an Kitsch und an billigem Geschmack in der polnischen Plakatkunst versetzt so manchen

Besucher aus dem Ausland in Erstaunen. Bereits in der Zwischenkriegszeit schufen polnische Künstler eine Organisation, die sich die Erkämpfung eines hohen künstlerischen Niveaus der Plakatkunst und die Verteidigung ihrer Interessen gegen den Druck des Dilletantismus zum Ziele setzte. Im Jahre 1934 bildete sich ein Kreis von Reklamegraphikern, der sich KAGR nannte. Sein Vorsitzender war Professor Edmund Bartlomiejczyk,

der gemeinsam mit Professor Zygmunt Kaminski sowohl an der Warschauer Akademie der Bildenden Künste als auch an der Abteilung für Architektur der Warschauer Technischen Hochschule die besten polnischen Plakatkünstler heranbildete. Stellvertretender Vorsitzender der KAGR war Tadeusz Gronowski, einer der bereits vorhin erwähnten führenden Plakatkünstler der Zwischenkriegszeit und seit dem Jahre 1961 Vorsitzender des Verbandes Polnischer Bildender Künstler. KAGR vereinigte in der Zwischenkriegszeit zirka fünfzig der bedeutendsten polnischen Künstler.

*

Nach der Befreiung Polens zählten staatliche Institutionen zu den Auftraggebern für Plakate, wie zum Beispiel der Verlag für künstlerische Graphik, die Filmverleihzentrale, Werbeagenturen und andere mehr. Jede der Plakataufträge erteilenden Institutionen verfugt über eine Kommission, die über die Annahme und Ablehnung der vorgelegten Entwürfe entscheidet. Das Geheimnis des hohen Niveaus des polnischen zeitgenössischen Plakats ist darin zu suchen, daß in diesen Kommissionen die besten polnischen Gebrauchsgraphiker tätig sind.

Eines der Gebiete, auf dem sich die polnischen Künstler Weltruf erwarben, ist das des Filmplakats. Der Inhalt des Films ist die Grundlage der Vision des Graphikers. Das richtige Begreifen des Films, das Aufspüren eines eindeutigen ins Auge springenden bildhaft-deskriptiven Ausdrucks aus dessen oftmals komplizierten Inhalt, ist ein Unterfangen, für welches die polnischen Plakatkünstler geradezu eine Leidenschaft entwickelt haben. Über das Gelingen dieser Bemühungen geben die den polnischen Filmplakaten zuerkannten internationalen Preise erschöpfende Auskunft. Das von Roman Cieslewicz entworfene Plakat zu dem Film „Die Hexen von Salem“ zeichnet sich durch atemberaubende Unheimlichkeit aus. Das Plakat von Maciej Hübner zum Film „Mum“ enthält das ganze emotionelle Gewicht des Films; es spiegelt die Synthese der Stimmungen, die sich auf der Bildfläche abspielen, wider. Am Beispiel des Schaffens von Jan Mlodozeniec erkennt man, wie eine andere Art von Film den Künstler zur Suche nach neuen, gänzlich verschiedenen Lösungen und Ausdrucksmitteln anregen kann. Hierher gehört das suggestiv zupackende Plakat Waldemar Swierzys zur französischen Version des Films „Die Kreuzritter“, die rauhe Poesie seines Plakats zur „Straße der Schande“ und „Das schielende Glück“ in der hervorragenden Interpretation von Jan Lenica sowie die inhaltsreichen und interessanten Plakatwerke von Julian Palka. Die Besprechung von Filmplakaten würde sich in eine lange Namensliste verwandeln. Dies ist vielleicht das beste Zeugnis für die reichhaltigen Leistungen der polnischen Künstler auf diesem Gebiet.

*

“Vl^ir befassen uns hier nicht eingehend mit dem Theater-W plakat, möchten aber noch die Plakate sozialen Inhalts erwähnen. Es ist dies auch ein Gebiet, auf welchem Polen internationale Erfolge zu verzeichnen hat. Beim Entwerfer eines vor Gefahren warnenden Plakates muß der Künstler eine schlagkräftige, geschlossene und absolut verständliche Form finden. Es gibt auf diesem Gebiet Plakate, die sich so stark ins Gedächtnis einprägen, daß man sich von deren Aussage schwer befreien kann. Zu ihnen gehören Plakate wie zum Beispiel „Achtung, der Kran“ und „Sei nicht achtlos mit deinen Verletzungen!“ von Jerzy Przygodzki, „Komm nicht näher!“ von Zbigniew Waszewski oder die Plakate von Waldemar Swierzy und Gustaw Majewski.

*

Im Rahmen dieser knappen Studie ist es nicht möglich, sämtliche hervorragenden Plakatschöpfer der jetzigen Zeit zu erwähnen. Es wäre jedoch ein Versäumnis, neben den bereits aufgezählten nicht auch die Namen von Künstlern wie Eryk Lipihski, Bogdan Bocianowski, Jözef Mroszczak, Tadeusz Jodlowski und Wojciech Zamecznik und von den Jungen Zbigniew Kaja und Maciej Urbaniec anzuführen. Ihr Verdienst und da? Verdienst von zahlreichen anderen ist der farbenfrohe Reichtum des Plakats und seine neuzeitliche, erfinderische Bildsprache. Ihnen ist es zu danken, daß das Plakat die bildende Kunst in die weltabgeschiedensten Dörfer trägt, daß es die modernen Ausdrucksmittel aufzunehmen lehrt und durch seine lapidare Form und die Weckung unerwarteter Assoziationen die Vorstellungskraft anregt. Deshalb wirken die polnischen Plakatkünstler an der Gestaltung der Ästhetik des Alltags mit. ind-rni sie diesen bereichern und Phantasie und Schönheit vermitteln.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung