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Malerei, Plastik, Grafik, Fotografie.

Die Entwicklungsphase der bildenden Kunst nach dem Ende des II. Weltkriegs war nicht nur eine der spannendsten, sondern auch eine der fruchtbarsten und wesentlichsten innerhalb der Geschichte der Moderne. Paris als führende Metropole der Künste hatte gegenüber früheren Jahrzehnten nur wenig von seiner geistigen Sprengkraft, dem intellektuellen Flair und seiner bohemienhaften Atmosphäre eingebüßt und aus den Widrigkeiten des Widerstands gegen die deutschen Besatzer an geistiger Schärfe, Risikobereitschaft und Internationalität sogar noch gewonnen.

Paris schreibt Kunstgeschichte

Dass die Hauptstadt offen und für Impulse von außen aufnahmebereit war, konnte Paris ja schon lange vorher beweisen und dank seiner beispiellosen Multikulturalität zu einem Paradefall entwickeln. Das bedeutete auf Dauer geistigen Gewinn und jenes Ansehen weit über Künstlerkreise hinaus, das Paris zu einem Synonym für Offenheit und die permanente Auseinandersetzung zwischen Avantgarde und Tradition machte.

Unter Künstlern in aller Welt verfügte Paris über ein Image von hoher Anziehungskraft. Dies wirkte sich ganz besonders nach 1945 aus, in noch stärkerem Maße ab 1950, als massiv eine neue, wahrhaft internationale Avantgarde in Erscheinung trat und von Paris ausgehend für maßgebende künstlerische Impulse und Neuerungen sorgte. Die Jahre 1945- 1965 wurden daher bewusst als Zeitspanne eines großen Ausstellungsvorhabens gewählt, das auf breiter Basis Ein- und Rückblicke in eine der vitalsten und spannendsten Perioden neuerer Kunstgeschichte gewährt.

Unter den vielen Österreichern, die oftmals schon seit den Jahren ihrer Emigration in Paris lebten oder nach Ende des II. Weltkriegs fasziniert dorthin pilgerten (was zum Beispiel bereits 1951 Maria Lassnig und Arnulf Rainer taten), sind auch Markus Prachensky und Hans Staudacher.

Österreichische Kontakte

Prachensky und Staudacher hielten sich vor und um 1960 wiederholt in Paris auf, waren in Kontakt mit der dortigen Avantgarde und ihren Theoretikern und konnten auch einige Ausstellungen bestreiten, die deutlich machten, dass der Prophet im eigenen Land wenig gilt. Dies traf in besonderer Weise auf Staudacher zu, der in seinem Furioso an Lineamenten, Kürzeln und Kringeln vor allem das Spannungsfeld von Schrift und Bild aktivierte, den Möglichkeiten der Konkreten Poesie gegenüber offen war und auch in Zusammenarbeit mit Pariser Lyrikern und Essayisten wie Henri Chopin,

Emmanuel Looten und Jean-Jaques Lévèque vital und einfallsreich agierte. In "ARTS" sprach man von der Magie seiner écriture, in "aujourd'hui" von der Signifikanz seiner Qualitäten, unter denen die sicher gesetzten schwarzen Zeichen in ähnlicher Weise hervorgehoben wurden wie Staudachers Lyrismus beziehungsweise der universelle Anspruch seiner Kunst.

In die Phase intensiver österreichischer Kontakte zu Paris fällt auch das von Markus Prachensky 1960 in der Galerie St. Stephan in Wien gemalte und ausgestellte Riesenformat "Rouge sur blanc" (Rot auf Weiß), ein dynamisches, mit hoher gestischer Konzentration gleichsam erfochtenes Hauptwerk des Künstlers. Als kunstgeschichtlich relevantes Beweisstück des Informel in Österreich befindet es sich heute im Lentos und wird während der Ausstellung "Paris 1945-1965" in räumlicher Nähe und in beabsichtigter Konfrontation zu einem in anderer Weise ekstatischen, in seinem Malduktus dichteren Gemälde von Georges Mathieu zu sehen sein.

Extrempositionen der Malerei

Die bildende Kunst in den Jahren des Wiederaufbaus, ihrer Regeneration und rasanten Weiterentwicklung nach 1945 schöpfte zweifellos auch aus dem Reservoir der Klassischen Moderne, sie war jedoch im Wesentlichen von der Überzeugung getragen, die Welt gleichsam neu erfinden zu müssen. Parallel zur Befreiung von Faschismus, den Schocks und Verbrechen des Nationalsozialismus, unliebsamen Doktrinen und Besatzern lösten sich viele der besten, bald führenden Maler von jeglichen Zwängen des Gegenstandes bzw. den durch die Realität der Außenwelt vorgegebenen visuellen Eindrücken.

Das wiederholt im 20. Jahrhundert speziell in Paris feststellbare Interesse für außereuropäische Kulturen flammte abermals um 1950 auf. In anderer Form als früher wollten Künstler einmal mehr zurück zu den Ursprüngen, zu den Prinzipien elementaren Gestaltens. Auf der anderen Seite peilte man Extrempositionen an, um die Malerei so spezialisiert und intensiv wie nur möglich auszuloten. Man bekannte sich - vor allem innerhalb der Cobra-Bewegung - zum unverfälschten, ganzheitlichen Ausdruck, wie man ihn von der spontanen Malerei der Kinder kennt, aber auch zu den unterschiedlichsten Hervorbringungen psychisch Kranker, die über ihre Formenvielfalt und verblüffenden Konstellationen hinaus meist von größter Intensität sind. Die Malerei auch in ihren technischen Möglichkeiten an extreme Enden zu führen und im Hinblick auf spontanen, authentischen Ausdruck auf den Prüfstein zu stellen, steigerte eine kaum vorher dagewesene Experimentierbereitschaft.

Die von Michel Tapié unterstützte und so deutlich in ihren Eigenheiten gegenüber anderen Beispielen herausgehobene "Art Autre" (die "Andere Kunst") bezog sich in besonderer Weise auf Jean Dubuffet und Fautrier. Beide Künstler erweiterten, was Methoden und Materialien anlangte, die klassische Palette der Malerei in beträchtlichem Ausmaß. Sie entwickelten neue Bildwirkungen, basierend auf Materialien und der Kombination von Stoffen, die man bis dato in der Kunst nicht kannte.

So setzte zum Beispiel Jean Fautrier in seinen reliefartigen, dichten Gemälden sehr viel Zinkweiß ein und brachte auch in kleineren Formaten eine Pastosität ins Spiel, die in ihren farbigen Durchmischungen und ihrer Körperhaftigkeit noch nicht dagewesen war. Was Fautrier durch seine Malerei in neuartiger Weise ausdrückte, konnte auf andere Weise nicht gesagt werden.

Dubuffets Archäologie

Dubuffet verarbeitet Farben und Materialien auf seinen Gemälden mit Pinsel und Spachtel, er trägt sie auf, verreibt, glättet sie und rauht sie auf, in vielen Schichten und komplexen Werkvorgängen übereinandergelagert und gleichsam miteinander verschmolzen. Diese vereinzelt glänzenden, gefirnisst wirkenden, in der Regel jedoch rauhen, herben Mal- und Materialschichtungen werden vom Künstler immer wieder aufgerissen, mit Kratzeisen, Nägeln und ähnlichen Werkzeugen behandelt. Dubuffet schafft damit so etwas wie archäologische Befunde. Er gewährt interessante, zum Teil schlüssig nachvollziehbare Einblicke in wechselnde Vorgangsweisen auf dem Weg bildnerischer Horizonterweiterung.

Dubuffets Bilder, Reliefs, Mischtechniken und Grafiken lassen sich durchaus in ihrer Affinität zu Erscheinungsformen und Strukturen der Natur sehen, nur dass sie nie abbildhaften, imitierenden Charakter besitzen, sondern elementar, von innerer Bewegung getragen, zu verstehen sind.

Diskussionen zur Kunst

Was immer die Avantgarde an maßgebender Stelle in den fünfziger Jahren schuf, es wurde eifrigst darüber diskutiert: in den Lokalen der Künstler, in Zirkeln der Maler, Schriftsteller und Intellektuellen, in der Kunstkritik, den Journalen, führenden Tageszeitungen und der rapide angewachsenen Literatur über bildende Kunst, die im deutschen Sprachraum möglicherweise ein noch größeres, breiteres Forum besaß als in Frankreich selbst.

Permanent in diesen Diskurs schaltete sich neben dem in Zürich erscheinenden "Du" auch die renommierte, von Karl Pawek redigierte Kunst- und Kulturzeitschrift "magnum" ein, deren fotografische Redaktion in den Händen von Franz Hubmann lag. Unter den heute legendären Bildern und Fotoessays Hubmanns finden sich auch viele jener Künstlerporträts erstmals veröffentlicht, die auch in unserer Katalogdokumentation zu finden sind.

Kunst als Möglichkeit existentieller Ergründung und visuelle Metapher geistiger Aneignung auf dem zunehmend heterogener gewordenen Feld gesellschaftlicher Zusammenhänge war vielleicht das wichtigste Motiv einer durch viele Faktoren begünstigten Entwicklungsphase, die nicht zuletzt der wiedergewonnenen Freiheit und einer trotz Kalten Krieges größer und offener gewordenen Welt in der eigenen Praxis ein Zukunftsmodell voranstellen wollte.

Absichten der Ausstellung

Wenn jetzt das neue, großzügig konzipierte Kunstmuseum Lentos in Linz eine auf Paris bezogene, den Aufbruchsjahren nach dem II. Weltkrieg geltende Großausstellung zeigt und im Titel der Schau bewusst auf die Verwendung des Begriffs der "École" verzichtet, dann geschieht dies in voller Absicht. Einmal, um nicht jene einseitige Zusammenfassung in Richtung überwiegend dekorativer Tendenz zu wiederholen, unter der früher so manche Ausstellung der Pariser Schule litt, und zum zweiten, um freies Feld zu schaffen für den Einbezug großer Außenseiter und künstlerischer Einzelgänger, die - wie Dubuffet, Chaissac, Giacometti, Fautrier und Michaux - das Gesichtsfeld der Kunst impulsgebend ausweiten.

Gleichfalls entgegen einer oft gehandhabten Praxis in den fünfziger und sechziger Jahren kommt es in der retrospektiven Schau im Linzer Lentos auch zur geplanten Konfrontation geometrisch-abstrakter Kunst mit informeller Malerei. Es ist dies eine wichtige, aber keineswegs die einzige Gegenüberstellung bei einem aus vielen Museen und privaten Sammlungen Europas zusammengetragenen Material, das mehr als 100 Gemälde und Plastiken sowie annähernd 200 Werke auf Papier, Zeichnungen, Druckgrafik und Fotografien von 57 Künstlern umfasst.

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