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Vielfalt der Aufbrüche nach der großen Flut

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Ausstellungen schaffen sich ihren besonderen Ort, ihre eigene Zeit und ihren eigenen Rhythmus. Darum lassen sie sich nicht erzwingen. Ausstellungen müssen entstehen, aus Themen, Notwendigkeiten und Zufällen, schrieb ein Schweizer Museumsdirek-tor.Thema der Ausstellung im Künstlerhaus ist die europäische Kunst von 1945 bis 1965; Notwendigkeiten scheint es unterschiedliche zu geben: das Gedenkjahr 1995 zur Beendigung des Zweiten Weltkrieges und das immer wieder aktuelle Nachdenken über Europa. Bleibt die Frage, ob solche Themenausstellungen nicht doch einem bestimmten Anlaß entsprechend erzwungen sind und „die Kunst” in ein allzu enges thematisches Korsett pressen.

Vor vier Jahren wurde das Projekt dieser Ausstellung vom Bundesministerium für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten, dem Künstlerhaus Wien und der Stiftung „la Caixa” in Barcelona in Angriff genommen: im Gedenkjahr 1995 „sollte die größte Ausstellung europäischer Kunst der Nachkriegsjahre gezeigt werden”. Das Ausstellungsprojekt ist ehrgeizig: vier Themenbereichen - Malerei, Bildhauerei, Fotografie, Architektur und Design - zeigen Kontinuität, Aufbruch, Vielfältigkeit und Kontraste der unterschiedlichen Strömungen nach dem Zweiten Weltkrieg.

In der Stilentwicklung der Klassischen Moderne aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts war Paris stets unangefochten die Kunsthauptstadt gewesen, in der das künstlerische Leben seinen intellektuellen Mittelpunkt fand. So war auch Frankreich das einzige Land, wo die moderne Kunst nach Beendigung des Krieges große Bekanntheit und nahezu politische Bedeutung im Sinne von Freiheit und antifaschistischem Widerstand erlangte. Neben der Prägung durch die „alten Meister” Henri Matisse, Georges Braque und Pablo Picasso wurde die Malerei immer mehr zum Träger gegenstandsfreien Emotionsausdruckes. Die europäische Ausprägung dieser sogenannten lyrischen Abstraktion konzentrierte sich zunächst auf Paris, breitete sich in der Folge jedoch in ganz Europa im Sinne eines „internationalen Stils” aus.

Ende der fünfziger Jahre kündigten sich Gegenbewegungen zur abstrakten Gestik an: die aus England kommende Pop Art - eine „populäre” Großstadtkunst sowie eine neue Rückkehr zur Gegenständlichkeit.

Die Skulptur der vierziger und fünfziger Jahre zeigt nach der phantastisch-ironischen, surrealistischen und dadaistischen Objektkunst wieder eine verstärkte Neigung zur expressiven Aussage.

Auch hier ist es ein „großer Meister”, dessen Skulpturen die Befindlichkeit seiner Zeit am deutlichsten widerspiegeln: die dünnen, überlangen, gleichzeitig verlorenen wie raumsuchenden Figuren Alberto Giacomettis. Henri Moores Skulpturen verkörpern die Suche nach archetypischen Urformen der Natur. Auch seine Schülerin Barbara Hepworth, deren Stil sich zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit bewegt, gab der weiteren Entwicklung der Skulptur wesentliche Anregungen. Deutlich Spuren hinterließ die Pop Art in der Anwendung neuer, zum Teil alltäglicher Materialien und Fundstücke.

Die Fotografie der Nachkriegszeit bewegte sich im Spannungsfeld zwischen Funktion und autonomem Kunstmittel, zwischen Bealität und Abstraktion. Nach dem Krieg engagierte sich die Fotografie für Themenbereiche, die ganz allgemein unter den Begriff „Humanität” fallen: die Bilder dieser Zeit, die das tägliche Leben festhalten, brachten die Zuversicht in eine neue, bessere Welt zum Ausdruck.

Für die fotografische Dokumentation war die Gründung der Kooperative MAG-NUM 1947 durch Robert Capa, David Seymour und Henri Cartier-Bresson ein Markstein ihrer Geschichte. Die rein Formale und experimentelle Fotografie baute auf den Errungenschaften der dreißiger Jahre auf und folgte nach dem Krieg einer neuen Ästhetik, unabhängig von den bereits erwähnten Strömungen der Malerei. Der Bereich Architektur und Design wird nach nationalen Gesichtspunkten gegliedert, da die Kluft zwischen Vorkriegs- und Nachkriegsarchitektur von Land zu Land unterschiedlich groß ist.

Jeder der kurz umrissenen Themenbereiche könnte eine interessante und umfangreiche Ausstellung für sich ergeben und bei all der Fülle der ausgestellten Exponate handelt es sich um einen kleinen Teil des breiten künstlerischen Spektrums der zwanzig Jahre nach Kriegsende. Das Spannende an der Ausstellung ist sicherlich die Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten, die dem Betrachter durch die breite Streuung der Bereiche vor Augen geführt wird. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog mit Textbeiträgen der einzelnen Ausstellungskuratoren.

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