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Kosmische Kalligraphie

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Vor fünfzehn J ahren ist Max Ernst gestorben, am 1. April 1976. Nicht seines Todestages, sondern seines Geburtstages am 2. April 18 91 wird in der Neuen Galerie der Stadt Linz gedacht. Dennoch ist es wichtig, sich zu erinnern, wie nahe er der Gegenwart ist, daß er nicht nur Zeitgenosse der künstlerischen Revolutionen zu Beginn des Jahrhunderts war, sondern wie ein erratischer Block in der Kunstlandschaft unserer Zeit steht.

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Vor fünfzehn J ahren ist Max Ernst gestorben, am 1. April 1976. Nicht seines Todestages, sondern seines Geburtstages am 2. April 18 91 wird in der Neuen Galerie der Stadt Linz gedacht. Dennoch ist es wichtig, sich zu erinnern, wie nahe er der Gegenwart ist, daß er nicht nur Zeitgenosse der künstlerischen Revolutionen zu Beginn des Jahrhunderts war, sondern wie ein erratischer Block in der Kunstlandschaft unserer Zeit steht.

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Es gehört zur Tradition der Neuen Galerie Linz, einmal im Jahr

einen Klassiker der Moderne in einer umfangreichen Schau vorzustellen, die letzte war Henri de Toulouse-Lautrec gewidmet. Bis zum 2. April ist nun - nach Köln, Kaiserslautern und Wiesbaden -zum ersten und einzigen Mal in Österreich eine Ausstellung zu sehen, die nahezu das gesamte druckgraphische Werk von Max Ernst und Beispiele seiner Buchillustrationen zeigt. Begrenzt auf diesen bestimmten Bereich führt sie Wandel und Gestalt im Schaffen eines der großen alten Meister des 20. Jahrhunderts vor Augen, ausgespannt zwischen den Jahren 1910 und 1973. Eine Retrospektive also, in der die Gewichte interessant gesetzt sind: Der weitaus größte Teil der Exponate gehört der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg an.

Instinktiv wird Max Ernst vorzugsweise mit der Kölner Filiale von Dada assoziiert, wo er 1919 aktiv wurde, mit der surrealistischen Bewegung, die er 1924 mitbegründete und von derer sich 1938 verabschiedete. Es ist ein besonderes Verdienst dieser Ausstellung, den späten Ernst in den Vordergrund zu stellen, zu zeigen, wo er wurde, was er war.

Extrem pointiert, könnte man so formulieren: Ernst verließ die Surrealisten und nahm das Surreale mit. Es widerte ihn an, auf welche Weise man mit einem wesentlichen Anliegen der Kunst Schindluder trieb, wie man eine ernsthafte Sache auf das Niveau von Parteiengezänk und Sektierertum herunterzog. Das entschiedende Datum war das Jahr

1929. Die „Muschelblumen" aus diesem Jahr signalisieren jene Wende, die in den drei letzten Schaffens Jahrzehnten immer stärker in den Vordergrund tritt.

Der „Dadamax" war nur eine Episode. Je weiter wir von dieser Zeit entfernt sind, umso sichtbarer wird, was in Emsts Werk historisch interessant ist, was Bestand haben wird. Die Ausstellung ist im Prinzip chronologisch aufgebaut, soweit nicht Zyklen, die längere Zeiträume umfassen, zusammenhängend dargestellt sind. Vier Bilder aus dem Jahre 1950 aber haben einen besonderen Platz: „Tänzerinnen", „Seestern", „Rhythmen" und „Masken". Peter Baum, der Verantwortliche für die Gestaltung der Ausstellung in ihrer Linzer Fassung, will damit

aufzeigen, daß sie den Beginn jenes Höhepunktes markieren, der dann ein Viertel] ahrhundert andauert.

Es ist eine Welt des Wunderbaren, die Ernst der Realität entgegenstellt, eine Welt jenseits des Erfahrbaren und zugleich eine Welt „über dem Tag und hinter dem Wissen", in die er eingeht und aufzeichnet, was uns verborgen ist, weil unsre Augen es nicht sehen. Immer sparsamer wird der Duktus in den Bildern der späten Jahre, immer zeichenhafter wird die Zeichnung, die geschwungenen Linien werden zu Kürzeln einer kosmischen Kalligraphie.

Ernst distanzierte sich nie von seiner künstlerischen Vergangenheit. „Meine Werke in jener Zeit sollten nicht gefallen, sondern auf-

heulen machen", schrieb er später. 1971 schuf er drei Farblithographien zu Werner Heisenbergs Werk „Die Bedeutung des Schönen in der exakten Naturwissenschaft". Die verbalen Bekenntnisse zum Schönen waren freilich nicht so dezi-diert wie die revolutionären Sentenzen der wilden zwanziger Jahre. Aber die Bilder selber geben davon Zeugnis. Phantastische Gestalten bevölkern eine Zauberwelt. Die Verfremdung von Vertrautem, die Reduktion des Zufälligen auf das Wesen eröffnen Perspektiven einer anderen als der gewohnten Art.

Ernst hat sich nie ganz vom Gegenstand gelöst, und doch ist es vor allem die Harmonie der Formen, die uns anrührt. „Können setzt voraus, daß man das innere Leben der Linie und der Farbe empfinden kann", wird Max Ernst in einem Ausstellungskatalog zitiert. Nicht um die Strukturen der Dinge war es ihm zu tun, sondern um die Poesie, die in ihnen gegenwärtig ist. Bei manchen Blättern denkt man, er habe das Werkzeug in die Hand genommen, das Paul Klee zurückließ, als er in reifen und doch frühen Jahren starb.

Zu dieser Ausstellung ist ein Buch erschienen, das weit über das hinausgeht, was man von einem Katalog erwartet. Der erste Teil bringt vier Essays über das graphische Schaffen von Max Ernst und über drei Werke, die exemplarisch für die frühe, die mittlere und die späte Periode stehen: Die Mappe „Fiat modes pereat ars" (1919), den Collagenroman „La femme 100 tetes" (1929) und das Buch „Maximiiiana" (1964). Im Bildteil sind sämtliche ausgestellten Werke reproduziert, die im Katalogteil detailliert besprochen werden.

Für die Linzer Ausstellung setzt ein zusätzlicher „Museumspädagogischer Begleiter" ein Experiment fort, das bei der Ausstellung „Ursprung und Moderne" gestartet wurde. Das Angebot ergänzen Vorführungen des Films „Dadamax" von Peter Schamoni (täglich 16 Uhr) und ein Graphikworkshop am 14. Februar. Öffnungszeiten: täglich 10-18, Donnerstag 10-22 Uhr. Führungen: Donnerstag 19 Uhr, Samtag 15 Uhr, Sonntag 11 bis 15 Uhr sowie gegen telefonische Voranmeldung.

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