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ZEITGESCHEHEN - ABER WIE?

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Groß ist oft das Erstaunen der Erwachsenen, wenn sich dann und wann herausstellt, wie wenig die heutige Jugend über die Geschichte der letzten Jahrzehnte weiß. Abgesehen davon, daß es sich in diesen Fällen stets um einzelne Jugendliche und nicht um „die Jugend“ handelt, so dürfen wir uns doch die Frage stellen, ob wir auch alles nur mögliche tun, um die Jugend entsprechend ausführlich und objektiv über die Geschichte unserer Zeit zu informieren, die sie nicht kennen kann, die uns, die wir sie erlebt haben, aber selbstverständlich ist. Dabei ist es gerade die Geschichte unseres Landes, die bei der Jugend das Verständnis wecken oder vertiefen kann für die Heimat.

Vor fast genau einem Jahr wurde an dieser Stelle, im Rahmen einer kleinen Betrachtung über das Schulfernsehen, darauf hingewiesen, daß das Problem „Zeitgeschichte“ eine sehr lohnende Aufgabe eben für das Schulfernsehen darstellt.

Inzwischen waren im Schulfernseh-Testprogramm des Österreichischen Fernsehens einige Sendungen diesem Thema gewidmet. Im Prinzip war der sehr lobenswerte Versuch unternommen worden, die Geschichte Österreichs im letzten halben Jahrhundert bis auf unsere Tage ausführlich darzustellen.

Für die erste Sendung hatte man eine interessante und vielversprechende Form gefunden: Einem jungen Menschen unserer Tage stand der ältere, erfahrene Mann gegenüber, für den viele Jahrzehnte, die dem Jungen bereits echte „Geschichte“ bedeuten, noch erlebte Wirklichkeit waren. Das bot nicht nur die Möglichkeit zu einer lebendigen Gestaltung der Sendung, sondern gab auch Gelegenheit, Fragen, zu beantworten, die von den jugendlichen Zuhörern wohl zu erwarten waren, die in monologischer Form zu behandeln aber durchaus problematisch sein kann. Und es wurden auch zwei vorzüglich geeignete Darsteller für diese beiden Rollen gefunden. Aber man hatte dem netten jungen Burschen, der die Generation der heutigen Jugend verkörpern sollte, derart läppische Fragen in den Mund gelegt, daß sich Jung und alt nur so wunderten.

Die vielfach laut gewordene Kritik hat nun nicht dazu geführt, daß die begangenen Fehler korrigiert worden wären; man ließ vielmehr in den späteren Sendungen den Jungen einfach weg, und begab sich so einer für diese Sendung zweifellos sehr gut geeigneten und sich von dem Mittelmaß des Üblichen wohltuend abhebenden Form. Das Verhängnis war nicht mehr aufzuhalten: Die letzte Sendung, die sich mit der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg befaßte, bewies es.

Hier hatte man nun endlich wieder zu der beim Österreichischen Fernsehen offenbar so beliebten Form des „Rundfunks mit Bildern“ zurückgefunden. Wdr haben sie schon vor einem Jahr angeprangert.

Darüber hinaus ist man aber in dieser letzten Sendung stellenweise noch an dem gestellten Thema, „Zeitgeschichte“, unversehens vorbeigegangen. Während etwa über die geschichtlichen Tatsachen des Kriegsendes, der Anfänge der Zweiten Republik, der Unterzeichnung des Staatsvertrages und über einige wenige andere markante Ereignisse noch manches Wissenswerte zu erfahren war, erschöpfte sich ein beträchtlicher Teil der Sendung in der Aufzählung der in den letzten eineinhalb Dezennien vollbrachten Leistungen, der wieder- und neu errichteten Bauwerke und der sonstigen Errungenschaften unserer wirtschaftswunderlichen Zeit. All diese Aufbauleistungen, all diese Erfolge in Ehren! Aber das ist doch nur ein Teil der Zeitgeschichte, und ein eher am Rande liegender noch dazu! Gibt es über die letzten Jahre sonst gar nichts zu berichten? Und müßte man nicht gerade der Jugend auch das vor Augen führen, was versäumt oder falsch gemacht wurde?

A ber auch damit ist es noch nicht genug. Während man sich ■ über die beiden angedeuteten Fragenkomplexe noch in eine Diskussion einlassen mag, so kann ein weiteres dieser Sendung anhaftendes, äußerst bedenkliches Symptom nicht ernst genug genommen werden.

Dem aufmerksamen Zuschauer wird es nicht entgangen sein, daß mehrere der in den Filmeinblendungen enthaltenen Einstellungen seitenverkehrt einmontiert waren! Das führte dazu, daß die Unterzeichnung des Staatsvertrages von den Staatsmännern mit der tanken Hand vorgenommen wurde!

Diese Erscheinungen sind keineswegs mit einem Versehen zu entschuldigen,; dazu waren sie auch zu häufig. Sie zeigen nur, wie oberflächlich man hier zu Werke geht, wie wenig ernst das Problem Schulfernsehen vom Fernsehen selbst genommen wird. Da wird es dann auch erklärlich, daß man sich

über die Form so wenig Gedanken macht und daß man an die Frage des Inhalts nicht mit der nötigen Gründlichkeit herantritt.

“^Toch schwerer werden die so entstandenen Bedenken, wenn man hört, daß an eine Ausweitung des Schulfernsehprogramms gedacht ist. Hat man wirklich schon alles getan, um die optimale Form und die maximale Qualität der Schulfernsehsendungen zu erreichen, daß man es sich leisten kann, die Zahl der Sendungen zu vermehren?

Eine ganze Flut von Fragen taucht in diesem Zusammenhang auf: Wurden die Schulfernsehtestsendungen bisher wirklich als Testsendungen benutzt? Wurden alle erfolgversprechenden Sendungsformen durchprobiert und wurde untersucht, welche Aufgaben gerade durch das Fernsehen besonders gut gelöst werden können? Hat man die Möglichkeiten der so wesentlichen Live-Sendungen getestet? Hat man mit wissenschaftlich fundierten, exakten Untersuchungsmethoden den Wirkungsgrad der Schulfernsehsendungen — in Abhängigkeit von der Form der Sendung, vom Thema und von der Art der Verarbeitung im Rahmen des Unterrichts — festgestellt und mit dem anderer audiovisueller Lehrmittel verglichen?

Diese Aufzählung von Fragen soll illustrieren, welch ein komplexes Gebiet das Schulfernsehen darstellt. Ein Gebiet, das es, hat man sich einmal hineingewagt, mit Einsatz aller Mittel systematisch zu durchforschen gilt, will man sich nicht in der Wirrnis nur halb gelöster Probleme rettungslos verstricken.

Vor dem Bildschirm

DIE MASSTÄBE DES FERNSEHENS muß man auch an der Sendung „Christ in der Zeit“ anlegen. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Priester in seiner Kirche zu seiner Gemeinde spricht oder ob er über das Medium Fernsehen eine in die Hunderttausende gehende, in jeder Beziehung heterogene Zuschauermenge ansprechen soll. Man sah in dieser Sendereihe schon etliche Prediger, die ihre Persönlichkeit und ihre Überzeugungskraft auch über den Bildschirm zu eindringlicher Wirkung brachten. Warum werden sie nicht öfter eingesetzt? Die für diese Sendung zur Verfügung stehende Zeit ist — noch immer — so kurz, daß man wirklich mit allen Mitteln versuchen müßte, hier das Äußerste an Wirkung zu erzielen. Selbst Gutes wäre da zuwenig.

ALS FESTWOCHENBEITRAG brachte das Österreichische Fernsehen eine Eigeninszenierung der Fernsehoper ,,D e r Kardinal“ von Emst Brauner und Helmut Eder. Wenn man auch darüber streiten kann, ob die Verbindung dieses Themas mit der Form der Oper vertretbar ist, so muß doch hervorgehoben werden, daß hier eine hervorragende, eindrucksstarke Fernsehoper entstanden ist, eine der besten der für das Fernsehen geschriebenen Opern, die es bisher zu sehen gab. Die Musik von Helmut Eder war dem bedeutungsvollen Stoff durchaus adäquat und bildete mit Text und Handlung eine organische Einheit. Unter der bewährten Regie von Theodor Gradier gestalteten unter anderen Dorit Hauak. Willi Wolff, Richard van Vrooman, Max Lorenz und Kurt Wehofschitz scharf profilierte Figuren. Kurt Woess leitete, für die Zuschauer unsichtbar, das Orchester der Wiener Volksoper, und Robert Posik hatte Szenenbilder geschaffen, die sich dem Werk wie der Aufführung gleich gut einfügten.

EIN LEUCHTENDES BEISPIEL dafür, wie man Klassiker im Fernsehen inszenieren kann (und soll), bot der Hessische Rundfunk mit einer Aufführung von Goethes ,,E g m o n t“. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll: die hervorragenden Darsteller (Lola Müthel, Alma Seidler, Irene Marhold, Max Eckard, Wolfgang Büttner, Paul Verhoeven, Rolf Becker. Peter Capell und viele andere), die eindrucksvollen Szenenbilder (Rudolf Küfner) oder die gekonnt die Möglichkeiten des Fernsehens ausnützende Regie (Reinhart Spörri). Sogar die zu Beginn aufgeführte Beethoven-Ouvertüre wurde zu einem optischen Genuß: Noch nie wohl ist im Fernsehen ein musizierendes Orchester in solcher Übereinstimmung mit der Musik bildlich dargestellt worden.

EINE SPITZENLEISTUNG erbrachte 'das Österreichische Fernsehen mit der Eigenproduktion der Komödie von Arthur Schnitzler, „Professor Bernhard i“, in der Bearbeitung von Heinrich Schnitzler. Was da unter der Regie von Erich Neuberg über den Bildschirm ging, war ein richtiges, faszinierendes Fernsehspiel. In die stilvollen, bis ins Detail ausgeführten Szenenbilder von Robert Posik hatte man ein ganz vorzügliches Ensemble hineingestellt: )ede Rolle war mit der genau richtigen Type besetzt und mit einem hervorragenden Darsteller obendrein. Es wäre ungerecht, einzelne davon zu nennen; es waren ihrer zu viele, um alle aufzuzählen. Dazu kam eine ganz ausgezeichnete Kameraführung, durch die der blitzende, geistvolle Dialog Schnitzlers ins rechte Licht gerückt wurde.

AUFFALLEND war auch die gute Kameraführung in der letzten Sendung der Reihe „Familie Leitner“ (Regie: Otto Anton Eder). Ein der Jahreszeit angemessenes „Problem“ war wieder Anlaß zu einer nicht allzu anspruchsvollen, dafür aber netten und sauberen Unterhaltung. Alle Mitwirkenden spielen ihre Rollen nicht, sondern leben sie, und trotzdem — die Szene beherrschte diesmal eindeutig Tante Frieda — Verzeihung — Dorothea Neff.

WELCH VERHEISSUNGSVOLLES THEM'A: „Die Welt auf Rädern“! Aber diese Sendung in der Reihe „Basar“ ist ganz offensichtlich selbst unter die Räder gekommen. Nach der viel zu langen Einleitung mit alten Kursbuchwitzen gab es, oft recht zusammenhanglos aneinandergereiht, viel Banales und Unwesentliches, nicht endenwollende Ausschnitte aus einem (einem einzigen!) von den anzeführten Theaterstücken über die Eisenbahn, wenig über die Welt auf Rädern. Lediglich die Reportagen über die Realität der „versickernden Eisenbahn“ und über den deutschen Verschubbahnhof fielen weit aus diesem Rahmen. Selbst der unverwüstliche Charme Erik Freys konnte da nichts mehr ändern.

DER BEDEUTUNGSVOLLE TITEL entpuppte sich als bloße Spekulation auf die Publizität, die ein ähnlicher Titel bei früherer Gelegenheit gewonnen hatte. „Unser Mann auf der Donau“ war ein ebenso nichtssagender wie unverbindlich-wohlwollender Reisebericht über eine Dautpfervergnügungs-fahrt, lang(weilig) und breit wie die Donau. Wozu das?

IN DIE URZEITEN des Fernsehens zurückversetzt glaubte man sich bei der Sendung „W o drückt Sie der Schuh?“. Wer ist wohl auf die Idee verfallen, die drei Gesprächspartner wie auf einer Armesünderbauk nebeneinander zusammengepfercht vor die Kamera zu bringen?

EIN BESONDERES VERGNÜGEN ist es, die Sendung „I h r Auftritt, bitte“ von und mit Heinz Fischer-Karwin zu verfolgen; vor allem, seitdem die Filmaufnahmen stets als solche deklariert werden und die Interviewten eindeutig im Mittelpunkt stehen. Die Begegnungen mit den Künstlern sind immer interessant und vermögen oft einen bleibenden Eindruck zu vermitteln. Die Probenausschnitte geben eine wertvolle Premierenvorschau. Der letzte Filmbericht brachte eiw.n guten Überblick über die Grazer Sommerspiele, auch für diejenigen, die nicht an Ort und Stelle teilnehmen können-, etwas mehr Sorgfalt bei den Filmaufnahmen wird man das nächste Mal sicher aufwenden können.

ERFREULICH ist, daß das Fernsehen eine feste Haltung in der Frage „Fußball“ eingenommen hat. Man muß sich sehr davor hüten, da irgendwelche Präzedenzfälle zu schaffen.

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